Erbstück

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Finn

So langsam zweifele ich ernsthaft an meinem Verstand. Hier in der Vergangenheit schreiben wir das Jahr 1716. Ich wurde im Oktober 2007 geboren. Henry muss somit drei Jahre danach gestorben sein. Wohl Ende 2010.

Will Franz mich hochnehmen? Ist er womöglich auch ein Zeitreisender? Oder wie ist es sonst möglich, dass er Henry kennt und scheinbar ein Problem mit ihm hat. Ich dachte eigentlich, dass es irgendwann besser wird und ich endlich Antworten auf die unzähligen Fragen in meinem Kopf bekomme. Stattdessen werden es gerade schon wieder mehr.

„Ich habe nicht gelogen...", versuche ich es stattdessen. „Andreas ist mein leiblicher Papa."

„Du kannst uns nichts mehr vormachen. Der Dolch hat gesprochen", sagt Franz und ist dabei ziemlich gelassen.

„Der Dolch hat gesprochen?", wiederhole ich fragend. Ich klinge dabei bestimmt wie ein ängstlicher Erstklässler, der sich nicht richtig traut die Lehrerin zu fragen, ob er aufs Klo gehen darf.

Franz jedoch verzieht keine Miene.

„Er ist ein Erbstück unserer Familie. Jahrhundertelang wurde er nicht mehr benutzt, sondern nur weitergereicht. Mir wurde gesagt, dass er auf den Auserwählten wartet. Wirklich verstanden habe ich das nie. Aber jetzt kommt es mir zugute...Er hat dich ausgesucht, was mir sofort gezeigt hat, dass Henrys Blut durch deine Adern fließt.  Nur sein Sohn wird die Erlösung bringen. Das hat man mir gesagt. Aber danach wurde ich hintergangen. Und es wird Zeit, dass ich mich räche."

„Hintergangen von w...we..wee...m?", stottere ich.

„Von Henry", zischt Franz und klingt dabei sehr gefährlich. So unauffällig wie möglich gehe ich mit dem rechten Fuß ein paar Schritte rückwärts. Den linken ziehe ich hinterher. Zum Glück hat das keiner bemerkt, aber sonderlich gebracht hat es auch nichts. Ich bin Franz noch immer viel zu nahe...

Sicherlich spricht der von einem anderen Henry. Die Option, dass es sich tatsächlich um meinen Vater handeln soll, wäre einfach absurd. Obwohl... In den letzten Tagen ist vieles sonderbares geschehen, so dass ich im Moment nichts mehr für unmöglich halte. Egal wie absonderlich es auch klingt.

Franz macht keine Anstalten mehr zu erzählen. Dabei hat er doch darauf bestanden, dass wir uns unterhalten sollten.

„Was genau wollen Sie von mir?", wage ich es zu fragen.

„Du bist der Schlüssel zum erfolgreichen Lösen des Familienfluchs", leiert er die Worte hinunter.

„Jetzt lügen Sie."

„Tapfer bist du...", stellt Franz fest. Jetzt steht er mir wieder direkt gegenüber und sofort wird mir mulmig. Ich hatte nicht bemerkt, dass er auf mich zugekommen ist. Dieser intensive Blick aus seinen Pupillen lässt mich immer wieder aufs Neue schaudern. „Hat dein Papa dir nicht beigebracht, dass man Älteren gegenüber Respekt zollt?"

„Halten Sie Papa da raus." Ich gebe mich wieder mutiger als ich es eigentlich bin. „Und nennen Sie mir einen Grund warum ich gerade Ihnen helfen sollte? Sie sind doch Schuld, dass ein Fluch auf unserer Familie liegt. Wenn es Ihnen nur darum gehen würde, dann hätten Sie mich nicht daran hindern sollen, Susanna aufzusuchen."

„S-u-s-a-n-n-a", sagt er langsam und betont jeden einzelnen Buchstaben ihres Namens ganz genau. „Du glaubst wirklich, dass sie dir helfen wird... Oh nein, sie will dich nur benutzen. Ihre Absichten sind nicht gut."

„Aber die Ihre", sage ich hämisch. „Ich denke nicht, dass die besser sind. Sie wollen offensichtlich den Mann loswerden, der mich gezeugt hat. Ich weiß zwar nicht, wie genau das funktionieren soll, wo es noch eine halbe Ewigkeit dauert, bis er geboren wird. Aber eines weiß ich sicher. Da mache ich nicht mit. Er ist schließlich mein Vater und ohne ihn werde auch ich nicht mehr geboren."

Was ist, wenn das Franz' Plan ist? Hier geht es nicht mehr um den Familienfluch. Nein, es ist etwas ganz anderes. Ich muss nur noch herausfinden was.

„Schlaues Kerlchen", lobt Franz mich und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Fast schon zu schlau. Ich fürchte die Zeit drängt. Du wirst zu nichts gezwungen mein lieber Junge. Aber ich denke es wäre besser, wenn du mit mir zusammenarbeitest. Das würde die ganze Sache, sagen wir... vereinfachen."

„Einen Scheiß werde ich tun".

Darauf ernte ich einen ungläubigen Blick von Franz.

„Heißt dieses Wort „Scheiß", das was ich denke. Du verweigerst mir deine Mithilfe?"

„Oh ja. Genau das tue ich."

Im Moment bin ich so wütend. So arg, dass ich Franz böse anfunkele. Es ist riskant. Aber wieder einmal geht einfach mein Temperament mit mir durch. Ich schaffe es immer wieder mich in große Schwierigkeiten zu manövrieren. Zu meinem Erstaunen reckt Franz ergeben die Hände nach oben.

„Ich gebe ja zu, dass mein Plan nicht gerade der beste ist", meint er schließlich mit einem versöhnlichen Unterton in der Stimme. „Vielleicht sollten wir uns wirklich mit Susanna treffen. Mir geht es doch gar nicht wirklich um Henry. Ich wollte nur testen, ob du genug Mumm in dir trägst. Es ist wichtig, dass du tapfer bist. Das Lösen des Fluchs wird nicht unbedingt ein Spaziergang."

Wer's glaubt wird selig.

Wem versucht er hier etwas vorzumachen?

„Was für Probleme macht Henry Ihnen denn?" 

„Das kann ich dir leider nicht sagen."

„Wen denken Sie können Sie hier veräppeln?"

„Wenn ich dazu auch mal etwas sagen dürfte", höre ich Blackbeards Stimme. Die ganze Zeit hat er still in der Ecke neben Black J gestanden. 

„Captain", brummt Franz und macht eine einladende Geste mit der Hand.

Blackbeard kommt auf uns zu und bleibt direkt neben mir stehen.

„Ich werde dir solange Probleme machen, bis du die Erlösung bekommen wirst, die du verdient hast, Franz", zischt er gefährlich leise in dessen Richtung. 

Noch während er spricht, greift er meine linke Hand. Mit der rechten packt er den Dolch, der wieder auf dem Holztisch liegt.

Und dann geht alles ganz schnell.

Ich sehe nur noch Franz' verwunderten Gesichtsausdruck und wie sich dieses in Sekundenschnelle zu einer gefährlichen Fratze verzieht. Aber er kann uns nichts anhaben, weil wir dabei sind zu fliehen. Ich könnte schon fast sagen, dass wir dabei sind uns... aufzulösen.

Es fühlt sich so an, als würde ich wieder durch einen Strudel gezogen. Nur sind da keine Farben, die um mich kreisen. Stattdessen spüre ich einen Hieb im Magen, der mir die Luft wegdrückt.

So schnell wie es angefangen hat, ist es auch wieder vorbei.

Etwas verwirrt taste ich meinen Körper ab. Alles an mir ist noch da, wo es sein soll. Für einen Moment hatte ich Sorge, dass es anders sein könnte...

Schwindel überkommt mich, aber ich schaffe es auf den Beinen zu bleiben. Um es etwas angenehmer zu machen, gehe ich in die Knie und beuge ich mich nach vorne. Diese Stellung gebe ich aber auch ziemlich schnell wieder auf, weil mich das Gefühl der Benommenheit erneut überwältigt.

Blackbeard hat meine Hand gleich wieder losgelassen. Ich spüre seinen besorgten Blick auf mir, aber im Moment bin ich so überwältigt, dass ich erst einmal einen Moment für mich brauche.

Bis eben waren wir noch in der Gefangenschaft der Rebellen, jetzt stehe ich neben Blackbeard inmitten einer kleinen Hütte. Im Kamin lodert ein behagliches Feuer und auf der Decke davor schlafen zwei Mädchen dicht aneinandergeschmiegt.

Reise ins UngewisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt