Von Schleichen und Heranstürmen

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Ohne ein zweites Pferd gestaltete die Weiterreise sich als schleppend. Weder Acarion noch Yona wollte Ofri so quälen wie an dem Tag der Flucht aus Novrions Turm, deswegen wechselten sie sich über weite Strecken ab. Yona versuchte zwar vehement, Acarion dazu zu überreden, längere Zeiten zu reiten, wenn sie sein Humpeln nicht mehr mit ansehen konnte, er lehnte das jedoch stets strikt ab.

Abends saßen sie am Feuer und spielten Schlag-den-Hirsch, immer noch sehr zum Verdruss Acarions und zur Freude Yonas. Allerdings genoss er auch einen einmaligen Triumph. Während er Yona scharf beobachtete, erschuf er hinter seinem Rücken einen winzigen magischen Schutzschild, platzierte eine Karte darauf und ließ sie über ihren Köpfen hinüber auf Yonas Seite des Feuers schweben.

Aufgrund der deutlichen Verzögerung durch ihr fehlendes Reittier und damit der unangenehmen Notwendigkeit der Nahrungssuche dauerte es drei Tage, bis sie die Hügelkette vor dem Blutdorngebirge durchquert hatten.

Auf dem Weg hatte Acarion eine Entscheidung treffen müssen. Entweder er schlug noch vor dem Gebirge die Richtung nach Süden ein, um den Weg zu der ehemaligen Hafenstadt Harving zu nehmen, oder aber er wählte den Weg direkt durchs Blutdorngebirge, der zwar gefährlicher, aber auch kürzer war und ihn möglicherweise direkt zu seinem Ziel führte.

Irgendwann hatte Acarion sich für die zweite Möglichkeit entschieden. Wenn es ihm auch vielleicht nur ein oder zwei Tage einbringen würde, er wollte jede weitere Verzögerung unbedingt vermeiden. Mit jedem Herzschlag, der verstrich, gewannen die Verox wieder an Kraft und wurden schwieriger aufzuhalten.

Die Tatsache, dass Yona ihre Forschungsgruppe ebenfalls erst in den Ausläufern des Blutdorngebirges antreffen würde, hatte mit seiner Entscheidung nichts zu tun.

Erst, als sich die Felsen immer höher türmten und irgendwann den Himmel beschnitten, realisierte Acarion, dass sie das Blutdorngebirge endgültig erreicht hatten. Die Luft wurde stetig kälter und bald glaubte er, Schnee darin riechen zu können.

Acarion plagten immer noch Zweifel, was das Wissen anging, das Yona mittlerweile besaß. Konnte er wissen, ob sie tatsächlich den Mund halten würde, wenn sie in einer großen Gruppe unterwegs war? Schlimm genug, dass sie die Wahrheit über seine Kette wusste. Wenn sie dieses Wissen ausplaudern sollte, konnte er in massive Schwierigkeiten geraten. Die Anwendung der fünf Fähigkeiten der Verox wurde in Tavagarien mit der Höchststrafe geahndet.

Eine leise aufkeimende Stimme in seinem Hinterkopf, die Acarion sagte, dass Yona sich dieses Wissen während ihrer gemeinsamen Zeit verdient hatte, ignorierte er konsequent.

Am letzten Tag, bevor sie auf Yonas Forschergruppe treffen würden, schien jedoch auch ihr einiges durch den Kopf zu gehen, denn entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit war sie schweigsam und ein düsterer Ausdruck hatte sich in ihre Augen geschlichen.

Der Pfad, dem sie bis hierhin gefolgt waren, wurde zunehmend schwieriger zu begehen. Trotz des felsigen Untergrunds wuchs in der Umgebung eine Menge Gestrüpp und drang teilweise bis auf den Weg vor. Die dürren Pflanzen waren dornenbewehrt und trieben kleine rote Blüten aus.

Auch mit seinen eher beschränkten botanischen Kenntnissen erkannte Acarion Blutdorn, ebenjene Pflanze, die dem Gebirge zu seinem Namen verholfen hatte. Er achtete akribisch darauf, die Dornen nicht zu berühren, wusste er doch aus zahlreichen, sehr bildlichen Berichten, dass sie sich bei der leichtesten Berührung ablösen und in seine Blutbahn graben würden.

An diesem Abend schlugen sie ihr Lager auf einem schmalen Plateau auf, das eine Insel im Meer von Blutdorn darstellte. Es wurde begrenzt von einer kleinen Gruppe Felsbrocken, wo Ofri ein wenig Schutz fand. Acarion und Yona dagegen verkrochen sich in einer kleinen Höhle, die diese Bezeichnung eigentlich kaum verdiente, so niedrig war die Decke und so begrenzt der Platz, den sie gewährte.

Die Seele des MagiersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt