1. VILLAIN

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Mein Herzschlag dröhnte laut in meinen Ohren.
Meine Augen weiteten sich und mein Mund war zu einem stummen Entsetzensschrei verzerrt.
Der blanke Horror hatte sich auf mein Gesicht geschlichen, als ich nach oben sah.
Vor mir baumlete ein Paar Beine in der Luft.
Dem rechen Fuß fehlte einer der samtigen schwarzen Schuhe, welcher auf dem Hocker lag.
,,Mama!" schrie ich vor Entsetzen und sah ihr in das blasse Gesicht und die leeren Augen.
Der Strick um ihren Hals zog fest.
Sie war tot.
Sie war tot!
Einen Moment starrte ich noch auf sie, bis mir plötzlich schmerzhaft in die Rippen gestoßen wurden.
,,Hey, Sarah, wach auf!"
Er schrocken zuckte ich zusammen, schlug die Augen auf und sah mich um.
Die blauen Augen meines Bruders sahen mich verwirrt an.
,,Bist du ernsthaft während des Gottesdienstes eingeschlafen?!" zischte er vorwurfsvoll.
Ich hob schnell den Kopf, als ich realisierte, dass ich mit ihm in der Kirche saß und der Papst gerade den Gottesdienst hielt.
,,Entschuldigung." flüsterte ich und setzte mich gerade hin.
Mein Bruder, Aaron, sah mich für einen kurzen Augenblick an, dann schüttelte er den Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Gottesdienst.
Er war enttäuscht, das sah ich sofort.
Ich versuchte mich die letzten 10 Minuten zu konzentrieren und aufmerksam zuzuhören.
Doch noch immer spürte ich die Kälte in mir.
Die Angst.
Das Entsetzen.
Die Erinnerungen.
Ich konnte sie nicht abschütteln.
,,Mal ehrlich, was ist los mit dir, Sarah? Gestern in der Bahn, heute während des Gottesdienstes." stauchte mich Aaron zusammen, als wir die Kirche verließen und uns auf den Weg zur Bahn machten.
Ich folgte ihm mit leisen Schritten und gesenktem Kopf.
Er hatte recht.
Es war nicht das erste Mal, dass ich in meinen Erinnerungen versunken war.
,,Es ist wegen ihr..." murmelte ich.
Aaron drehte den Kopf zu mir.
,,Mutter?"
Ich nickte leicht.
Aaron seufzte.
,,Ihr Tod ist 4 Monate her. Du weißt, dass sie psychisch am Ende war, nachdem Vater ermordet wurde. Wir hätten sie nicht aufhalten können." meinte er und kurz erkannte ich einen Funken Trauer in seinen grünen Augen.
Aaron und ich waren Waisen.
Wir wurden als Zwillinge in eine liebevolle, religiöse Familie geboren und mit den Glauben an Gott erzogen.
Dann, als wir 17 wurden, wurde unser Vater ermordet.
Wir wussten nicht wer es getan hatte und mit welcher Absicht.
Aber es geschah.
Nun, drei Jahre nach dieser Tragödie, hatten wir auch unsere Mutter and den Selbstmord verloren.
Wir waren allein.
Zwei 20-Jährige, ohne Eltern.
Wir hatten nur noch uns.
Umso mehr schien Aaron mich beschützen zu wollen.
Aus Angst er würde mich ebenfalls verlieren.
,,Ich werde versuchen es zu vergessen." sprach ich, als wir die Bahn bestiegen und uns auf zwei freie Plätze setzten.
Aaron strich mit seiner flachen Hand kurz über meinen Kopf und durch meine dunkelbraunen Locken.
,,Ich will nicht, dass du es vergisst. Ich will, dass du abschließt." meinte er.
Abschließen.
Wenn das nur so einfach wäre.
Schließlich war sie unsere Mutter gewesen.
Sie war krank gewesen aber trotzdem unsere Mutter.
Wir hatten sie geliebt.
Und sie hatte uns geliebt.
Wir würden sie nie vergessen.

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