Biberach, Schwarzwald - 6:32 Uhr

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Es war noch früh am Morgen, doch Hogar stand bereits fertig angezogen im Flur und betrachtete sich aufmerksam im Spiegel. Seine Wunde am Hals, die er sich während seines letzten Auftrages eingefangen hatte, war sehr gut verheilt. Selbst er musste schon genau hinsehen, um noch etwas zu erkennen. In einigen Tagen würde er die genaue Stelle gar nicht mehr finden können.

„Was tust Du da noch so lange?", fragte sein Cousin Jannogar bereits ungeduldig.
„Wir müssen heute mit der großen Rigger-Kiste fertig werden!", trieb er zur Eile.
Hogar straffte die Träger seines Overalls und ging durch den Flur hinaus ins Freie, überquerte den Innenhof und gelangte schließlich in den Teil von Jannogars Werkstatt, in dem vierzehn verschiedenartige Fahrzeuge darauf warteten instandgesetzt oder mit, mehr oder weniger legalen Komponenten ausgestattet zu werden.

Manchmal sollten die neusten Elektronikmodule zur Datenübertagung, zur Signalortung oder zur Abschirmung installiert werden. Nicht selten wurde eine Verbesserung des Autonavigationssystems gewünscht. Manche der Kunden beauftragten geheime Verstecke in ihren Fahrzeugen, in denen kleineres wie größeres Diebesgut transportiert werden konnte. Bei delikateren Aufträgen ging es um den Einbau sichtbarer oder versteckter Waffen. Dabei war es von einem gewissen Vorteil, dass Jannogar im Gebäude nebenan noch eine Werkstatt für Wartung und Tuning schwerer Waffen betrieb.

Jannogar war bereits am Fahrzeug eines guten Rigger Kunden und erteilte seinen beiden Angestellten Anweisungen für die anstehenden Arbeiten. Dem Ork trug er auf, sich um das Fahrwerk zu kümmern, während der Zwerg die neuen Datenkabel in die schwer zugänglichen Kanäle einziehen sollte. Danach stand die Montage der Medienröhren für den Bordflammenwerfer an.
Ohne die beiden angestellten Metamenschen könnte Jannogar seine Aufträge nicht abarbeiten. Obwohl er viele Tätigkeiten durchaus selbst zu verrichten vermochte, wiesen die Fahrzeuge mitunter einige Stellen auf, die für einen Troll aufgrund seiner Körpergröße nicht zugänglich waren.

Hogar montierte bereits das schwere Maschinengewehr an die Aufnahmevorrichtung des Rigger-Fahrzeuges, die beide am Vortag fertig gestellt hatten. Dabei fasste er die große Waffe mit seiner linken Hand und brachte sie in Position, um mit seiner rechten Hand die ersten beiden Befestigungsschrauben einzudrehen. Den Lauf und das Dämpfungssystem stützte er geschickt mit seinem linken Horn ab, um das Geschütz auszubalancieren, so dass die Montage schnell abgeschlossen war.

Hogar hatte bereits in seiner Jugend gelernt, seine Trollhörner zu Hilfe zu nehmen, wenn es darum ging, alleine Dinge zu bewerkstelligen, für die er sonst hätte Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Extra zu diesem Zweck hatte sich Hogar einige Schutztextilien für seine beiden Hörner zugelegt, um Kratzer und Scharten zu vermeiden. Manche Trolle würden den Gebrauch ihres Gehörns als Arbeitsgerät strikt ablehnen. Hogar hingegen betrachtete seine körperlichen Möglichkeiten eher von der praktischen, nicht von der emotionalen Seite.

„Sie sitzt", rief er zu Jannogar. „Schalt mal eben die Geschützkontrolle an!"
Jannogar verschwand im Fahrzeug woraufhin Hogar eine Vibration an seiner Seite spürte.
„Schalt aus, da stimmt was nicht!", rief er.
„Was soll denn nicht stimmen?", fragte Jannogar nach.
„Das Steuermodul brummt vor sich hin", informierte Hogar.
„Was? Das kann nicht sein! Ich habe noch gar nix eingeschaltet!"
Daraufhin trat Hogar vom Fahrzeug zurück und lehnte nun nicht mehr an der geöffneten Geschützsteuerung. Die Vibration an seiner Seite endete jedoch nicht.
„Oh, Scheiße, es ist mein Telefon", rief Hogar.
„Idiot!", grummelte Jannogar zurück.

Hogar hasste es, wenn er bei der Arbeit unterbrochen wurde und hatte sein Telefon deshalb nur selten dabei. Die meiste Zeit lag es irgendwo herum, sammelte eingehende Anrufe in einer Liste, die so gut wie nie abgefragt wurde und das mitunter solange, bis der Akku leer war. Seine Meinung dazu war, dass die Leute schon nochmal anrufen würden, wenn es wirklich wichtig wäre und dass sie im Notfall ja auch Jannogar anrufen könnten, der ihm dann schon Bescheid geben würde. Warum sich das Telefon in seinem Overall befand, wunderte ihn nun sehr und er war auch neugierig, von wem er wohl am frühen Morgen gestört wurde.

„Ja!", sprach Hogar in das Telefon.
Eine ihm vertraute Stimme rief ihm aufgebracht aus dem Telefon entgegen.
„Jannogar, hol mir den Hogar an das scheiß Telefon! Ich versuche den seit einer knappen halben Stunde zu erreichen. Es ist Scheiße wichtig!"
„Hey Ordog", entgegnete Hogar, „ich bin es selbst, Hogar."
„Warum gehst du an das Telefon deines Cousins?"

Erst jetzt erschloss sich Hogar, was geschehen war. Offensichtlich hatten beide Cousins wieder einmal ihre Overalls verwechselt und somit hielt er Jannogars Telefon in der Hand und nicht sein eigenes. Nun wunderte sich Hogar auch nicht mehr darüber, dass er die Overall Träger erst hatte etwas nachstraffen müssen.

„Was soll Jannogar mir denn sagen?", fragte Hogar. „Ok, warte, ich gebe dir Jannogar, dann kannst du es ihm selbst sagen und er sagt es dann mir!", schlug Hogar dem Teilnehmer vor. Doch Ordogs Stimme wurde nun noch ernster.
„Hey, es ist keine Zeit für deine dämlichen Späße! Hör zu! Es gibt einen Job für dich, aber es ist dringend!"

Nun hatte Ordog Hogars ganze Aufmerksamkeit und er konnte ihm endlich erklären, was es zu tun gab und wieviel der Job einbringen würde. Auf Hogars Nachfrage antwortete Ordog, dass er selbst den Job leider nicht übernehmen könne, da er am nächsten Tag mit der Mainzer Stadtkriegermannschaft ‚Black Barrons' ein Spiel zu bestreiten habe. Außerdem gab Ordog zu, dass er niemanden kenne, der kurzfristig über eine geeignete Transporttechnik verfügen würde, die aber zwingend erforderlich wäre.

Jannogar war nicht eben begeistert, dass Hogar nun aufbrechen musste. Das hieß wieder bis weit in die Nacht durchzuarbeiten und seinen beiden Angestellten einen Bonus für die Mehrarbeit zahlen zu müssen. Doch diese Mehrkosten würden nur einen Bruchteil der Einnahmen betragen, die Hogar für den Job zu erwarten hatte. Hinfahren, das Zeug einladen, nach Berlin fahren, zurück und fertig. Dafür sollten drei Tage genügen, in denen er mindestens so viel verdienen würde, wie die Werkstatt in einigen Wochen.

„Ich brauche den Laster, in den wir die neuen Geheimfächer eingebaut haben."
„Das ist ein Kundenfahrzeug!", entgegnete Jannogar.
„Ja, aber der hätte seit drei Wochen abgeholt und bezahlt sein sollen", gab Hogar zurück.
„Und wenn der Typ ausgerechnet heute vorbeikommt, um den abzuholen?", wollte Jannogar wissen.
„Dann berechne ihm noch Standgebühren oben drauf, die Du dann wieder reduzieren kannst, wenn er pampig wird", schlug Hogar vor. „Und außerdem, könnte es ja sein, dass der gar nicht mehr kommt, weil es ihn irgendwo erwischt hat. Dann würden wir auf den vollen Kosten für die Umbauten sitzen bleiben. So oder so, der Job kommt gerade recht und dafür brauche ich den Laster", konstatierte Hogar abschließend.
„Hm, hm, hm", brummelte Jannogar und gab sich damit zufrieden.

 „Hm, hm, hm", brummelte Jannogar und gab sich damit zufrieden

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Schattenhelden - Hogars Ausflug nach BerlinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt