22. ANGST

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Mit einem kalten, nassen Lappen tupfte ich leicht gegen die blaue, geschwollene Stelle an meinem Unterkiefer.
Finster starrte ich mein Spiegelbild an und murrte vor mich hin.
Ich war gestresst.
Sehr gestresst.
Es kotzte mich an, dass Chuck mich schlug und meine Tochter zu einer Mörderin erziehen wollte.
Er sollte gefälligst seine dreckigen Hände von meiner Tochter lassen!
Kurz spähte ich mit meinem verbliebenen Auge zu dem kleinen Mädchen.
Sophie saß in meinem Bett, eingehüllt in die orangene Bettdecke und beobachtete mich mit ihren schönen blauen Augen.
Sie wirkte verängstigt, hielt ihren Kuschelhasen dicht bei sich.
,,Was?" fragte ich schroff, während ich den Lappen auf einen Kleiderstapel warf und mir eine rosa Strickjacke überzog.
Sophie umklammerte ihren Hasen fester.
,,Warum ist der Mann so gemein zu dir?" fragte sie mit ihrer unschuldigen, ängstlich Stimme.
Ich drehte mich in dem Drehstuhl.
,,Chuck ist dein Vater, hab etwas Respekt. Du siehst, was er mir antut, also sei nicht dumm und höre auf ihn." erwiderte ich nur.
Sophie zog nervös die Bettdecke dichter.
,,Ich hab Angst."
In diesem Moment konnte ich nicht anders.
Meine weiche Seite gewann den Kampf gegen die kalte Schulter.
Mein Kind hatte Angst vor diesem Kerl.
Sie sollte so nicht empfinden.
Ich seufzte, stand von meinem Stuhl auf und lief durch den Raum zu meiner Tochter.
Ich setzte mich zu ihr ins Bett.
,,Weißt du, ich habe auch Angst. Aber wir müssen das unterdrücken und warten, bis wir endlich frei sind." erklärte ich und strich durch ihre dunklen Locken.
Sie sah mich mit ihren großen Augen an.
,,Wann wird das sein?" fragte sie.
Ich lächelte ein wenig.
,,Bald. Ganz bestimmt." erwiderte ich.
Ihre Augen fingen an zu leuchten.
,,Fahren wir dann nach Hawaii?" fragte sie.
Ich konnte nicht anders als zu schmunzeln.
,,Das machen wir." sagte ich und zog sie in meine Arme.
Sophie schmiegte sich an mich.
Ich war froh, dass wir hier allein in diesem Zimmer waren.
Ohne Chuck war alles besser, ruhiger und angenehmer.
Wir waren wie in einer kleinen Blase.
,,Sophie, du weißt, dass Chuck ein böser Mann ist, richtig? Ich möchte nicht, dass du so wirst wie er aber gleichzeitig musst du genau das tun, was er dir sagt, okay?"
Das kleine Mädchen verzog das Gesicht.
,,Das ist verwirrend." meinte sie.
Ich lehnte mich zurück und nickte.
,,Das ist es. Mache morgen einfach das, was er von dir verlangt, egal was es ist. Nur dann wird es dir besser gehen." erwiderte ich.
Chuck würde von ihr verlangen jemanden zu töten, das stand fest.
Mir gefiel das zwar ganz und gar nicht.
Aber er würde sie nur am Leben lassen, wenn sie auf ihn hörte.
,,Papa, was ist eigentlich Liebe?" fragte Sophie plötzlich.
Einen Moment lang war ich überrumpelt von dieser Frage.
,,Ah...uhm...warum willst du das wissen?" fragte ich schnell.
Das Mädchen mit den dunklen Locken legte ihren Kopf auf ihr Kissen.
,,Weiß nicht." murmelte sie.
Ich dachte einen Moment lang nach.
Liebe.
Was war Liebe?
Ich ließ meine Gedanken schweifen in längst erlebte Momente.
Letztendlich landeten sie bei Chuck aber nicht bei dem jetzigen Chuck sondern bei dem alten Chuck.
Den Chuck, den ich geliebt hatte.
,,Liebe ist, wenn man einer Person begegnet, bei der man sich vollkommen sicher fühlt. Sie kann einfach und auch kompliziert sein oder krankhaft. Wenn man eine Person liebt, würde man alles für sie tun und trifft Entscheidungen zum Wohle dieser Person." erklärte ich.
Sophie sah mich mit ihren blauen Augen an.
,,Liebst du Chuck? Weil er ist so komisch aber du bist trotzdem hier." fragte sie.
Ich neigte den Kopf leicht.
,,Ich habe Chuck mal geliebt. Aber Chuck hatte einen Unfall und ist seitdem ganz anders. Ich glaube innerlich liebe ich ihn noch, weil ich mich immer an sein altes Wesen erinnere." erwiderte ich.
Meine Gefühle zu dem jetzigen Chuck waren kompliziert.
Er war ein Arschloch, ein Tyrann und ein Mörder.
Und trotzdem empfand ich immer noch etwas für ihn.
Das war so krank.
,,Und was ist mit mir?" fragte Sophie.
Ich lächelte leicht und strich über ihre Wange.
,,Dich liebe ich mehr, als das Leben selbst. Du bist meine Welt, Sophie." erklärte ich.
Ich traf Entscheidungen zu ihrem. eigenen Wohl.
Ich hörte nur auf Chuck und ließ all das hier über mich ergehen, wegen ihr.
Sie verdiente ein besseres Leben, als dieses hier.
Sie verdiente eine liebevolle Familie, Lachen und Freunde.
Dinge, die ich ihr nicht geben konnte.
,,Schlafe jetzt, okay?"
Sophie nickte.
,,Gute Nacht." sagte sie und schloss ihre blauen Augen.
Eine ganze Weile betrachtete ich sie und ließ meine Gedanken wandern.
Ich dachte darüber nach, was für ein Leben sie gehabt hätte, wäre Chuck noch wie vor seinem Unfall.
Sie wäre aus reiner Liebe entstanden.
Wir hätten voller Vorfreude auf sie gewartet und uns auf sie vorbereitet.
Wir hätten uns gegenseitig unterstützt und wären eine tolle kleine Familie geworden.
Doch so war es nicht.
Diese Familie war kaputt.
Sophie verdiente etwas besseres.

EMPTY // VILLAIN Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt