Black J

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Finn

Kurz schließe ich die Augen und kneife mir in den Unterarm. Der leicht pochende Schmerz, der sich jetzt bemerkbar macht, geht nicht wieder weg, ganz klar ein Indiz dafür, dass ich nicht träume!

Das hier geschieht also gerade wirklich...

Ergeben öffne ich die Pupillen und das Bild vor mir, hat sich nicht groß verändert. Da sitzen noch immer Lena, Merlin und Amelie und schauen mich lächelnd an. Und da ist noch immer der Kapitän dieses Schiffes, der mich jetzt fordernd ansieht und mir mit den Augen deutet, dass ich mich zu meinen Freunden setzen soll.

Ich komme seiner Bitte nach, aber alles an dieser Situation ist einfach... absurd.

Lena rückt sofort ein Stückchen an mich heran, obwohl ich noch immer meine triefend nassen Klamotten anhabe. Sofort steigt etwas wohlige Wärme in mir auf und ich seufze zufrieden. Eine Tasse mit dampfenden Kakao und vielleicht noch trockene Klamotten und ich könnte mich schon wieder ziemlich wohlfühlen. Wäre da nicht... der Käpt'n.

Wieder schaue ich zu ihm. Er hat schwarze Haare, die wohl schon eine ziemlich lange Weile, kein Wasser und etwas Shampoo, gesehen haben. Die strähnig, fettige Mähne, reicht ihm bis zu den Schultern und manche Haarsträhnen sind zu Zöpfen geflochten, die mit bunten Bändern, zusammengehalten werden. Er grinst mich selbstzufrieden an und beginnt mit einem kleinen, sehr spitzen Dolch, einen Apfel zu schälen und in kleine Scheiben zu schneiden.

Ich habe mich noch immer nicht wirklich von dem ersten Schock erholt. Es ist mittlerweile kristallklar, dass ich nicht träume und es Realität ist, dass ich hier auf diesem Schiff gelandet bin. Nur Gott weiß, wie das passiert ist und wieso ausgerechnet die Ponte Reeves mich hier her geführt hat. 

Uns vier Freunde hier her geführt hat.

Und trotzdem versuche ich ruhig zu atmen. Es kann auch nur ein blöder Zufall sein, dass dieser Mann, der Kapitän dieses Schiffes, von dem ich keine Ahnung habe, wie er eigentlich heißt, exakt aussieht, wie Papa. Natürlich mal von den langen, fettigen Haaren, abgesehen. Aber sonst stimmt alles. Die exakt selben, tiefschwarzen Haare, die leicht gekrümmte Nase und als ich genauer hinschaue, auch ein ziemlich ähnliches Muttermal, wie das von Papa, oberhalb der linken, sehr buschigen Augenbraue.

Wahrscheinlich ist das hier Papas Doppelgänger. Man sagt doch, dass jeder Mensch mindestens einen davon hat.

Ob meine Freunde es auch bemerkt haben?

Na klar, haben sie das. Sie müssen es sogar! Immerhin kenne ich sie seit Jahren und sie waren sehr oft bei mir zuhause und haben meinen Papa auch ständig im Hotel gesehen. Merlin und ich, haben sogar mit Papa öfters Spritztouren in der Limousine unternommen, die dieser für das Hotel, gekauft hat. Damals hat er noch so ziemlich jedes Wochenende, Ausflüge mit uns Kindern gemacht. Auch etwas, das urplötzlich aufgehört hat. Vielleicht kam es auch, weil Merlin und ich immer mehr daran interessiert waren, mit Lena und Amelie abzuhängen. Und weniger mit dem langweiligen Papa, der doch sowieso nur wieder in den Zoo fahren wollte.

„Wie schön, dich hier zu sehen, Finn. Ich bin Captain Black J...", spricht der Kapitän mich an. „ Ich bin mir sicher, dass du ziemlich großen Hunger hast." Er schiebt mir den geschnittenen Apfel zu.

„Ich würde mir jetzt am liebsten erstmal etwas trockenes anziehen", antworte ich. Der Matrose hat mich zwar gewarnt, dass ich aufpassen soll, wie ich mich in Gegenwart seines Käpt'n, verhalten soll. Trotzdem fühle ich mich irgendwie nicht so, als wäre ich in Gefahr. Und eine große Klappe habe ich sowieso fast immer. Dazu friere ich echt wie verrückt. Nicht, dass ich mir jetzt auch noch eine Erkältung einfange.

Zwei tiefbraune Augen, mustern mich sehr lange, ehe der Käpt'n , leicht nickt und mit dem Kopf auf das Bett deutet, das sich in einer angrenzenden Nische der Kajüte, befindet. Es ist ziemlich gut versteckt und trotzdem einsehbar.

Schließlich sitze ich in einer schwarzen Uniform, die mit silbrig aussehenden Knöpfen, bestickt ist, neben Lena und Amelie, an dem großen, runden Holztisch. Es ist wirklich super angenehm, wieder in trockenen Klamotten zu sein. Auch wenn diese Uniform, sich sehr befremdlich trägt und sogar ein kleines bisschen zwickt.

„Iss jetzt", sagt Black J und wieder schiebt er mir das Gedeck mit dem Apfel darauf, zu. „ Deine Freunde sind längst damit fertig und ich will endlich mit diesem Gespräch fortführen. Am besten noch, ehe die nächste Sanduhr durchgelaufen ist. Dann ist nämlich Schlafenszeit für mich".

Jetzt starrt er auf eine Sanduhr, die fast identisch aussieht, wie die, die wir auf Tanta Magdas Dachboden, gefunden haben. Das Gehäuse besteht aus sehr einfachem Holz und die Glaskolben, durch die der Sand rinnt, sind durch Harz und Schnur miteinander verbunden. Ein ziemlich dünnes Metallplättchen separiert beide Glaskolben voneinander und reguliert wohl so den Durchlauf des Sandes. Das feine Zeugs ist bereits zur Hälfte durchgerinnt.

Schnell schiebe ich mir die Apfelschnitze in den Mund, nicht, dass Black J es sich doch noch anders überlegt und ich heute hungrig ins Bett gehen muss. Wo ich mich noch immer frage, wie und wo genau meine Freunde und ich, heute die Nacht verbringen werden. Wenn wir Glück haben, dann werden es die Etagenbetten sein, wo ich nicht glaube, dass Black J so viel Gnade mit uns Kindern hat.

Bisher kann ich mich jedoch noch nicht beklagen und bleibe stumm, bis der Kapitän wieder das Wort ergreift. Mittlerweile hat er sich eine Pelzkappe auf den Kopf gesetzt und sieht damit unwiderruflich wie ein echter Pirat aus. Diese hat eine längliche Form und sieht für mich beinahe aus, wie ein selbst gebasteltes Papierboot. Man kann es sich vielleicht besser vorstellen, wie eine der legendären Kappen, die Blackbeard auf etlichen Zeichnungen von sich, getragen hat.

Im Allgemeinen scheint dieser Captain Black J, viel Ähnlichkeit mit Blackbeard zu haben. Ihm fehlt der legendäre schwarze Bart, der diesem bis auf die Brust reichte, aber eine starke Konkurrenz macht Black J dem wohl legendärsten und berühmtesten Pirat, schon. Wie gut, dass Blackbeard längst verstorben ist und das nicht mehr mitbekommt.

„Deine Freunde hatten das Glück und sind nicht fast ersoffen, wie du es beinahe bist", beginnt Black J und spielt jetzt mit dem Dolch, mit dem er noch vor wenigen Minuten, den Apfel geschnitten hat. Geschickt dreht er diesen in seiner Hand und sticht ihn dann immer wieder in das tiefbraune Holz, ehe er ihn wieder herauszieht und wieder von vorne beginnt. Jetzt erklärt sich mir auch, warum der Tisch so viele Kerben in sich hat. „ Ich bin froh, dass meine Männer dich noch heil aus der See fischen konnten. Schließlich bist es du, den ich brauche, Finn. Du alleine bist der Schlüssel zu der Erlösung, die ich seit Jahren suche." Ich starre ihn nur an. Meine Freunde starren. Wir starren und es sieht bestimmt bescheuert aus, so blöd, dass Black J die Stirn runzelt, tief seufzt und schließlich sagt: „Vielleicht sollte ich am Anfang beginnen. Darf ich vorstellen, mein richtiger Name ist Joseph Aalbert und ich bin dein Ur-ur-ur...-, ach was soll der Mist, ich bin wohl der Grund, warum du überhaupt geboren wurdest, Finn."

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