Von Geschenken und Verlusten

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„Irgendwie hattest du recht, aber irgendwie auch so gar nicht."

Yona saß wieder in Kaedras' Küche, zurückgelehnt auf ihrem angestammten Stuhl und die Füße auf den Tisch gelegt, die Augen dramatisch an die Decke gerichtet. Vielleicht konnte sie so verbergen, dass ihre Hände immer noch zitterten.

„Das hast du jetzt fünfmal gesagt", sagte Kaedras trocken. Er saß nicht, sondern hatte sich an das kleine Wasserfass gelehnt und beobachtete seinen Schützling skeptisch.

„Ich hatte mich auf nichts anderes als Floskeln von Raverion eingestellt!"

„König Raverion, Yona."

Yona verkniff sich ein Augenrollen, nickte aber. Er hatte recht. „Sie haben sie vor aller Augen hingerichtet."

„Ein König muss Stärke demonstrieren, gerade in Zeiten wie diesen."

„Bah", machte Yona nur.

Kurz schien Kaedras etwas hinzufügen zu wollen, doch dann schüttelte er leicht den Kopf, kam stattdessen zu dem Tisch und setzte sich zu ihr. Etwas anderes schien ihm auf dem Herzen zu liegen.

„Wenn du es dir anders überlegen möchtest –"

Dieses Gespräch wollte Yona nun wirklich nicht führen. Schnell redete sie weiter. „Erst war ich ja beeindruckt. Die blonden Haare, die goldene Krone, die Muskeln ... Ich hätte nur nicht gedacht, dass er Narben hat."

„Auch König Raverion hat im Großen Krieg gekämpft."

„Auf jeden Fall haben sie ihn nicht verunstaltet."

Einen Moment trat eine Pause ein und Yona suchte hektisch ein neues Gesprächsthema. „Wie war dein Treffen?"

Zu ihrem Glück blitzte bei dieser Erwähnung etwas in Kaedras' dunklen Augen auf.

„Es war gut. Ich glaube ... sie mag mich." Er zögerte und gab dann ein Kichern von sich, das seinem Alter völlig unangemessen war. „Dieses Mal hat sie mir keinen Voken übergeschüttet."

Yona lächelte. „Sie tut dir gut."

Ihr Blick blieb an den drei ringförmigen Tattoos an Kaedras' Fingern hängen. Mit diesem eindeutigen Zeichen konnte er jemanden heiraten, wenn er das wollte. Er hatte sich in die tavagarische Gesellschaft eingegliedert, während sie es kaum erwarten konnte, die zwei blöden Holzringe, die man ihr als Ersatz für die Tätowierungen gegeben hatte, abzustreifen und wegzuwerfen. Kaedras war ihrem Blick gefolgt.

„Du bist dir wirklich sicher, dass du das durchziehen willst, oder? Es würde sich bestimmt auch jemand anders finden." Sorge stand in seinen Augen.

Yona lächelte breit. Dieses Mal fiel es ihr schwerer, doch sie hoffte, so die Bedenken aus Kaedras' Blick vertreiben zu können. Er kam langsam in ein Alter, wo die Falten nicht mehr so einfach verschwanden. „Ja, bin ich. Ich kann diese Stadt nicht mehr sehen, die engen Gassen, diese stinkenden Blumenkästen überall, die andauernde Angst, das ganze Getue um die Ringe ... ‚Du darfst hier nicht rein, du darfst hier nicht stehen, nur, wenn du mindestens zwei Ringe mehr hast und dich noch einmal ordentlich vor mir im Staub windest' ...", äffte sie diverse Erfahrungen nach und blinzelte dann zu Kaedras hinüber. „Griesgrämige Freunde, die sich nur noch Sorgen machen."

Kaedras seufzte und stand auf. „Das Ringsystem gilt in ganz Tavagarien."

Aber er widersprach ihr nicht. Letzten Endes hatte er Yona die Möglichkeiten dieses Auftrags eröffnet. Und Yona spürte schon seit Tagen die Aufregung in sich kribbeln. Endlich konnte sie etwas tun, zeigen, dass Kaedras sie nicht umsonst gerettet hatte.

Es hielt sie ebenfalls nicht mehr auf ihrem Sitz. Kaedras' kleine Küche schien ihr viel zu klein. „Ich muss etwas Neues erleben, Kaedras. Ich muss neue Menschen kennenlernen und neue Gegenden sehen ... und vielleicht stellt sich ja wirklich heraus, dass ich etwas Sinnvolles tue!"

Ich muss mich beweisen. Aber das sprach sie nicht aus.

„Es sind gefährliche Zeiten."

„Ach, das ist doch Quatsch. Ich kann für mich selbst sorgen." Yonas Stimme wurde sanfter. „Dank dir."

Kaedras fuhr sich mit der Hand durch die ergrauenden Haare. „Irgendwo muss ich ein paar wichtige Lektionen über Selbsterhaltungstrieb verpasst haben."

Yona schürzte die Lippen und schüttelte sich die dunkle Mähne aus dem Gesicht. „Wohl kaum."

Ihr Freund blickte sie finster an. „Es ist nur ... Du bist jung, du bist unerfahren ... Ich halte es einfach für keine gute Idee. Wir wissen nicht, was sich dir alles in den Weg werfen wird."

„Es wird alles gut gehen", versuchte Yona erneut, ihm seine Bedenken zu nehmen. „Noch ist Zeit. Und vielleicht rette ich ja zufällig die Welt."

Kaedras schnaubte nur und stützte den Kopf in eine Hand. „Ich könnte mir vorstellen, dass es eine Menge Leute gibt, die da ihre eigenen Pläne haben. Nicht zuletzt der junge Mann, dem du eben nicht mehr zugetraut hast, als ein paar Floskeln aufsagen zu können. Und seine Gehilfen."

„Ich weiß." Yona blickte unmutig zur Seite. „Es ist langweilig, dass du immer so vernünftig bist."

„Einer von uns muss das wohl sein."

Kaedras ging zu der Truhe, die neben dem Wasserfass in der Ecke stand und die beinahe seine gesamten Habseligkeiten enthielt. „Ich habe mir überlegt ... für den Fall, dass du gehst ... ich habe etwas für dich. Nur zur Sicherheit."

Einen Moment lang kramte er in der Truhe und tauchte schließlich mit leicht gerötetem Gesicht wieder auf. Er trug einen in schwarzes Tuch gewickelten Gegenstand in der Hand. Vorsichtig legte er ihn auf den Tisch und schlug den Stoff zur Seite.

„Was bei ..." Yona verschlug es die Sprache. Vor ihr lag ein elegant gearbeiteter Dolch mit langer silberner Klinge. Verschlungene Ornamente verzierten den Griff. „Oh Kaedras, der ist wunderschön. Das kann ich nicht annehmen. Ich mache ihn nur kaputt."

Kaedras schnaubte, fuhr sich aber mit der Hand durch die Haare, als wäre er peinlich berührt. „Dann sorg doch dafür, dass er wenigstens dabei kaputt geht, dir das Leben zu retten. Ich will, dass du ihn hast."

„Wo hast du den her?", fragte Yona, unfähig, den Blick von der Waffe abzuwenden. Ein verirrter Sonnenstrahl, der sich durch Kaedras staubiges Fenster gekämpft hatte, fiel auf die Klinge und warf einen Lichtfleck an die Wand.

Einen Augenblick wirkte es, als wollte Kaedras ihr die Antwort verweigern, doch dann antwortete er: „Ich habe ihn geschenkt bekommen. Von jemandem ... der das Gute in mir gesehen hat. Sehen wollte. Was auch immer." Yona musterte ihren Freund aufmerksam. So jemanden hatte er nie erwähnt.

„Was ist mit ihm passiert?"

Dieses Mal dauerte es noch länger, bis Kaedras antwortete.

„Ich habe ihn umgebracht." Er stockte. „Im Grunde genommen ... könnte man dann wohl sagen, dass mir der Dolch nicht mehr zusteht. Nimm ihn."

Yona spürte, dass Kaedras nicht mehr preisgeben würde. So langsam, als könnte er allein von der Berührung zerbrechen, nahm sie den Dolch. Er lag gut in ihrer Hand, wenn auch nicht so gewohnt wie die Ruhka.

„Danke. Ich weiß das zu schätzen", murmelte sie, dann befestigte sie die Klinge unter ihrer Korba. Es würde eine Weile dauern, bis sie sich an das neue Gewicht unter dem fließenden Stoff gewöhnt hatte.

„Pass auf dich auf, Kleines", sagte Kaedras und nahm sie unvermittelt in den Arm.

„So schnell bin ich ja noch nicht weg", wisperte Yona in seine raue Kleidung, erwiderte die Umarmung aber. Gleichzeitig fragte sie sich, ob sie die Wahrheit sagte. Sie hatte gesehen, dass Acarion die ‚Ankündigung' verfrüht verlassen hatte.

Die Stille zwischen ihnen sagte mehr als alle Worte.

Schließlich fügte Yona hinzu: „Ich verspreche es dir. Du willst doch bestimmt deinen Dolch wiederhaben."


Die Seele des MagiersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt