Als sich Hogar den angegebenen Koordinaten näherte, konnte er niemanden ausmachen. Es gab kein liegengebliebenes Transportfahrzeug und auch keine wartenden Personen am Straßenrand. Hm, hm, hm, die haben sich ordentlich versteckt. Ein Anruf bei Ordog erbrachte ebenfalls keine Hinweise über die genaue Stelle, an der Hogar seine Auftraggeber treffen sollte.
Langsam fuhr er am Waldsaum entlang und nahm eher zufällig ein sehr leises, doch ungewöhnliches Geräusch vom Dach seines Führerhauses wahr. Da ist mir doch glatt ein Eichhörnchen auf das Dach gehüpft, dachte sich Hogar und spürte im selben Augenblick, dass er schon wieder Hunger bekommen hatte. Es vergingen einige Sekunden und Hogar überlegte hin und her, welchen Rationspack er wohl anreißen würde. Er hatte die Qual der Wahl zwischen drei Geschmacksrichtungen.
Eben ging ihm noch durch den Kopf, dass es leider noch keinen Rationspack mit Eichhörnchengeschmack gab, als plötzlich die Beifahrertür aufgerissen wurde und sich im selben Moment eine schlanke Gestallt in einer fließenden, fast schon eleganten Bewegung in das Führerhaus hinein und auf den Beifahrersitz schwang.
Hogar bekam große Augen und hätte möglicherweise das Lenkrad verrissen, wenn das Nav nicht eingegriffen und den Laster auf Kurs gehalten hätte. Was er sah, war eine Menschenfrau in einem waldgrünen, unregelmäßig gemusterten Kampfanzug, dessen Reißverschluss sie bis unter ihr Brustbein geöffnet hatte. Über dem weiten Dekolleté trug die Blondine mit glatten, schulterlangen Haaren von etwa 30 Jahren einen ebenso waldgrünen und mit feinen Streifen abgesetzten Schal, der zu Hogars Bedauern die Sicht auf ihre nackte Haut stark einschränkte.„Hey, Du musst Hogar sein, ich bin Kassandra", sagte die offene Bluse mit einer recht wohlklingenden Stimme. „Wir müssen da drüben in den Wald fahren", wies sie Hogar an.
„Wo? Ich sehe da keinen Weg! Die Karre ist nicht fürs Gelände geeignet", entgegnete Hogar und schaltete das Nav ab.
„Doch, doch, da fahren wir rein! Genau jetzt nach rechts und auf die zwei kleinen Fichten dort zu", setzte Kassandra nach.
„Du hast wohl einen Knall? Das ist einer unserer Kundenlaster, da dürfen keine Kratzer drankommen", warf Hogar leicht aufgeregt ein.
„Wollen wir das jetzt ernsthaft ausdiskutieren, ob Du hier Kohle verdienen willst oder nicht? Keine Waldfahrt, kein Zaster", argumentierte Kassandra mit leicht, jedoch nicht übertrieben, erhobener Stimme, während sie Hogar mit sanft stechendem Blick ansah.
„Hm, hm, hm", grummelte Hogar. „Dann auf deine Verantwortung offene Bluse!"
Entschlossen drehte Hogar das Lenkrad und steuerte den Laster genau auf zwei kleinere Fichten zu, die sich am Waldrand etwa vier Meter hoch erhoben.„Wenn da Kratzer werden, wirst Du die mit deinen Titten rauspolieren", setzte Hogar verbal nach, der es eben bereute, Kassandras Überredungskunst nicht widerstanden zu haben.
Die Front des Fahrzeuges berührte fast die ersten Fichtenzweige, als beide Bäume links und rechts zur Seite stürzten und der verblüffte Hogar den Laster mittendurch steuern konnte.
„Ok, kannst deine Titten drin lassen", sagte er etwas kleinlaut, und sah zu Kassandra, die selbstsicher in sich hinein lächelte und dabei Hogar triumphierend anblitzte.Auf dem Rückfahrmonitor konnte Hogar sehen, wie die Fichten über Seile hinter dem Fahrzeug wieder aufgerichtet wurden. Drei Personen waren sogleich damit beschäftigt, Buschwerk hinter beide Bäume zu drapieren, so dass der Waldsaum von außen betrachtet eine optisch gleichmäßige Linie bildete.
Vor Hogar tat sich eine schmale, Schneise auf. An dieser Stelle waren die Bäume nicht sehr dicht gewachsen. Einige wenige waren zusätzlich gefällt worden, um eine bessere Durchfahrt zu ermöglichen. Nach einer kurzen Linkskurve stand ein Eurovan in Camper Ausführung und dahinter das schadhafte Fahrzeug. Beide waren mit Tarnplanen und einer Menge Buschwerk abgedeckt worden.„Die rechte Antriebsachse ist im Arsch", informierte Kassandra. „Unser Rigger konnte die Karre gerade noch so in den Wald rangieren. Danach musste alles schnell gehen. Wir hatten vielleicht eine viertel Stunde Vorsprung, danach musste der Waldrand aussehen, wie vorher", berichtete sie.
„Wie habt ihr die Wärmestrahlung Eurer Karren wegbekommen?", fragte Hogar.
„Zuerst gar nicht. Wir hatten Glück. Die Konzerntypen rauschten hier vorbei, dachten wahrscheinlich, dass wir schon viel weiter weg sein müssten. Unsere Panne hatten die ja nicht auf dem Schirm."
„Hm, hm, hm, bei Glück ist es das Wichtigste, dass man es selber hat", stellte Hogar fest.
Kassandra berichtete, dass sie danach zu einer fast fünfzehn Kilometer entfernten Fernstraße gegangen ist, die in südliche Richtung führt, um erst dort zu telefonieren und dass sie schließlich Ordog überreden konnte, Hilfe zu organisieren.
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Schattenhelden - Hogars Ausflug nach Berlin
AdventureErstens kommt es anders und zweitens, als man denkt! Kein Ausspruch würde wohl besser passen, um den ungeplanten Ausflug zu beschreiben, den der Troll Hogar nach Berlin unternimmt. Etwa vier Autostunden von seiner Heimat im Schwarzwald entfernt, ben...