Kapitel 6

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[Jonas Blue - Perfect Strangers]

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Maxi's Pov

Bin sofort da.

Ich habe Hannah gerade mal nach zwei Minuten mit einer Antwort auf ihre Frage, ob ich zum Strand kommen will, geantwortet. Hab ich die Jungs dafür links liegen gelassen? Ja. Tut es mir leid? Vielleicht. Aber werde ich es bereuen? Nein.
Ich habe mich immerhin gefreut, etwas von ihr zu hören und es natürlich versucht zu verbergen. Die Pappnasen, sollen nicht merken, wie glücklich ihre Nachricht mich gemacht hat. Sie würden mich nur aufziehen und das brauche ich jetzt echt nicht, auch wenn ich weiß, dass sie es nur gut meinen.

Am Strand angekommen, fällt es mir nicht schwer, Hannah auszumachen. Sie liegt immerhin in der Nähe, in der wir gestern noch gesessen sind. Ich beobachte sie eine Weile, bis ich dann auf sie zugehe. Sie liegt auf einem ausgebreiteten hellblauen Handtuch, mit dem Gesicht zur Sonne, eine schwarze Sonnenbrille auf ihrer Nase und sieht entspannt aus. Zu einer kurzen beigen Shorts trägt sie ein weißes Bikinioberteil, ihre Schuhe, beziehungsweise ihre Flip-Flops, liegen neben ihr und einer Strandtasche. Die Sonnenstrahlen, die auf sie herab scheinen, lassen sie anmutig und majestätisch wirken. Ihre hellbraunen Haare, die sich links und rechts an ihre Schultern schmiegen, wirken schon fast blond. Langsam mache ich mich durch den Sand auf den Weg zu ihr und als ich vor ihr angekommen bin, legt sich ein Schatten über sie, der klarerweise von mir stammt. Sie nimmt ihre Sonnenbrille ab und mustert mich.

Das zierliche Mädchen vor mir strahlt förmlich. Nicht mit ihrem Lächeln, denn da ist keines auf ihren Lippen, aber einfach durch ihr Auftreten. Ihrer Wirkung. Doch wenn ich ihr in die Augen schaue, verlischt das Ganze wieder. Da ist kein Glanz mehr, nur Dunkelheit. Und unmittelbar frage ich mich, warum Hannah so traurig wirkt. Als würde sie mit etwas kämpfen. Kopfschüttelnd verdränge ich den Gedanken. Genauso wie den Gedanken unterdrücke ich den Reiz, sie danach zu fragen, was sie bedrückt.
"Maxi", flötet sie freudig, was mich stutzig macht. Ihr erfreuter Unterton passt nicht zu ihrer Ausstrahlung. Sie setzt sich auf und langsam verzieht sich ihr Mund zu einem Lächeln, sie sieht trotzdem nicht weniger bedrückt aus.
Sie macht mir Platz und ich setze mich neben sie, passe dabei auf, mich nicht zu nah zu ihr zu setzen, will mich nicht zu sehr aufdrängen. Unwillkürlich stelle ich mir die Frage, ob wir uns genauso gut verstehen werden wie gestern. Mache ich mir zu viele Gedanken? Definitiv.

Ich nehme das Rauschen der Wellen, das sich mit den Schreien der Möwen vermischt, wahr. Mein Blick schweift über das Meer, über den Horizont, ins Unendliche. Wir sind so gut wie alleine am Strand, außer einer fünfköpfigen Familie und einem älteren Ehepaar sehe ich niemanden.
"Ruhig hier", meine ich und wende mich zu Hannah, die ihre Sonnenbrille ganz abgenommen und sich in einen Schneidersitz gesetzt hat.
"Um diese Uhrzeit immer", reagiert sie auf meine Erkenntnis. "Da kennt sich aber jemand aus. Warst du schon öfters hier?", will ich von ihr wissen, da sie mir von ihren Reisen erzählt hat. Sie sieht aus, als würde sie ihre Aussage zurücknehmen wollen. Sie löst ihre Beine aus dem Knoten, vergräbt ihre Zehen im Sand und schlägt ihre Arme um ihre Beine.
"Na ja, in den paar Tagen, die wir schon hier sind, war ich häufiger hier", antwortet sie mir und wirkt nervös. Das erkenne ich daran, dass sie mir kaum in die Augen sehen kann und sich angespannt durch die Haare fährt. Was ist denn auf einmal los, habe ich etwas Falsches gesagt? Es kommt mir vor, als würde sie bereuen, mich herbestellt zu haben. Bevor ich aber etwas erwidern kann, fällt sie mir ins Wort. "Bist du eher ein Winter- oder Sommermensch?" Die Frage verwirrt mich anfangs, sie ist zwar nicht weit hergeholt, dennoch ein Themenwechsel. Ich tue so, als würde ich überlegen, obwohl ich ganz genau weiß, welche Jahreszeit mir besser gefällt, nur damit ich über ihre wandelnde Stimmung nachdenken kann.
"Sommer, der gefällt mir besser. Da kann man die besten Abenteuer erleben", antworte ich ihr nach ein, zwei Minuten.

Wir sitzen nach zwei Stunden immer noch an derselben Stelle und unterhalten uns, wobei ich gemerkt habe, wie sich Hannah oft meinen Fragen zurückgezogen hat oder sie schweifend umgangen ist. Sie ist ein einziges Mysterium. Nur weiß ich nicht, ob das so positiv ist. Ich will mehr von ihr erfahren, sie bis ins kleinste Detail kennen, aber wenn sie immer auf Distanz geht, wird das nichts und ich will sie zu nichts drängen.
Ein bisschen finde ich es schon unfair, dass ich ihr so ziemlich alles über mein Leben erzählt habe und sie ihres nur kurz zusammengefasst hat, wobei ich nicht wirklich was aufschnappen konnte oder es nicht doch schon von gestern wusste. Vielleicht braucht sie einfach nur Zeit und das schnelle, erneute Treffen hat sie überrumpelt. Mir macht es zugegebenermaßen auch etwas Angst, mich so zu ihr hingezogen zu fühlen. Es ist erschreckend und angsteinflößend, ja, aber ich kann es nicht unterdrücken, will es gar nicht. Hinter ihr steckt so viel mehr, das spüre ich und ich will dahinter kommen, auch wenn das nicht sofort klappt.

Hannah und ich haben noch einen kleinen Abstecher in ein Strandcafé gemacht. Hannah war von dem ersten Café, das ich ausgesucht habe, nicht begeistert, also haben wir uns in eins gesetzt, das abgelegener steht, dennoch befinden wir uns in Küstennähe. Wir beide haben uns einen Eiskaffee bestellt und schlürfen vor uns hin. Ich kann meine Augen nicht von ihr nehmen, während sie sich in der Konditorei umsieht. Die Wände sind geschmückt mit Dekoration aus diversen Wasser- und Strandlebewesen, wie Seesterne, Quallen, Krabben, verschiedene Fischarten und Delfinen. Gleich beim Eingang breitet sich eine Bar aus Holz aus, darauf stehen Teller mit Abdeckhauben darauf, um die Süßspeisen vor Fliegen und Sonstigen zu schützen. Dahinter stehen Barista und bereiten die Getränke und Speisen zu. Die Barhocker, welche auch aus Holz bestehen, stehen auf Sand, wobei der restliche Boden im Café aus dunklem Fußbodenholz besteht. Zwar bestehen die anderen Möbel auch aus Holz, sind aber bunt angemalt, sodass die ganze Einrichtung fröhlicher wirkt. An der Decke hängen nestartige Beleuchtungskörper, die aufgrund der Sonne, die den ganzen Laden erhellt, nicht an sind. Man kann auch auf eine Terrasse und von dort aus gleich ans Meer gehen - wir mussten uns aber drinnen hinsetzen, da draußen keine Plätze mehr frei waren.
Hannah sieht aus einem der großen Fenster aufs Wasser hinaus und ich kann mich noch immer nicht von ihr abwenden, muss sie immer wieder von neuem mustern, als würden meine Augen von selbst arbeiten. Ist das verrückt?

Nachdem ich gezahlt habe und wir uns auf den Weg zurückgemacht haben, blicke ich einen Augenblick auf mein Handy. Die Jungs haben mir geschrieben, war so klar, ich habe nichts anderes erwartet. Kopfschüttelnd, aber grinsend stecke ich es wieder zurück in meine Hosentasche. Ich antworte ihnen einfach später.
Als wir wieder an der Stelle angekommen sind, an der wir uns getroffen haben, bleiben wir einen Moment stehen und ich wende mich zu ihr. "Soll ich dich noch nachhause bringen?", frage ich sie vorsichtig und ich merke, wie sie sich anspannt. Als würde sie eine Schutzmauer vor sich aufbauen, oder bilde ich mir das nur ein?
"Nein, musst du nicht, aber danke", eindeutig eine Abwehr, aber warum? Ich bringe nur ein Nicken zustande und sie verabschiedet sich. Überraschenderweise mit einer Umarmung, dann meint sie noch: "Danke für den schönen Tag, ich habe eine Ablenkung gebraucht." Ablenkung? Wovon denn? Scheiße, warum bin ich so neugierig?
Sie ist schon außer Sicht, da mache ich mich auf den Weg zu meinen Freunden zurück. Ich bin gespannt, was auf mich zukommt. Sie werden mich vermutlich mit Fragen bombardieren, aber das ist mir egal, ich werde sie schon irgendwie ausweichen können. So wie Hannah, mancher meiner Fragen. Boah, kreisen meine Gedanken mal nicht um Hannah? Schlimm, wie schnell sie mir den Kopf verdreht hat. Muss ich mir sogen machen? Glaube ich nicht, ich will ja nicht mehr, als sie einfach nur kennenzulernen.
Im Garten des Ferienhauses angekommen, sehe ich, wie die anderen mit dem Ball kicken, sofort schließe ich mich ihnen an. Ihre Köpfe schießen zu mir, aber sie spielen weiter, ich muss nur grinsen. "Willst du uns verraten, wohin du schon wieder abgehauen bist?", fragt mich der Älteste, Marlon, und so gütig wie ich bin, schüttelt ich nur frech meinen Kopf. Na gut, so gütig bin ich dann wohl doch nicht.

Zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt