Bernsteinfarbene Augen

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Finn

Stille. Das ist alles was ich wahrnehme. Nach und nach mischt sich ein leichter, doch sehr penetranter Schmerz in meinem Kopf zu dem Gefühl der Stille. Ich traue mich gar nicht nach Atem zu schnappen. Schon einmal war es so still um mich herum gewesen. Damals bin ich beinahe ertrunken. Was ist, wenn sich das jetzt wiederholt? Mein Herzschlag verdoppelt sich. Die Panik versucht Besitz von mir zu ergreifen.

Ruhig bleiben, Finn. Sicher ist es diesmal ganz anders.

Ich kann nicht mehr dagegen ankämpfen. Gierig schnappe ich nach Luft und tatsächlich füllt sie sofort meine Lungen. Erleichterung mischt sich zu dem Schmerz. Ich habe immer noch die Augen geschlossen. Vielleicht sollte ich es endlich wagen sie zu öffnen.

„Finn". Es ist beinahe nur ein Wispern, aber es ist da.

Ganz sicher! 

Ich bin also nicht alleine.

Ich schlage die Augen auf. Um mich herum nur Dunkelheit. Die Stimme muss vom anderen Ende eines Raumes kommen, in dem ich mich befinde. Ich habe sie schon einmal gehört. Sie kommt mir so bekannt vor und trotzdem kann ich sie nicht zuordnen. Ein kleiner Lichtkegel scheint in die Dunkelheit hinein. Es ist nicht viel, aber so kann ich zumindest etwas erkennen. Schemenhafte Umrisse einer ziemlich großen und schlaksigen Person.

Ich versuche aufzustehen, komme ins Straucheln und werde sofort wieder auf den Holzstuhl zurück gepfeffert, auf dem ich sitzen muss. Da sind sowas wie Seile an meinen Händen und wohl auch meinen Beinen. Bisher habe ich sie nicht gemerkt, aber jetzt spüre ich die Fesseln. Sie sind stramm gebunden und nehmen mir so jede Freiheit. Ich kann nicht einmal die Beine bewegen, geschweige denn die Arme hochheben. Außerdem schneiden sie sich etwas in meine Handinnenflächen.

„Wo sind wir?", flüstere ich in die Stille. Zumindest ist mein Mund nicht geknebelt.

„Joseph hat sich täuschen lassen". Es klingt wie ein Murmeln, wird aber mit jedem gesprochenen Wort lauter. „Er hat dich betäubt und dann hierher gebracht. Mein Freund hat sich in die Irre führen lassen."

„Von wem hat er sich täuschen lassen?", hake ich nach. Es ist beruhigend, dass ich nicht alleine bin. Es ist Blackbeard, der mir Gesellschaft leistet. Ich habe es an der ungewöhnlichen Sänfte seiner Stimme herausgehört, die so gar nicht zu seinem Erscheinungsbild passen mag.

„Von seinem Großvater Franz."

„Der ist doch schon lange tot oder nicht wahr?"

„Das dachte ich auch", sagt Blackbeard. „Es scheint, dass er nicht nur mich getäuscht hat, sondern die ganze Nachwelt auch."

„Was will Franz von mir?"

„Das kann ich dir nicht sagen, mein Junge. Ich mag sehr vieles wissen, aber in diesem Falle bin ich genauso unwissend wie du."

„Was will er von Ihnen?"

„Ich denke ich hege ein ebenso großes Geheimnis. Mit der Zeit wirst du es erfahren, aber im Moment habe ich noch nicht den Mut es mit dir zu teilen."

Ich grübele eine Weile vor mich hin, bis eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite von mir, geöffnet wird. Das helle Licht der Quelle in diesem angrenzenden Raum blendet mich und ich halte die Hand vor die Augen. Die Kopfschmerzen drücken sich schmerzhaft gegen meine Stirn. Was würde ich jetzt für eine Kopfschmerztablette geben.

Eine ziemlich große Gestalt kommt auf mich zu. Geschickt macht sie sich an meine Fesseln zu schaffen und in nur wenigen Sekunden bin ich frei.

Das wurde aber auch Zeit.

„Mitkommen", brummt die Person.

Wackelig schaffe ich es auf die Beine zu kommen. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich gefesselt war, aber es fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Ich komme nur sehr langsam voran. Mit jedem Schritt fühlt es sich an, als würden meine Beine gleich nachgeben und ich auf den Boden sinken. Aber ich bemühe mich, dass das nicht geschieht. Der Mann vor mir scheint ziemlich grimmig und ich habe keine Ahnung, was genau er mit mir anstellen würde, wenn ich jetzt zusammenbreche.

Auch Blackbeard wird befreit. Im Licht kann ich den langen schwarzen Bart von ihm erkennen. Seine Haltung ähnelt meiner. Ich kenne den Captain noch nicht sehr gut. Die Legenden über ihn scheinen auf jeden Fall nicht zu stimmen. Vor mir steht ein starker Mann, der irgendwie... gebrochen scheint. Ein kurzer Blick in seine Augen verrät mir, dass er genauso erschöpft und ausgelaugt ist, wie ich mich fühle. Seine Uniform hängt traurig und schwer an seinem Körper. Im Moment erinnert er mich mehr an einen Sklaven, als an einen berüchtigten Piraten.

Wir schlurfen dem Mann hinterher, bis wir in einem anderen Raum ankommen, in dem warmes Kerzenlicht als Quelle der Helligkeit und Behaglichkeit dient. An der linken Wand knistert ein Feuer im Kamin, was noch mehr zu einer wohligen Atmosphäre beiträgt. Aber es ist alles nur der Schein. Wir sind bestimmt nicht hier um Tee zu trinken und uns gut zu amüsieren. Gegen die Wärme des Feuers habe ich aber nichts einzusetzen.

Zwei weitere Personen treten in mein Blickfeld. Einer davon ist Joseph. Papas Gesicht würde ich überall erkennen. Auch wenn Black J völlig anders aussieht, als noch vor ein paar Stunden, als wir zusammen unterwegs waren. In dem Moment, als die Männer uns umzingelt haben. Die langen, strähnigen Haare, in die bunte Bänder gebunden waren, sind verschwunden. Stattdessen trägt er jetzt eine Kurzhaarfrisur. Es steht ihm ziemlich gut und macht die Ähnlichkeit zu Papa nur noch größer.

Die andere Person hat hellbraunes Haar, das in einem edlen Zopf endet. Bernsteinfarbene Augen schauen mich interessiert an. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinen Oberarmen. An diese Pupillen kann ich mich erinnern. Das Gesicht dazu steckte unter einer schwarzen Maske. Jetzt ist es frei und es endet ziemlich spitz. Die Wangenknochen stechen deutlich hervor und unterstreichen eine makellose Schönheit.

„Wie schön dich kennenzulernen, Finn", säuselt er. „ Ich bin Franz. Und ich habe gehört, dass du einer meiner Nachfahre bist. Wie es heißt ein ganz besonderer...Bestimmt hast du nichts dagegen, wenn wir uns ein wenig unterhalten."

Sollte Franz nicht längst tot sein? Gestorben durch den Fluch, den er sich und unserer Familie aufgehalst hat? Und vor allem, wie kann es sein, dass er blutjung vor mir steht? Höchstens Mitte zwanzig?

Ich bin es so satt. Ich will endlich wissen, was hier vor sich geht.

Und vor allem, ob meine Freunde in Sicherheit sind.

Reise ins UngewisseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt