Lust auf ein Abenteuer?

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Finn

Es dauert nicht lange, dann ist es Mum, die fordernd gegen meine Zimmertüre klopft.

„Mach doch bitte auf. Finn! Bitte". Ich ignoriere sie einfach. Nach ein paar Minuten gibt sie auf.

Nur wenige Minuten später ist es Dad, der dasselbe versucht. Auch ihn ignoriere ich einfach. Ein Wunder, dass er sich von seiner Geliebten hat losreißen können. So nahe wie die beiden sich waren. Schade eigentlich für Dad, bestimmt hat er sich den Abend ein bisschen anders vorgestellt.

Ich will weder mit ihm, noch mit Mum reden. Schließlich haben sie all die Jahre nicht mit mir geredet, warum sollte ich dann jetzt mit ihnen reden? Nein! Ich brauche erstmal Zeit für mich, um sickern zu lassen, dass meine Familie kaputt ist. Und das nicht erst seit gestern.

Jetzt höre ich, wie meine Eltern und Naomi im Wohnzimmer miteinander diskutieren. Sie sind so laut, dass ich jedes einzelne Wort verstehen kann. Da ich das aber nicht will, presse ich mir meine Zeigefinger in die Ohrmuscheln und beginne leise vor mich hinzusummen.

„Das wird mir jetzt zu kindisch, Finn...", tadelt mich meine Mutter schließlich. Wieso ist sie schon wieder hier und wieso funktioniert der Trick mit dem Ohren zu heben heute nicht. Ich will nichts mehr hören. Am liebsten würde ich weglaufen. „Du kommst in fünf Minuten aus diesem Zimmer...Oder wir kommen eben rein".

Gut, dass meine Eltern nichts von der selbstgebauten Leiter wissen, die Merlin und ich vor ein paar Jahren zusammengekleistert haben. Ein Teil aus zwei dicken Seilen und dazwischen vier Stufen aus Holz. Gerade lang genug, um aus meinem Zimmer im ersten Stock abhauen zu können. Bisher haben wir das Teil noch nicht benutzt, weil wir es einfach nicht gebraucht haben. Wie gut, dass ich gerade jetzt daran denke. Ich krame das Teil aus meinem Kleiderschrank und betrachte es kurz. Ein wenig mulmig wird mir schon, wenn ich daran denke, was passieren könnte, wenn die Holzstücke krachen oder das Seil reißt. Aber Augen zu und durch. Ich lege die beiden großen Steine, die ich als zehnjähriger Bub aus dem Hotelgarten habe mitgehen lassen, auf die beiden Ende der Seile. Bitte fragt mich nicht, warum ich die beiden Steine, die total hässlich sind, mitgehen habe lassen und noch in meinem Zimmer rumliegen habe. Ich weiß es doch selbst nicht. Auf jeden Fall sind sie mir jetzt nützlich, weil ich in der Schnelle nichts anderes finden konnte, dass die Leiter heben könnte.

Tief ist es eigentlich nicht. Ein großer Sprung und schon könnte ich im Rasen stehen. Seufzend hänge ich den Rest der Leiter aus dem Fenster, werfe noch einen kurzen Blick zur Tür. Bis jetzt haben Mum und Dad ihre Drohung noch nicht in die Tat umgesetzt. Vorsichtig klettere ich auf die äußere Fensterbank, drehe mich dann um und setze meinen linken Fuß auf die erste Sprosse. Vorsichtig ziehe ich den rechten nach und bin erleichtert, dass das Seil, das Holz und die Steine stark genug sind, um mein Gewicht zu tragen. Ich hangele mich die Leiter nach unten und lasse mich dann auf das Gras plumpsen. Von hier unten sieht es doch sehr hoch bis zu meinem Zimmerfenster aus. Gut, dass ich heile nach unten gekommen bin.

Zehn Minuten später stehe ich vor dem Haus, in dem Lena mit ihrer Mutter, ihrem Stiefvater und ihrem dreizehnjährigem Bruder Ruben, wohnt. Wie wir Dorfkinder das eben machen, werfe ich kleine Steine, die in der Auffahrt herumliegen gegen das Fenster meiner Freundin. Schon so oft wurde ich von ihrer Mutter dabei erwischt und ermahnt, dass ich doch in Zukunft bitte die Klingel benutzen soll. Aber heute ist die Gefahr zu groß, dass sie mich wieder nach Hause schicken, wenn sie mich sehen. Bestimmt haben Mum und Dad längst die Eltern meiner Freunde alarmiert. Zum Glück reagiert Lena gleich. Sie reckt kurz ihr Gesicht aus dem Fenster, dann verschwindet sie wieder dahinter.

Ungeduldig scharre ich mit den Füßen. Heute Abend ist es wirklich kühl. Und ich habe meinen Kapuzenpulli in aller Eile vergessen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt Lena zu mir. Mittlerweile kauere ich hinter einem Blumenkübel in ihrer Hofauffahrt.

„Ich habe Merlin und Amelie angerufen...", wispert sie und drückt mir einen Kapuzenpulli in die Hand. „Wir treffen uns mit den beiden in unserem Schuppen".

„Es tut mir leid, dass ich dich vorhin weggeschickt habe", murmele ich, während ich mir den Pulli über den Kopf ziehe. Da er von Ruben ist, ist er ein wenig zu eng, aber das ist mir egal. Zumindest muss ich so nicht mehr frieren.


„Es ist okay...", meint Lena schnell. „Wir sollten abhauen, sonst bemerken meine Eltern, dass ich weg bin und dann rufen sie deine Eltern an. Und ich denke nicht, dass du darauf Lust hast, oder?"-

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„Was machen wir jetzt?", fragt Merlin. „ Früher oder später werden eure Eltern und meine Tante hier nach uns suchen und dann war Finns Aktion völlig umsonst... Zu blöd, dass sie die Leiter entdecken werden. Bestimmt landet sie dann gleich im Müll... Ich feiere es so, dass sie dich wirklich getragen hat. Zu schade, dass ich nicht dabei war, als du sie das erste und wohl auch das letzte Mal benutzt hast".

Amelie schüttelt nur mit dem Kopf und murmelt leise etwas, das sich anhört wie "Kindsköpfe".

„Also ich möchte erst mal nicht zurück nach Hause", meine ich. In unserem Schuppen, einem alten Geräteschuppen, in dem kaputte Segelboote stehen und der schon seit ziemlich langer Zeit herrenlos ist , stehen zwischen den Booten zwei alte Sofas, auf dem meine Freunde und ich gerade sitzen. Ich liege mit dem Kopf auf dem Schoß von Lena, die mir den Kopf krault. Ich bin wirklich müde und am liebsten würde ich jetzt schlafen.

„Vielleicht solltest du einfach zurückgehen und mit deinen Eltern reden", antwortet Amelie. „ Früher oder später wirst du das müssen".

„Du warst schon immer die vernünftigste von uns vieren, Am...", mischt sich Lena ein. „ Und heute teile ich deine Meinung... Schatz...Es wäre am besten, wenn du mit deinen Eltern redest. Vielleicht können sie dir ja alles erklären".

Ich will schon etwas sagen, als Merlin mir zuvorkommt.

„Ich habe da eine ganz andere Idee...", meint er. „ Als ich gestern mein altes Mountainbike vom Dachboden geholt habe, da habe ich eine verschlossene Türe hinter einem uralten Sofa meiner Tante entdeckt... Wer hat Lust auf ein Abenteuer?"

„Aber Finns Eltern und deine Tante..."; wirft Amelie gleich ein.

„Mach dir darüber mal keine Gedanken. Ich habe da schon eine Idee!"

Reise ins UngewisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt