Platz in der Welt

21 4 4
                                    

Finn

"Eines solltest du noch wissen, Finn. Du spielst eine Schlüsselrolle. Nur du kannst den Fluch unserer Familie brechen, weil du von einer Frau geboren wurdest, die eine Nachfahrin eben jener Hexe ist, die meinen Opa verwünscht hat."

Ich bin schon längst auf der Flucht, halte aber sofort inne, als ich Josephs Worte höre.

Das wird ja immer schöner. Jetzt betrifft die ganze Sache auch noch Mum.

Was wohl noch kommen mag?

Womöglich ist Naomi gar nicht meine Schwester. Oder noch besser. Merlin ist mein Bruder.

Vielleicht ist Mama ja auch gar nicht meine Mum?

Was wenn Tante Magda...?

Ich kann die Übelkeit nicht mehr unterdrücken. Sie kommt wie die Wellen, auf denen wir treiben.

---------------------------------------------------

Schließlich lasse ich mich erschöpft auf die Holzdielen sinken und lege den Kopf in meine Knie. Minutenlang verharre ich in dieser Stellung. Und wundersamerweise ist keiner bei mir. Jeder respektiert meinen Wunsch, den ich vorher ausgesprochen habe. Sie lassen mich alle alleine. Warum nur, fühlt es sich so noch bitterer an? Und tut so mehr weh?

So weine ich schmerzhafte Tränen in meinen Schoß, während ich versuche all dem Chaos hier eine Chance zu geben. Ich muss alleine da durch! Ich kann meine Eltern nicht um ein klärendes Gespräch bitten, nicht solange ich hier feststecke. Und dieses wird nötig sein. Wenn ich zuhause bin, wird es das erste sein, das ich tun muss. Und trotzdem habe ich schreckliche Angst davor.

„Wie kann ich den Fluch brechen, Joseph?" Meine Stimme klingt tapferer, als sie ist. Sie bricht nicht, obwohl es sich immer wieder danach anfühlt. Ich schlucke meinen Speichel hinunter, der sich vermehr in meinem Mund ansammelt. Jetzt kommt bestimmt kein Ton mehr über meine Lippen, ohne dass ich mich verhaspele. Ich habe mich aufgerappelt und schaue dem Captain jetzt direkt in die Augen.

Joseph hat mir den selben Freiraum geschenkt, wie meine Freunde. Aber jetzt muss er mir noch so vieles mehr erklären. Ich möchte so schnell wie möglich nach Hause. Das wünsche ich mir alleine schon für meine Freunde. Ich muss wissen, was mir bevorsteht. Uns bevorsteht.

„Du musst ein paar... Dinge für diese Hexe erledigen. Sie möchte die Schande vergessen, die mein Großvater über ihren Namen gelegt hat."

„Ich dachte sie hat ihn verwünscht? Und welche Dinge? Was soll das bedeuten?"

„Das wird sie dir selbst sagen müssen. Sie lässt nicht viel mit sich reden. Aber sie erwähnte, dass sie in deiner Gegenwart durchaus dazu bereit wäre."

„Wo finden wir diese He..., diese Frau?" 

Hexen gibt es doch nicht! Die Menschheit früher nahm immer nur an, dass Menschen, die etwas besser wussten oder konnten als andere, komisch waren. Nicht von Gott geschaffene Lebewesen. Und so entstand eben dieser Name für die Menschen die... anders waren. Und leider kam es so auch zur Verfolgung und Verbrennung von Hexen. Sie taten etwas Gutes und heilten kranke Menschen durch Kräuter, wurden aber dafür bestraft und verachtet. Ja oft sogar gefürchtet. Der Fortschritt in dieser Hinsicht ist so wichtig. Aber ich darf einfach nicht vergessen, dass man ihn früher nicht kannte. Das ist zumindest meine Meinung. Vielleicht irre ich mich da aber auch total. Wie bei so vielem, seit ich hier in der Vergangenheit feststecke.

„Das ist ja das Problem". Aufgebracht beginnt Black J vor mir auf und ab zu laufen. Im Moment fühle ich nur Hass und Abneigung gegenüber ihm. Es ist nicht fair, dass er mich so ausnutzt und mir das Herz gebrochen hat. Aber eine andere Wahl habe ich nicht. Ich möchte meiner Familie helfen. Und im besten Fall lenkt es mich ab. „Sie hat eine kleine Hütte, die ziemlich versteckt im Hinterland von New Bedford liegt. Aber dort sind die Pocken ausgebrochen und es wäre zu riskant am Hafen anzulegen. Im schlimmsten Fall stecken wir uns alle an und dann ist mein Tod noch sinnloser, als durch die Hand eines vermaledeiten Fluches zu sterben."

„Immer nur geht es um Sie, Joseph", mischt sich Merlin erneut ein. „Merken Sie das eigentlich? Vielleicht sollten sie mal etwas netter zu Finn sein. Schließlich hat er keine Wahl. Er wird wahrscheinlich für immer hier feststecken, wenn er Ihnen nicht hilft."

„Da kann ich nur zustimmen." Jetzt ist es Lena, die spricht. Bissig kann sie in der Tat sein. Sie verschafft sich immer zuerst einen Überblick, ehe sie so richtig in die Puschen kommt. Etwas, das ich schon immer an ihr bewundert habe. „Wir sind doch noch...Kinder. Und Sie verlangen wirklich ziemlich viel von Finn. Vielleicht mag ein sechszehnjähriger Junge zu ihrer Zeit schon ein Mann sein. Das heißt aber nicht, dass das zu unserer Zeit genauso gilt. Wir versuchen einen Platz in der Welt zu finden und ich glaube nicht, dass wir scharf darauf waren, jemals hier gelandet zu sein. Rückgängig können wir es jetzt auch nicht mehr machen. Wie wäre es also, wenn wir uns alle ein bisschen aufeinander...einstellen?"

Erstaunlicherweise werden Black J's Züge sofort weicher.

„Ich bin selbst Vater", murmelt er dann. „ Ich weiß, wie schwierig es ist einem Kind eine gute Zukunft bieten zu können. Und ich denke, ich könnte es nicht ertragen zu wissen, dass mein Sohn eines Tages eine solche Bürde tragen muss, wie ich sie Finn aufhalse. Es tut mir wirklich...leid, aber ich sehe keine andere Chance. So viele Jahre habe ich auf den Mann gewartet, der mich erlöst. Vielleicht war es egoistisch von mir. Aber ich habe mir eingeredet, dass ich es auch für meine Nachfahren mache. In erster Linie wohl für meinen Sohn. Finn ist meine einzige Hoffnung. Und ich wünsche mir so sehr, dass er mir helfen wird."

Ich bin noch lange nicht soweit. Noch viel zu jung für eigene Kinder. Vielleicht wird es auch nicht Lena sein, mit der ich diesen Schritt eines Tages wagen werde. Aber alleine der Gedanke, dass ich eines Tages einen Sohn bekommen könnte, hilft mir eine Entscheidung zu treffen. Nie könnte ich es mir verzeihen, wenn meine Frau unseren Sohn alleine großziehen muss. Das Schicksal kann ich nicht ändern. Auch nicht das, was noch alles kommen mag. Aber den Fluch kann ich brechen. Es zumindest versuchen.

Es ist mittlerweile glasklar, dass ich der Auserwählte bin.

Und ich werde mich diesem Schicksal stellen.

Alleine für den Sohn, den ich eines Tages haben könnte.

Reise ins UngewisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt