Die Stimme durchfuhr die Luft wie eine Klinge und dieses Mal kostete es Acarion weniger Überwindung, als er jemals zugegeben hätte, den Blick gesenkt zu halten. Der Tapukmantel ruhte schwer auf seinen Schultern. Wieso hatte er nicht daran gedacht, ihn abzulegen? Welche Menschenhändler würden ihn so ein wertvolles Kleidungsstück behalten lassen?
„Es gab einige ... unvorhergesehene Zwischenfälle." Grimors Stimme war ehrerbietig, aber nicht unsicher. Wahrscheinlich hatte er viel Erfahrung darin, seine Angst nicht nach außen dringen zu lassen.
„Diese unvorhergesehenen Zwischenfälle haben dich wohl auch den größten Teil deiner Ware gekostet?"
„Meiner Ware und meiner Mannschaft", erwiderte Grimor. „Wir waren zu zehnt, als wir das letzte Mal von hier aufgebrochen sind."
„Wie kam es dazu?"
„Unwichtig. Sie sind ersetzbar." Offensichtlich war Grimor nicht gewillt, bei dem mitzuspielen, das sich immer mehr zu einem Verhör entwickelte.
„Was unwichtig ist und was nicht, entscheide ich."
„Jawohl."
Den Moment, in dem Grimor sich verbeugte, nutzte Acarion, um einen kurzen Blick nach oben zu werfen. Sie waren von einer Verox in Empfang genommen worden. Schwarze Schuppen stachen Acarion ins Auge, auf ihren Händen, in ihrem Gesicht, mit ihrer Kehle verwachsen, als legten sie es darauf an, ihrem Opfer die Luft abzuschnüren.
Aber er wusste, dass es nichts dergleichen war. Er wusste, dass diese Wesen die harten Schuppen mit Stolz trugen und sie als Aushängeschild sowie Zeichen ihrer Zugehörigkeit sahen.
Der altvertraute Hass brodelte wieder in Acarion hoch. Feiglinge. Mörder. Was sie Grimor und Fiona angetan hatten, verstärkte diese These noch.
Diese Erkenntnis machte es ihm jedoch nicht leichter, was er gleich tun würde.
„Also schön", sagte die Verox nun. „Ihr dürft wieder gehen. Es gilt die übliche Zeitspanne."
Eine kurze Pause trat ein.
„Ich will sie sehen", sagte Grimor dann. Seine Stimme klang belegt. „Ich will wissen, ob sie noch am Leben sind."
Acarion wagte es, noch einmal kurz aufzublicken. Die Verox, mit der Grimor sprach, war noch eindeutig als Frau zu erkennen. Die Schuppen, die sich um ihre Wangenknochen schmiegten, verliehen ihr den Eindruck, sie würde eine außergewöhnliche Rüstung tragen.
Nun zog sie die Augenbrauen hoch, spöttisch, abwertend. „Es steht dir nicht zu, Forderungen irgendeiner Art zu stellen."
„Bitte."
Es sandte Acarion einen Schauer den Rücken hinunter, wie schnell Grimor dazu übergegangen war, zu betteln. Sogar er konnte die Verzweiflung in den Worten des Mannes hören, den Schmerz, den er ihnen gegenüber nie gezeigt hatte.
„Flehe darum. Wenn du das willst, muss du auf Knien darum betteln."
Zu Acarions Entsetzen gehorchte Grimor, ließ sich schwerfällig auf den steinernen Boden der Stadt fallen und neigte den Kopf. „Bitte."
„Lauter."
„Ich flehe Euch an."
Einen endlosen Moment lang ließ sie die Worte in der Luft hängen.
„Wir werden sehen. Und später entscheiden, ob ihr für eure Versäumnisse auch noch belohnt werden solltet. Schließlich bringt ihr uns nur zwei Menschen für jeden von euch. Bindet sie an!"
Grimor schien kaum zu widersprechen, Fiona stieß einen wütenden Schrei aus. „Nehmt die Hände weg von mir!" Ein klatschendes Geräusch ertönte.
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Die Seele des Magiers
Fantasy„Die Welt ist kein Märchen. Sie ist auch kein heldenhaftes Epos. Sie ist dreckig und mörderisch und die Helden haben am Ende genauso blutige Hände wie die Bösewichte. Ich weiß nicht, wie schwer es sein wird, sich den Verox zu nähern. Ich weiß nicht...