Acarions Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht, als er einige Zeit später im schwachen Licht des frühen Morgens in Richtung des Hüpfenden Ross humpelte. Der nächtliche Nebelschleier hing noch in den Gassen und vereinzelt bildeten sich kleine Tautropfen an den Dachziegeln, um sich schließlich mit einem sanften Geräusch zu lösen.
Unter vielen Aussagen wie „Mir geht es gut" und „Ich werde mich darum kümmern" war es Acarion schließlich gelungen, sich von den Schaulustigen loszueisen, welche trotz der roten Stunde von der Explosion zu seinem Haus gelockt worden waren. Und gekümmert hatte er sich tatsächlich.
Fachkundige Leute waren nun damit beschäftigt, den Brand einzudämmen. Außerdem hatte Acarion seine Beziehungen spielen lassen, um von Barion auch zu dieser „unmenschlichen Zeit", wie der aus dem Schlaf Gerissene sich ausgedrückt hatte, einen neuen Mantel aus Tapukfell und ein Paar schlichte Handschuhe zu bekommen.
Seine schlechte Laune allerdings hatte ihren Ursprung darin, dass ihm wieder einmal der Beweis der Unfähigkeit anderer Menschen erbracht worden war. Sein Missfallen ließ ihn zügiger durch Tavagars Straßen humpeln.
Da machte man sich die Mühe, seine Kontakte in den Untergrund auszunutzen und es endete so. Er hatte sich so klar ausgedrückt. Natürlich wollte er nicht, dass jemand Zugang zu seinem Labor bekam. Dort gab es Hinweise, die missverstanden werden konnten. Aber er hatte nicht verlangt, dass die Zerstörung des Labors stattfand, während er sich noch in dem Haus aufhielt.
Den einzigen Vorteil dieses Irrtums bildete Acarions rußbeflecktes Gesicht und die nicht mehr frische Kleidung, die er unter seinem Mantel trug. So wurde nur die Wahrscheinlichkeit geringer, von jemandem erkannt zu werden. So weit außerhalb des Stadtzentrums war dies ohnehin unwahrscheinlich, aber nun würde er sich nahtlos in die übliche Kundschaft des Hüpfenden Ross einfügen.
Sein Weg führte Acarion in die ärmsten Viertel Tavagars. Hier schien das Kriegsende noch nicht angekommen, Häuser lagen in Trümmern oder Stoffbänder verdeckten provisorisch die Schäden.
Einige Male tauchte ungebeten der Gedanke in Acarion auf, ob er das Richtige tat. Vielleicht hätte er noch einmal den Kontakt zu Raverion suchen sollen, noch ein letztes Mal versuchen sollen, ihn von der Wichtigkeit seines Plans zu überzeugen. Möglicherweise hätte er das sogar getan, wenn nicht jemand viel zu früh sein Haus in Brand gesteckt hätte.
Mit einem unbedachten Schritt trat er in eine Pfütze und Spritzwasser drang in seine Stiefel ein. Die Straßen waren in einem erbärmlichen Zustand.
Tief in seinem Inneren wusste Acarion jedoch, dass seine Entscheidung schon lange vor der letzten Auseinandersetzung mit Raverion festgestanden hatte. Wenn der König sich weigerte zu reagieren, würde Acarion selbst die Initiative ergreifen. Und zwar nur er.
Er machte sich keine Illusionen. Er würde nicht im Alleingang alle Verox besiegen können. Aber, und bei dem Gedanken glitt seine Hand unwillkürlich zu der Kette um seinen Hals, er besaß Mittel und Wege, die den Verox unbekannt waren. Die jedem unbekannt waren außer ihm.
Irgendjemand musste etwas tun, und wenn es nicht der König selbst sein konnte ... würde er es sein.
Immer wieder überprüfte Acarion, ob seine Handschuhe richtig saßen – die Zurschaustellung von neun Ringen würde ihm hier keine Türen öffnen, sondern höchstens seine Kehle – und der Anhänger um seinen Hals unsichtbar blieb.
Dann endlich tauchte sein Ziel aus dem Nebel auf. Eine schmale Holzbrücke führte über einen kleinen Bach und vor die Tür des Hüpfenden Ross. Die Gaststätte war ein großes flaches Gebäude, über dessen Eingang eine verwitterte Figur eines sich aufbäumenden Pferdes angebracht war.
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Die Seele des Magiers
Fantasy„Die Welt ist kein Märchen. Sie ist auch kein heldenhaftes Epos. Sie ist dreckig und mörderisch und die Helden haben am Ende genauso blutige Hände wie die Bösewichte. Ich weiß nicht, wie schwer es sein wird, sich den Verox zu nähern. Ich weiß nicht...