Von Ehrlichkeit und Verborgenem

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Sie brauchten zweieinhalb Tage, um das Schlachtfeld zu erreichen. Mit jedem Schritt, den der seltsam farblose Teil des Blutdorngebirges näher gerückt war, war die Stimmung gesunken. Lira verbarg ihre Gefühle hinter einer unnahbaren Maske und Corrion blickte so finster drein, dass Acarion überzeugt war, der ältere Mann hätte sogar einen Sat'ysch nur mittels dieses Blickes in die Schranken weisen können. Yona schwankte zwischen auffälliger Stille und Redeflüssen.

Das erste Zeichen dafür, dass sie sich dem Schlachtfeld näherten, war, dass die Temperatur begann, verrückt zu spielen. Acarion bemerkte es das erste Mal, als der blasse Mond schon am Himmel stand, aber die Luft noch so warm war, als wäre es später Nachmittag.

Die längst zerschlissene Decke, unter der er normalerweise schlief, war ihm viel zu warm. Schließlich trat er sie zur Seite und setzte sich auf. Von der Seite, auf der das Schlachtfeld lag, drangen keinerlei Geräusche. Es verursachte bei Acarion das unangenehme Gefühl, auf einem Ohr taub zu sein.

Er zwang sich, seinen Atem zu beruhigen. Es war nicht dasselbe wie im Krieg. Er zog nicht in den Kampf und er würde sein Leben nicht in Gefahr bringen. Jedenfalls nicht mehr als unbedingt nötig.

Gerade, als er glaubte, vielleicht wieder einschlafen zu können, verblasste das silbrige Licht des Mondes und Bedai'an trat an seine Stelle. Sofort wirkte die Umgebung wie in Blut getaucht. Acarion kämpfte gegen das Gefühl an, dass sich ihm die Kehle zuschnüren wollte.

Er hasste diese Tageszeit. Seine Sicht veränderte sich und er konnte nicht mehr so weit sehen. Sie erinnerte ihn daran, neben seinen Mitstreitern zu knien, die Hände und Kleidung von einem roten Schleier überzogen, der sich nie vollständig entfernen ließ. Sie erinnerte ihn an das dunkle Grollen aus Veroxkehlen, das dem sicheren Tod weiterer Freunde voranging. Sie erinnerte ihn an Machtlosigkeit.

Er schüttelte den Rest an Müdigkeit ab und erhob sich. Lira schob die letzte Wachschicht und erweckte trotz der ungemütlichen Tageszeit den Eindruck, als könnte sie jeden Moment einschlafen.

Acarion trat neben sie. „Du kannst dich noch einmal hinlegen. Ich löse dich ab."

Sie zuckte nicht zusammen. Offenbar hatte sie ihn gehört. „Das musst du nicht für mich tun."

„Ich tue es nicht für dich."

Er ließ sich neben ihr auf dem Boden nieder und hoffte, damit signalisieren zu können, dass die Entscheidung gefallen war. Aber Lira machte keine Anstalten, aufzustehen.

Nach einer Weile räusperte sie sich. „Ich weiß, dass wir gerade andere Sorgen haben. Wir wollen das Schlachtfeld überqueren. Aber direkt dahinter liegt Harving und damit der Ort, den du offenbar erreichen willst."

Acarion nickte knapp.

„Wir wissen nicht, was uns die nächsten Tage erwartet", fuhr Lira fort. Acarion wusste, dass sie ihm den Blick zugewandt hatte und wahrscheinlich in seinem Gesicht nach Antworten suchte, aber er drehte sich ihr nicht zu.

„Wäre es nicht an der Zeit, dass wir planen, wie wir in Harving vorgehen?"

Acarions Lippen zuckten. Geflüsterte Ideen gerade abseits vom Schatten des abendlichen Lagerfeuers, immer bedacht, außerhalb von Liras Hörweite zu bleiben.

„Es ist schwierig, etwas abzusehen, wenn wir nicht wissen, was uns dort erwartet", erwiderte er knapp.

„Sollten wir nicht gerade deswegen darüber reden?"

„Nein."

Lira seufzte. „Ich hätte etwas Anderes erwartet. Aber gut. Ich habe gesagt, ich würde mitkommen." Nun erhob sie sich doch, ein schwarzer Schatten vor dem blutroten Hintergrund der Umgebung. „Ich hätte wohl nicht erwarten dürfen, dass man mir von Anfang an Vertrauen schenken würde."

Die Seele des MagiersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt