Von Königen und Bettlern

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„Mir ist langweilig."

Yona lehnte sich schwungvoll auf ihrem Stuhl zurück und balancierte auf dessen Hinterbeinen. Das gequälte Knarren bei jeder Gewichtsverlagerung ignorierte sie. Träge musterte sie ihre Hände. Die zwei einfachen Holzringe, die sie an Tavagars Stadttor erhalten hatte, fühlten sich noch immer ungewohnt auf ihrer gebräunten Haut an.

Kaedras saß Yona gegenüber und kommentierte ihre Klage nur mit einem kurzen „Hm".

Er hatte das Ring-Problem nicht mehr. Seine drei waren mittlerweile auf tavagarische Art eintätowiert und schienen ihm nicht einmal mehr aufzufallen.

Als Yona den Stuhl auf vier Beine zurückfallen ließ, stieß sie an den Tisch und schob ihn ein Stück in Richtung Kaedras. Der warf ihr unter buschigen grauen Augenbrauen einen gereizten Blick zu. Er war gerade damit beschäftigt, die zerbrechlichen Beine eines Tapuk aus einem Holzklotz herauszuarbeiten.

„Ist es schon soweit?" Unruhig rutschte Yona auf ihrem knarzenden Stuhl hin und her und hoffte, er würde nicht unter ihr zusammenbrechen.

„Da du das zuletzt vor nicht einmal fünf Minuten gefragt hast, glaube ich das kaum. Außerdem wäre ich dir dankbar, wenn du meine Einrichtung ganz lässt", murmelte Kaedras. „Und ich verstehe auch nicht, wieso du so aufgeregt bist. Weißt du, wie viele Ankündigungen König Raverion in den letzten Rú-Zyklen für nötig gehalten hat?" Beiläufig fegte er die Holzspäne vom Tisch und legte sein Werkzeug beiseite. „Keine von denen war sonderlich spannend."

Er beobachtete kritisch den rechten Vorderhuf der Tapukfigur.

Mit wehender dunkelbrauner Haarmähne sprang Yona auf und ging in dem kleinen Raum, der Kaedras als Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer zugleich diente, auf und ab.

„Das behauptest du. Heute ist die erste, seit ich in der Stadt bin." Sie machte eine kurze Pause und warf einen Blick auf Kaedras' geschnitzte Figur. „Und was interessante Beschäftigungen angeht sind wir sowieso nicht einer Meinung."

Sie griff nach ihrem Becher und ging zu dem Fass in der gegenüberliegenden Ecke, wo sie sich eine Kelle Wasser schöpfte. „Stimmt es eigentlich, dass Raverion nicht nur der jüngste, sondern auch der bestaussehende König in der jüngeren Geschichte ist?"

Kaedras machte sich nicht einmal die Mühe, die Augen zu verdrehen. „Nicht mein Aufgabenbereich. Ob du es glaubst oder nicht, bei seiner letzten Ankündigung war ich damit beschäftigt, dem zuzuhören, was er zu sagen hatte."

„Na und? Zuhören tust du doch mit deinen Ohren, nicht mit deinen Augen."

Statt einer Antwort gab Kaedras dem zweiten Vorderhuf des Tapuk den letzten Schliff. Yona nahm einen Schluck aus ihrem Becher. Das Wasser schmeckte schal. Die tavagarischen Magier hatten es gereinigt, bevor es in den Verkauf gegangen war. „Hast du was zu essen da?"

Mit einem Seufzen legte Kaedras seine halbfertige Tapukfigur zur Seite. „Wann hast du das letzte Mal erlebt, dass ich diese Frage mit ‚Ja' beantwortet habe?"

Yona schnaubte. „Noch nie, vermutlich." Sie leerte den Becher und stellte ihn wieder auf dem Tisch ab. „Ich glaube, ich gehe noch eine Kleinigkeit essen, bevor Raverion sich vor die Leute stellt. Kommst du mit?"

„Nein, aber geh du ruhig. Ich ... habe heute Nachmittag noch etwas vor."

Yona musste lachen, als Kaedras rot wurde. Offenbar bewahrte fortschreitendes Alter nicht vor solchen Dingen. „Dieses Mal hat sie dir also keinen Voken ins Gesicht geschüttet, als du gefragt hast?"

„Das damals war ein Versehen", verteidigte er sich schwach.

„Ich glaube eher, sie wollte dir subtil etwas mitteilen. Wir sehen uns später."

Die Seele des MagiersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt