14. Kapitel

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Ich wusste nicht, welcher Teufel mich da geritten hatte. Was hatte ich mir dabei gedacht, Pucey zu küssen? Doch ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken: Kaum hatte ich mich schwer atmend von Pucey gelöst, hielten mich seine blauen Augen fest.

«Was war das?», fragte er atemlos.

«Ich ... weiss es nicht ...?», erwiderte ich.

«Hmm ...», machte Pucey und strich seinem Zeigefinger über meine Lippen. Ich zuckte zusammen bei seiner Berührung und er lächelte. «Vielleicht sollten wir es herausfinden?»

«Was ... herausfinden?», fragte ich verwirrt.

«Das», hauchte er und legte seine Lippen auf meine.

Stromstösse zuckten durch meinen Körper. Alles kribbelte. Sogar meine Zehen. Und es fiel mir schwer, richtig zu atmen ... Aber ich wollte auch nicht, dass Pucey aufhörte mich zu küssen. Ich wollte ... ich wollte ... ich hatte keine Ahnung, was ich wollte.

Nur eine Sache wusste ich ganz sicher: Das war falsch.

Widerwillig löste ich mich aus Puceys Armen. «Nein.»

«Nein was?», flüsterte Pucey verwirrt.

«Nein das», sagte ich und wedelte mit den Händen zwischen uns.

Seufzend trat Pucey einen Schritt zurück und setzte sich dann wieder auf die hinterste Bank der Tribüne. Die Hände im Nacken verschränkt sah er wieder in den Himmel, während ich das tat, was ich am besten konnte: Ich lief davon.


Es war bereits weit nach Mitternacht gewesen, als ich in den Gemeinschaftsraum zurückgekehrt und zu Bett gegangen war. Mir war nicht klar gewesen, wie viel Zeit ich mit Pucey verbracht hatte ... und die meiste Zeit davon hatte ich um Cedric geweint. Und dann hatte ich ihn geküsst. Ausgerechnet Pucey! Pucey, mit dem ich kaum gesprochen hatte, seit ... seit er mich das letzte Mal geküsst hatte?!

Verzweifelt stützte ich den Kopf auf den Händen ab und starrte in mein Porridge.

Jemand setzte sich neben mir auf die Bank. «Alles in Ordnung, Adrienne?», fragte Kaspar.

Ich nickte nur stumm. Natürlich war nicht alles in Ordnung.

«Wegen gestern ... das mit Jessie und deiner Ma ... wegen Gr– ... du weisst schon wer», Kaspar seufzte. «Ich glaube, Jessie und ich verstehen jetzt, was du gemeint hattest.»

Langsam nickte ich. Über allem was gestern Abend noch geschehen war, hatte ich meinen Streit mit Jessie darüber, ob dunkle Zauber auch gut sein konnten, schon fast wieder vergessen.

«Aber», sagte Kaspar und ich liess meinen Kopf noch tiefer auf meine Hände sinken, «wir haben auch darüber diskutiert, dass gute Zauber auch zum Bösen eingesetzt werden können, weswegen wir beide der Meinung sind, dass dunkle Zauber – nicht alle wohlgemerkt! – durchaus auch zum Guten eingesetzt werden können. Es kommt natürlich stark auf die Situation an und sollte niemals leichtfertig getan werden ... Ist wirklich alles in Ordnung, Adrienne?», fragte Kaspar.

Ich hatte mich aufgerafft und Kaspar mit einem missglückten Lächeln angeschaut. War ihm klar, wie wenig es mich gerade interessierte, ob ein Zauber gut oder böse war? Ich hatte gerade einen ziemlich bösen Fehler begangen.

«Du siehst ... tut mir leid, aber du siehst schrecklich aus, Adrienne. Was ist geschehen?», fragte Kaspar besorgt.

Mein missglücktes Lächeln wurde etwas breiter und etwas weniger missglückt. «Wird schon wieder», sagte ich lächelnd.

«Sicher?», fragte Kaspar. «Du siehst aus, als hättest du keine Minute geschlafen. Deine Augen sind ganz gerötet und verquollen ...»

«Ich habe wirklich kaum geschlafen», gestand ich, was durchaus der Wahrheit entsprach. Dass ich mir zudem die halbe Nacht in Puceys Armen die Augen ausgeweint hatte, verschwieg ich.

Ungewisse Wege - Adrienne Seanorth 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt