Kapitel 9

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[Jake Hill & Josh A - Endless Nightmare]

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Hannah's Pov

Nachdem ich alles niedergeschrieben habe, was mich bedrückt und was mir in den Kopf gekommen ist, habe ich mir nur meine Klamotten ausgezogen, da ich sowieso schon einen Bikini darunter trage, und bin raus in den Pool gegangen. Ich habe vier Seiten vollgeschrieben und mir tut die Hand weh. Es ist sogar schon so spät, dass die Sonne dabei ist, unterzugehen, und sie kitzelt mir auf der Nase. Soviel ich mitbekommen habe, sind meine Eltern noch unterwegs. Mein Vater ist nach dem Streit, den ich mit meiner Mutter hatte, zu Hause aufgetaucht, ist aber gleich darauf wieder mit ihr verschwunden. Sie müssen wohl irgendwelche Partner ihrer Arbeit von etwas überzeugen, von dem ich keine Ahnung habe. Das hat mir zumindest Nick erzählt, nachdem er zwischen meines intensiven Schreibens nochmal bei mir reingeschaut hat. Mir persönlich wäre es egal gewesen, wenn ich nicht wüsste, wo sie sind, aber Nick erzählt es mir trotzdem immer wieder, weil sie ihm alles vor die Füße werfen, nicht mir.
Aber ich bin eigentlich nicht in den Pool gestiegen, um meine Gedanken schon wieder an meine Eltern zu verschwenden, sondern um mich zu entspannen. Auch wenn die Sonne kurz davor ist, hinter dem Horizont zu verschwinden, blendet sie mich ganz schön, weshalb ich mir meine Sonnenbrille auf die Nase schiebe und mich dann auf dem Rücken treiben lasse. Ich schließe meine Augen und lausche, wie das Meer seine Wellen bändigt, wie die Möwen ihr Geschrei freien Lauf lassen oder das Rascheln der Blätter an den Palmen. Ich achte darauf, dass mein Herz in einem angenehmen Rhythmus schlägt, und konzentriere mich auf meinen Atem. Das hilft mir, mich zu lockern. Wenn ich mich sammle und mich auf eine Sache konzentriere, fällt es mir leichter, andere Gedanken auszublenden.
Doch plötzlich habe ich meine Gedanken nicht mehr im Griff, sie schweifen ab und ich kann es nicht verhindern. Ich hasse es, wenn das passiert. Wieso macht mein Kopf das, was er will? Ich will, verdammt nochmal, nicht an meine Eltern denken, aber mein Verstand sieht das wohl anders. Solange ich das Problem mit meinen Eltern nicht behoben habe, werden sie womöglich jeden Zentimeter meines Hirns in Beschlagnahmt nehmen. Sie setzen sich regelrecht fest und ich bin es leid. Augenblicklich fühle ich mich ganz schwer, so als würde ich untergehen. Ich schlage um mich, will nach Luft schnappen, sehe, wie meine Sonnenbrille vom Wasser vorgetragen wird und wie ich tatsächlich vom Wasser verschluckt werde. Wie kann das nur sein, ich kann doch eigentlich schwimmen? Aber ich fühle mich schwer, als würde mich etwas in den Untergrund ziehen. Mühevoll versuche ich wieder nach oben zu schwimmen, schnappe automatisch nach Luft, schlucke aber nur Wasser. Ich schreie, schreie nach Hilf, schreie nach Nick, doch es passiert nichts. Ich gelange nur immer weiter in die Tiefe und es wird dunkler.

"Hannah!", höre ich eine Stimme schreien, die sich verdächtig nach meinem Bruder anhört. Es rüttelt an mir und ich schrecke auf. "Verdammte Scheiße, es war nur ein Traum, Hanni", nur vage nehme ich den Klang seiner Stimme wahr. Mein Atem geht schnell und ich blinzle einige Male, sehe mich um, bis ich mir sicher bin, wo ich mich befinde. Ich blicke wenige Sekunden später in die braun-grünen Augen meines Bruders, die er definitiv von unserem Vater geerbt hat, und sehe Sorge darin. "Du hast bloß schlecht geträumt", versichert er mir nochmal, schlingt seinen Arm um mich und zieht mich an sich. "Soweit ist es noch nie gekommen", murmelt Nick eher zu sich selbst, als zu mir, da ich mich noch beruhigen muss. "Das war so schrecklich, Nick", soll er wissen, woraufhin er mich nur enger an sich drückt. "Ich dachte, ich ertrinke."
Er mustert mich noch immer besorgt, aber ich kann nicht anders, als mich unruhig in meinem Zimmer umzusehen, welches mir gerade weniger vertraut vorkommt, als es sollte. Ich sehe mein Tagebuch, das neben mir auf dem Bett liegt, ich muss wohl wirklich eingeschlafen sein. Und dieser Traum, er hat sich so real angefühlt, als wäre ich wirklich gerade untergegangen. Wobei mir jetzt auffällt, dass ich nicht im Wasser ertrunken wäre, sondern in den massenhaften Anforderungen, die mir gestellt werden. Wollte mir das mein Traum sagen? Und Nick hat recht, so weit ist es noch nie gekommen, dass ich schlecht träume. Dass ein einziger Tag, ein Streit mit meiner Mutter, solche Auswirkungen hat. Meine Gedanken haben sich noch nie so tief festgesetzt, dass ich miserabel geschlafen hätte. Ja, hier und da mal kein Auge zubekommen, aber nicht, dass ich während dem Schlaf unruhig geworden wäre.
"Ist bei dir alles okay?", kommt es auf einmal von der Tür und ich sehe meine Mutter im Türrahmen stehen. "Ich habe Schreie gehört", setzt sie noch hinterher und mustert zuerst meinen Bruder und dann mich. Sehe ich da etwas Besorgnis in ihren Augen?
Ich kann sie nur anstarren. Sie wirkt wie ein anderer Mensch, wie eine Mutter, die sich um ihr Kind sorgt. "Sie hat schlecht geschlafen", reißt mich mein Bruder aus meiner Starre. Die Frau vor uns nickt verständlich, aber gleichzeitig abwesend, so als wäre sie ebenfalls in irgendwelchen Überlegungen gefangen. "Brauchst du irgendetwas?", fragt sie an mich gewandt und ich verneine nur mit einem Kopfschütteln, zu überwältigt mit der ganzen Situation. Zuerst der furchtbare Traum und jetzt die Veränderung meiner Mutter. Hat sie endlich eingesehen, was sie mir antun? Musste es wirklich so weit kommen?
Ich erkenne noch, wie meine Mutter etwas sagen wollte, es aber doch nicht tut. Sie bittet meinen Bruder, noch auf mich Acht zu geben, verschwindet dann wieder und zieht die Türe hinter sich zu. Wieso bleibt sie nicht? Warum will sie, dass Nick hier bleibt? Ist es zu viel verlangt, seine Mutter bei sich haben zu wollen, eine, die sich um ihr Kind kümmert?

Nick's Pov

Hannah hat mir noch von ihrem Traum erzählt, bevor ich gewartet habe, bis sie wieder eingeschlafen ist. Ich kann sie verstehen, warum sie so Panik hatte, aber als ich sie schreien gehört habe, war das die Hölle. Noch schlimmer war, als sie erstmal nicht aufgewacht war. Sie hat nur um sich geschlagen und eine Art Krächzen von sich gegeben, als würde sie tatsächlich nach Luft schnappen wollen. Und sie da auch verwundet neben mir sitzen zu sehen, wie sie unserer Mutter gebrochen und fassungslos hinterhergeschaut hat, war auch kein schöner Anblick. Ich wusste genau, welche Gedanken in Hannahs Köpfchen herumschwirren, habe ihr versucht einzureden, es sei alles in Ordnung und es würde sich schon wieder alles regeln. Ich glaube, sie hat mir nicht ganz zugehört, dennoch hoffe ich, sie hat es mitbekommen.

Als sie dann aber wieder friedlich geschlafen hat, bin ich leise aus ihrem Zimmer gegangen, aber nicht gleich in mein Zimmer, denn ich habe Stimmen aus dem Wohnzimmer gehört. Also habe ich mich angeschlichen, um die Ecke geschaut und gelauscht. Habe dort meinen Vater auf dem Sofa sitzen gesehen und meine Mutter stand vor ihm, ziemlich aufgebracht. Das Geschrei meiner Schwester hat sie anscheinend zur Vernunft gebracht.
"Ihr geht es echt nicht gut, Andreas. Wir können so nicht weitermachen, sie ist doch unsere Tochter, unser Goldstück", flötet meine Mutter verzweifelt. Na endlich, sie hat es kapiert. "Es geht doch um ihr Wohl, Liebes", erwidert mein Vater und sieht nicht von seinem Handy auf, das er in der Hand hält. Wie respektlos ist das denn? Ich sehe zu wie meine Mutter auf und ab geht, sie sieht hilflos aus. "Genau, ihr Wohlbefinden steht an erster Stelle und da geht es nicht ums Geld, sondern um ihrer Gesundheit!", sie versucht dem Ganzen, Nachdruck zu verleihen, aber mein Vater sieht noch immer nicht zu ihr auf. Langsam werde ich wütend. "Ihre Zukunft steht unter guten Sternen, sie wird sich schon damit zurechtfinden", antwortet er ihr. Der Ausdruck im Gesicht meiner Mutter verdunkelt sich, sie scheint nicht mehr verzweifelt, sondern aufgebracht zu sein. "Was, verdammt, hat dich dermaßen verändert, Andreas?", will sie von meinem Vater wissen. Hat sie gerade geflucht? Das ist neu. Jetzt sieht mein Vater auch endlich auf. Ehrlich? Nur weil Mama geflucht hat? "Alice, bitte achte auf deine Sprache", bittet er sie, aber mit Bestimmtheit. "Das Geld hat dich so verändert, Andreas, ich glaub's nicht", urteilt meine Mum. Bevor mein Vater aber etwas erwidern kann, hebt sie ihre Hand und unterbricht ihn. Sie sieht ihn noch einmal herausfordernd an, verschwindet dann aber und kommt in meine Richtung. Ich versuche, mich zu verstecken, und höre noch, wie sie etwas murmelt. "Ich kann nicht zulassen, dass es ihr so dreckig geht."
Sie hat mich, Gott sei Dank, nicht bemerkt und ist in das Schlafzimmer gestürmt. Ich hoffe, sie meint es ernst, was sie gesagt hat, und ergreift Maßnahmen.

Hannah's Pov

Als mir die Sonne ins Gesicht strahlt, jage ich ein weiteres Mal hoch, dachte ich Träume schon wieder schlecht, dabei ist alles gut. Der Wecker zeigt mir 08:05 an und ich stöhne einmal auf, bevor ich mich erneut in mein Kissen sinken lasse. Da ich sowieso schon in der Nacht schlecht geschlafen habe und jetzt so früh, für meine Verhältnisse, wach bin, fühle ich mich elend. Einschlafen kann ich jetzt nicht mehr, weshalb ich aufstehe, mir einen hellblauen Pullover über den Kopf ziehe und aus meinem Zimmer tapse. In der Küche angekommen, schenke ich mir ein Glas Wasser ein und trinke einen gewaltigen Schluck. Schaue dabei aus dem großen Fenster, der Terrassentüre und beobachte die Vögel, die umherfliegen.
Ich schrecke zusammen, als ich ein Geräusch hinter mir wahrnehme und drehe mich um. "Du bist schon wach, Schätzchen?", fragt mich meine Mutter, die auf mich zukommt. Sie sieht tatsächlich besorgt aus, dass habe ich letzte Nacht nicht so deutlich sehen können, wie jetzt mit dem Licht, das von draußen in den Raum scheint.
"Ja, ich konnte nicht mehr schlafen", antworte ich ihr und sie kommt noch einen Schritt näher. Mustert mein Gesicht und verzieht dann ihres zu Mitgefühl. "Es tut mir so leid, Hannah", kommt es auf einmal von ihr und ich bin überrascht.

Zwischen Herz und VerstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt