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„So, nach fünf Wochen bin ich froh sie endlich hier rausschmeißen zu dürfen" entgegnet mir der Arzt. Er übergibt mir meine Entlassungspapiere.
„Im übrigen sind dort in der Schublade noch ihre Privatgegenstände die sie am Unfallort dabei hatten. Ich wünsche ihnen alles gute, wir sehen uns dann zur Nachuntersuchung" verabschiedet er sich von mir. Ich bedanke mich nochmals bei ihm und verabschiede mich ebenfalls.
„Na dann, raus mit dir" sagt Kim freudig.
„Ja lass mich noch kurz meine Sachen nehmen" lachte ich und nahm alles aus der Schublade. Es war nicht viel, lediglich meine Uhr, mein Haustürschlüssel und mein Handy, welches so aussieht als würde es schon längst nicht mehr funktionieren.
„Also los" sage ich und drehe mich Richtung Tür. Kim bringt mich noch bis zum Ausgang vom Krankenhaus.
„Jetzt muss ich mich wohl bei dir auch noch verabschieden" sage ich und drehe mich zu ihr.
„Kein Abschied. Wohl eher ein bis Bald. Ich werde bei jeder Nachuntersuchung dabei sein. Mich wirst du nicht so schnell los." lachte sie und nahm mich in den Arm.
„Danke. Dann Bis Bald" verabschiede ich mich von ihr.
„Bis bald. Pass auf dich auf" ruft sie mir noch hinterher.

Ungläubig laufe ich die Straßen von Dortmund entlang. Ich könnte mit dem Bus fahren. Doch das wollte ich nicht, erst seit heute kann ich mich wieder frei bewegen. Dies sollte man zu schätzen wissen, daher laufe ich. Einfach, weil ich es jetzt brauche. Diese Bewegungen tun einfach gut. 40 Minuten bin ich unterwegs, bis ich vor meiner Haustür stehe und diese Aufschließe. 40 Minuten habe ich überlegt, was ich zuhause tun soll. Die ganze Zeit schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich zu Julian will. Ich will ihn sehen. Aber ist er denn überhaupt noch am Leben? Nichts habe ich von ihm gehört. Nichts habe ich von Jannis gehört. Jannis hätte mir doch wenigstens Bescheid gesagt. Normalerweise hätte er mich auch besucht.
Völlig in Gedanken betrete ich meine Wohnung. Doch was ich dort sah, hätte ich in 100 Jahren niemals gedacht. Sie stand leer. Kein einziges Möbelstück stand mehr. Verwirrt irre ich durch jeden Raum. Alles schaue ich mir genau an. Wie kann das sein? Wieso steht meine Wohnung komplett leer. Wo ist alles hin? Wo soll ich jetzt hin?
Komplett durch den Wind Stürme ich aus meiner Wohnung raus. Und was ich dann sah, nahm mir jegliches aus dem Gesicht.
Ich sah ihn, Julian. Mit einer Frau. Händchen haltend. Gemeinsam betreten sie sein Haus. Er lebt also. Und hat eine andere. Hat mich einfach alleine gelassen. Er war doch dabei. Er war doch auch am Unfall beteiligt. Wie kann er mich einfach so hintergehen. Nicht einmal hat er mich besucht. Er hätte es mir wenigstens sagen können. Ich bin gerade einfach nur Unfassbar wütend, enttäuscht und Zerbrochen zugleich. Und was ist mit Jannis? Er wusste es bestimmt die ganze Zeit und hat mich ebenfalls im Stich gelassen. Zu einem Zeitpunkt wo man glaubt, Freunde seien füreinander da, lassen sie dich einfach fallen. Da ich derzeit nichts außer mir selber besitze, gibt es nur eine einzige Möglichkeit um wenigstens ein paar Klamotten zu haben. Ich muss zu Jannis und Julian. Dort habe ich noch einiges von mir liegen, zumindest wenn das nicht auch schon weg ist wie alles andere was ich besitze. Aber schaffe ich es, einfach so darüber zu gehen? Ich muss es, mir bleibt keine andere Wahl.
Ich wische mir noch schnell die Tränen aus dem Gesicht, ehe ich zu den beiden rüber laufe und Klingel. Zu meinem Bewundern öffnet mir noch Jannis oder Julian die Tür, sondern die Frau mit der Julian kurz vorher erst reingegangen ist.
„Kann ich dir irgendwie helfen?" fragt sie Arrogant und schaut mich von oben bis unten abwertend an.
„Du bestimmt nicht" sage ich und laufe strikt an ihr vorbei.
„Jannis, Jule, hier ist so eine verrückte die einfach ins Haus stürmt!" schreit sie durch das ganze Haus.
Ich versuche ihre Worte einfach zu ignorieren und laufe strikt ins Badezimmer, um mir dort meine Sachen zu holen.
„Wo ist sie?" höre ich Jannis fragen.
„Wer ist sie?" höre ich Julian fragen.
„Keine Ahnung wer sie ist, sie ist da entlang. Soll ich die Polizei rufen?" höre ich die Frau sagen.
„Wir schaffen das schon ohne die Polizei" sagt Jannis und geht vor. Ich höre immer näher kommende Schritte. Die Badezimmertür hatte ich verschlossen, damit niemand mich dabei stören kann.
„Mach die Tür auf. Wer bist du?" schreit jannis laut und klopft gegen die Tür.
Als ich fertig war öffne ich die Tür.
„Ich bin Niemand. Vergessen habt ihr mich ja sowieso schon" entgegne ich ihm mit Tränen in den Augen.
„Heilige Scheiße. Marie du-" fängt er an.
„Lass es sein Jannis. Ich bin nur hier um meine Sachen zu holen." sage ich.
„Wer ist es?" schreit Julian vom Schlafzimmer aus.
Da Jannis nichts sagen konnte, sondern mich nur anstarrte, entschied ich mich dazu, einfach an ihm vorbei zu gehen. Ins Schlafzimmer musste ich schließlich auch noch. Mit Tränen in den Augen öffne ich die Tür vom Schlafzimmer die nur angelehnt war. Ich betrete das Zimmer und stand direkt vor ihm. Er schaute mich an. Undefinierbar. Schrecklicher Moment. Ohne ein Wort zu sagen ging ich an ihm vorbei zum Kleiderschrank. Leider konnte ich meine Sachen dort nicht auffinden.
„Wo sind meine Sachen?" frage ich brüchig.
Julian tritt ein Schritt zur Seite und holt hinter der Tür einen Karton hervor. Er starrt mich schon wieder an, als wäre ich ein Geist.
„Wow. So viel war ich also wert" sage ich mit Tränen in den Augen die zunehmend stärker werden.
„Marie-" fängt Julian an.
„Oh nein. Du hast kein Recht mit mir zu reden." werde ich ihm vor und reiße ihm den Karton aus der Hand.
„Jetzt kann ich wenigstens wieder verschwinden" sage ich und laufe an ihm vorbei. Im Wohnzimmer versperrt Jannis mit den Weg nach draußen.
„Jannis geh mir aus dem Weg!" schreie ich ihn an.
„Nein. Ich will wissen wie es dir geht" sagt er.
„Wir müssen reden" wirft Julian, der mir gefolgt ist, hinterher.
„Baby kennt ihr die etwa?" fragt dieser Blondine Julian und klammert sich an seinen Arm. Auf den ersten Blick wusste ich schon, dass diese Frau absolut nichts im Hirn hat.
Julian nickte nur um ihre Frage zu beantworten.
„Wir müssen garnichts. Wir beide hatten einen Unfall. 2 Tage war ich bewusstlos und als ich aufwachte wusste ich nicht mal was passiert war. Ich konnte nicht sprechen, geschweige denn mich bewegen. Ich musste beatmet werden. Konnte nichts essen oder trinken. Als keiner von euch beiden es nötig hatte mich zu besuchen dachte ich du wärst Tot Julian. Aber du scheinst ja noch sehr lebendig zu sein. Vom Unfall hast du sicher auch nichts abbekommen stimmt's? Sowas wie dich hatte ich mal besten Freund genannt Jannis. Nicht ein einziges Mal hattest du mich besucht. Wisst ihr eigentlich wie ich mich fühle? Ich konnte mich fünf Wochen nicht bewegen oder sprechen. Erst seit heute kann ich das alles wieder. Ich musste Operiert werden. Ich habe mehrere Rippen gebrochen. Unzählige Quetschungen. Und ihr interessiert euch einen scheiß für mich. Von dir habe ich es regelrecht erwartet dass du mich wieder verarscht und einfach fallen lässt Julian. Aber du Jannis? Niemals hätte ich das geglaubt. Ich will nie wieder etwas mit euch beiden zu tun haben. Die nächsten 6 Monate werde ich euch auf der Arbeit noch ertragen müssen. Danach allerdings verschwinde ich aus Dortmund und komme nicht mehr wieder. Also geh mir verdankte scheiße nochmal aus dem Weg Jannis!" schreie ich alles einfach aus mir heraus.
Jannis macht keine Anstalten an die Seite zu gehen.
Ich schmeiße ihm den Karton mit meinen Sachen direkt vor die Füße, da ich ohne den Karton besser an ihm vorbei komme.
„Ist mir scheißegal was ihr mit meinen Sachen anfangen wollt. Mehr als das besitze ich ja sowieso nicht. Und nur zum Verständnis Julian, zwischen uns beiden ist es endgültig aus. Ich hoffe du bist zufrieden. Viel Spaß mit deiner Blondine" werfe ich noch hinterher, ehe an an Jannis vorbei stürme und die Tür Lautstark hinter mir zuknalle. Um nicht draußen in der Kälte zu stehen, verschwinde ich erstmal in meine Wohnung.

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