Begrenzte Möglichkeiten

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Finn

Seit uns allen eben offenbart worden ist, dass Blackbeard einmal als Henry wiedergeboren wird, kaut Merlin diesem die Ohren ab. Eigentlich sollten wir uns einen Plan überlegen, wie wir oder besser gesagt ich, den Trank der ewigen Jugend zerstören kann. Aber Merlins Fragen,- und es sind sehr viele, halten uns davon ab. Ich kann so gut verstehen, dass er so viel wie möglich über seinen Onkel wissen möchte, da er davor immer nur Magda fragen konnte. Und sicher hat sie ihm bei vielem nicht die ganze Wahrheit gesagt.

„Er hat dich sehr lieb gehabt, mein Junge", sagt Blackbeard irgendwann, als er die Schnauze gestrichen voll von Merlins Fragerei hat. „Henry dachte sehr oft an dich und hat sich sehr gewünscht, dass Finn und du einmal gute Freunde werdet. Wie es aussieht hat sich dieser Traum erfüllt."

„Ich wünschte nur so sehr, dass ich mich an irgendetwas von dem Jahr erinnern könnte, als ich zu Magda kam. Ich war erst zwei Jahre alt. Also muss Henry noch ein Jahr da gewesen sein. Sich um mich gekümmert haben... Genauso wie seine kleine Tochter! Nur da ist einfach nichts mehr."

Oh ich kann Merlin so gut verstehen...

„Mach dich nicht verrückt", versuche ich meinen besten Freund zu beruhigen. „Meine ersten richtigen Erinnerungen kamen auch erst zur Kindergartenzeit. Ich denke, das ist normal."

„Ich denke wir sollten weiter überlegen, wie wir vorgehen möchten", meldet sich Susanna zu Wort.

Noch heute Abend wollen wir aufbrechen. Die ganze Sache hinauszuschieben wäre der falsche Weg. Vielleicht der einfache und doch der Falsche! 

„Ich hatte noch nie einen Dolch in der Hand", gebe ich zu. Eine Tatsache, die mir später hoffentlich nicht zum Verhängnis wird.

„Es ist auch nichts anderes, als ein Messer in der Hand zu halten", meint Blackbeard. „Nur ist dieser Dolch ein wenig länger, als ein solches. Der Parier schützt deine Hand, so dass nichts passieren kann, wenn du abrutschen solltest."

„Dann ist jetzt wohl der Moment gekommen", sage ich tapfer. Im Inneren dagegen tobt ein Sturm. Was ist, wenn ich das vergeige? Es kann so vieles schief laufen.

Ich darf die schlechten Gedanken nicht Herr über mich werden lassen. All das tue ich nur für meine Familie und für meine Freunde, die meinetwegen durch die Hölle gehen würden. Es ist Zeit, dass ich ihnen etwas zurückgebe.

Die linke Hand schlinge ich in Lenas, während ich in der rechten den Dolch meiner Vorfahren trage. Zusammen werden wir diese Aufgabe meistern. Außerdem ist es seltsamerweise wunderbar tröstlich, Blackbeard an meiner Seite zu haben. Ich habe gemischte Gefühle für den Captain. Er hat mir das Leben gerettet, weil sein zukünftiges Ich ihn darum gebeten hat. Mein leiblicher Vater, der nur sterben musste, weil er einen Sohn gezeugt hat. Heute werde ich ihn rächen. Und nicht nur ihn, sondern so viele meiner männlichen Vorfahren, die sterben mussten, weil Franz seinen Hals nicht voll genug bekommen hat.

All das nur wegen einem Tropfen vom Trank der ewigen Jugend.

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Natürlich hat Franz es uns nicht leicht gemacht. In dem Gasthaus, aus dem Blackbeard und ich geflohen sind, waren sie nicht mehr anzutreffen. Seine Männer und er verschwunden. Nirgends an Land sind sie zu entdecken. Als wir uns dem Hafen nähern, hören wir von Black J's Schiff lautes Gegröle und Stimmengewirr.

Durch den Schleier des Regens, der auf uns herabprasselt, sehe ich die Person, die an der Reling lehnt und mit einem schiefen Grinsen zu uns hinunterschaut, nur verschwommen. Trotzdem könnte ich diese Fratze niemals vergessen. Unverkennbar Franz, der jetzt eine einladende Geste in unsere Richtung macht.

„Das ist jetzt nicht wirklich sein Ernst", piepst Amelie hinter mir. „Wir müssen wirklich wieder diese wackelige Gangway hoch."


Ich dagegen habe ganz andere Sorgen. Auf dem Schiff haben wir nur begrenzte Möglichkeiten, Franz in die Enge zu treiben. Ein Fehler und wir haben verloren. Aber es nützt alles nichts. Susanna und Blackbeard gehen als erstes an Bord. Wir vier Freunde folgen ihnen nur einen Augenblick später.


„Wie schön, dass ihr meiner Einladung gefolgt seid", säuselt Franz, als wir alle heil an Bord angekommen sind. Amelie zittert wie verrückt, aber Merlin kann sie beruhigen. „Wir legen in wenigen Minuten ab und unser Ziel wird euer Verderben sein."

Er schafft es ziemlich schnell uns einzuschüchtern. Wir hatten das alles ganz anders geplant. Aber wie sollte es auch anders sein. Es kommt ja immer anders, als man denkt.

„Stark bleiben, Finn", nuschelt Blackbeard mir ins Ohr. „Leg den Fokus auf das, was wir besprochen haben und verlier niemals das Ziel aus den Augen, was auch kommen mag."

„Blackbeard mein Lieber", ruft Franz jetzt und klatscht gespielt freudig in die Hände. „Oder sollte ich doch lieber Henry sagen. Was ist dir lieber, mein alter Freund."

„Du kannst mir keine Angst einjagen."

„Das wollen wir sehen... Bring ihn in den Lagerraum Black J. Darin kann er sich ein paar Gedanken machen. Vielleicht kommt er ja irgendwann wieder zur Vernunft."

Da ist er wieder. Joseph. Black J. Er schafft es noch immer nicht mir wirklich Angst einzujagen, obwohl er einen ziemlich grimmigen Gesichtsaufdruck aufgesetzt hat. Er packt Blackbeard und zerrt ihn davon. Viel Widerrede leistet dieser auch nicht. Im Gegenteil, er lässt es stillschweigend über sich ergehen.

Ich dagegen schiebe Panik. Für was plant man den ganzen Vormittag und halben Nachmittag, wenn sowieso alles ganz anders kommt.

„Verräter", rutscht es mir heraus, als Joseph sich an mir vorbeidrängt.

Kurz meine ich ein erstauntes, beinahe schmerzhaftes Zucken in seinem Gesicht zu erkennen. Aber seine Züge verhärten sich sofort wieder. Sicher habe ich mich nur getäuscht.

Blackbeard schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich versuche es zu beherzigen, was im Moment mehr schlecht gelingt, als recht.

„Jetzt zu uns." Franz kommt direkt auf mich zu. „Ich denke wir brauchen keine Konversation mehr führen, die um das Wetter geht... Wir wissen beide, dass uns ein Kampf bevorsteht. Und darin kann es nur einen Sieger geben. Wie wäre es, wenn du gleich aufgibst, damit ersparst du uns beiden sicherlich sehr viel und dir selbst eine riesengroße Blamage."

Für einen kurzen Moment bin ich wirklich gewillt auf Franz' Vorschlag einzugehen. Ich fühle mich so gar nicht in der Lage dieses Gefecht zu führen.

Aber ein Blick auf meine Freunde reicht, um diesen Gedanken wieder ganz schnell zu verwerfen. Alle drei lächeln sie mich an und recken die Daumen nach oben. Sie sind stark, obwohl sie bestimmt furchtbare Ängste ausstehen müssen.

„Ich bin bereit", antworte ich und recke mein Kinn in die mittlerweile kühle Nachtluft. Der Regen hat versiegt. Nur die Fackeln an den Seitenwänden spenden ein spärliches Licht. Das erschwert die Situation ungemein.

Für meine Freunde.

Und für meine Familie.

Ich reiße den rechten Arm mit dem Dolch nach oben und stürme auf Franz zu.

Reise ins UngewisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt