„Ich ... bekomme das wieder hin", stieß Acarion hervor. „Gib mir nur kurz –"
Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal gestottert hatte. Es war geschehen, wovor er sich die ganze Zeit gefürchtet hatte.
Alena hatte immer noch keinen Ton gesagt, sie hielt nur die Hand auf ihre Seite gepresst. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hervor, aus einer Wunde an ihrer Wange zog sich eine rote Spur über ihr Gesicht.
„Ich kann das erklären", sagte Acarion. „Wenn wir eine Pflanze finden, kann ich uns heilen und –"
Beinahe unbewusst streckte er die Hand zu Alena aus. Die zuckte zurück. „Fass mich nicht an!"
So schwach ihre Stimme auch war, die Panik darin war unverkennbar.
„Du bist einer von ihnen", wisperte Alena jetzt. Sie versuchte, sich in eine sitzende Position zu stemmen, doch ihre Arme waren zu schwach.
„Das bin ich nicht", sagte Acarion. Aus einer frischen Wunde lief Blut sein Bein hinunter.
„Nach all dem – ich hätte einfach nie erwartet –" Alenas Blick war unstet.
„Ich bin kein Verox", beschwor Acarion sie.
Unwillkürlich berührte er den Anhänger um seinen Hals. Auch jetzt konnte er noch die Macht spüren, die in dem kleinen dunklen Kristall pulsierte.
„Du tötest wie sie. Du bist ein Monster", zischte Alena. Von irgendwoher nahm sie die Kraft, sich auf die Füße zu stemmen. Blut tropfte von ihrer Wange und zwischen ihren Fingern heraus auf den Boden. „Ich glaube, die anderen –"
„Nein!", fuhr es aus Acarion heraus. Instinktiv presste er die Hand auf einige spärliche Grashalme, die an den Hauswänden emporwuchsen und nahm ihre vollständige Veralenergie in sich auf. Die kleinen Halme verdorrten. Die Energie war bei weitem nicht genug, um seine Wunden zu heilen, aber für eine Sache reichte es aus: Mit einem Ruck verband Alenas Fuß sich mit dem Boden und zwang sie dazu, stehenzubleiben. Sie schrie auf. „Was tust du?! Lass mich gehen!"
Ihr Gesicht war leichenblass.
„Du musst mir zuhören", flüsterte Acarion. „Ich habe nie die Kontrolle verloren." Schwindel machte sich in ihm breit. Er verlor zu viel Blut. „Die Veralenergie hat keine Macht über mich. Ich lasse sie nicht in meinen Körper ein. Sie macht mich nicht abhängig. Ich werde nicht zum Monster."
„Du stiehlst Lebewesen ihre Lebensenergie." Acarion konnte die Angst auf ihrem Gesicht sehen. Sie schwankte und erinnerte ihn schmerzhaft an die Menschen in Tavagar, die den Tod der falschen Verox bejubelt hatten. „Das ist falsch. Niemand darf über die Lebensenergie anderer gebieten, Caron."
Der falsche Name war reiner Hohn. Er schien symbolisch für das, was plötzlich zwischen ihnen stand. „Ich bin kein Verox", wiederholte er.
„Du mordest für Veralenergie."
„Es ist genauso ein Mord, wenn du jemanden im Kampf tötest." Seine Hand zitterte, als er versuchte, die Blutung an seinem Bein zu stillen. „Der Verox ist ebenso tot, wenn du ihm ein Schwert zwischen die Rippen stößt. Das hattest du gerade vor."
Alena versuchte verzweifelt, ihren Fuß zu befreien. „Ich ziehe daraus aber keinen weiteren Gewinn."
„Ein ganzes Land zieht Gewinn daraus, wenn einer seiner Feinde hingerichtet wird. Ganz Tavagarien ist ein Stück weit sicherer, weil diese Verox jetzt tot ist."
Alena machte eine Geste, als wollte sie ihr Gesicht in den Händen vergraben, aber sich dann davon abhalten. Vielleicht, weil sie weiter Druck auf die Wunde an ihrer Seite ausüben wollte. Vielleicht, weil sie den Blick nicht von Acarion abwenden wollte.
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Die Seele des Magiers
Fantasy„Die Welt ist kein Märchen. Sie ist auch kein heldenhaftes Epos. Sie ist dreckig und mörderisch und die Helden haben am Ende genauso blutige Hände wie die Bösewichte. Ich weiß nicht, wie schwer es sein wird, sich den Verox zu nähern. Ich weiß nicht...