Von Träumen und Albträumen

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„Nun", sagte Acarion an Yona gewandt, als sie den wie ausgestorben daliegenden Dorfplatz überquerten, Kilias mit etwas Abstand hinter ihnen. „Erfahre ich dann jetzt, wo du die ganze Nacht gesteckt hast?"

Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. „Erfahre ich dann jetzt, was dein großartiger geheimer Plan ist? Oder die Waffen, die dir eben nicht zur Verfügung standen?" Ihre Nachahmung seiner Stimme war erstaunlich treffend. 

„Du weißt, dass ich mit der Veralenergie umgehen kann", wich er aus.

„Ach was. Das hättest du einfach gesagt, es war also nicht das, was du meintest."

Statt einer Antwort folgte Acarion mit entschlossenen Schritten dem Weg, der sie direkt zu dem Wasserfall an Yaras Nordseite führen würde. Die letzten Ausläufer des Dorfes schlossen übergangslos an die Natur an. Sofort umgab sie der Geruch des Waldes. Morsches Holz und verschiedene Pflanzen und Kräuter vermischten sich zu einem frischen Duft.

Kaum hatten sie den kleinen Wasserfall erreicht, bückte Acarion sich und streifte mit der Hand einen Farn, der in der Nähe wuchs und in einer Brise sanft schwankte. Nur einen Augenblick später floss die warme Kraft der Veralenergie durch seine Adern. Vorsichtig ließ er einen Teil davon wieder frei. Die Luft vor ihm schlug sanfte Wellen und er hörte Kilias aufkeuchen.

Es war ein Glücksspiel, auf das Acarion setzte. Der Verox hatte Berans Energie in sich aufgenommen. Einen Teil davon hatte er wieder freigesetzt, als er Radon getötet hatte. Wenn er nicht noch mehr Magie angewandt hatte, musste das bedeuten ... In einigen Schritten Entfernung wurden Flecken sichtbar. Es waren keine wirklichen Spuren, sondern dunkle Narben von verdorbenem Boden, die der Verox bei seiner Flucht aus Yara hinterlassen hatte. Man konnte ihnen ebenso leicht folgen wie Stiefelabdrücken im Schnee. Ein schmales Lächeln schlich sich auf Acarions Lippen. Hab ich dich.

„Magie", stammelte Kilias, die Augen groß und rund.

„Offensichtlich", antwortete er knapp und blickte zu Yona herüber. Sie hatte, wie so oft, die Arme vor der Brust verschränkt, sah aber lange nicht so beeindruckt aus wie Kilias.

„Magische Spurensuche. Nett", stellte sie nüchtern fest.

„Dann habe ich deine Frage jetzt wohl beantwortet", merkte Acarion an, während er begann, den Spuren zu folgen. „Du bist an der Reihe."

„Ähm, so wie ich das sehe, bin ich gar nichts. Das waren immer noch keine Neuigkeiten. Wir folgen jetzt einfach den Spuren, richtig?" Ohne eine Antwort abzuwarten stapfte sie an Acarion und Kilias vorbei, die Korbe flatterte um ihre Beine. „Das letzte Mal, als ich nachgeschaut habe, habe ich dir eben noch so etwas wie das Leben gerettet, da schulde ich dir gar nichts."

Das Leben gerettet? Acarion stieß die Luft aus. Überdramatisieren konnte sie.

Missmutig folgte er Yona, Kilias im Schlepptau, der ihn noch immer mit so großen Augen anstarrte, als hätte er einen großen schuppigen Fleck auf der Stirn entwickelt.

Die Spur des Verox verlief durch den Wald, entlang eines schmalen Baches, der von Yaras Wasserfall abging. Bald senkte sich der Boden ab und um sie herum wuchsen felsige Wände hinauf, bis sie durch eine schmale Kluft gingen.

Obwohl die Sonne immer höher an den Himmel kletterte, wurde es um sie herum beständig dunkler. War Ron den gleichen Weg gegangen? War er schon auf den Verox getroffen?

Acarion musterte Yona noch immer misstrauisch. Wieso hielt sie ihre Tätigkeit in der Nacht so geheim? Sie konnte Ron unmöglich von Beginn an beschattet haben, denn in dem Gasthaus hatte sie ebenfalls gefehlt und da waren alle anderen anwesend gewesen.

Die Seele des MagiersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt