◇ Kapitel 2 ◇

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Ich sah den Holzstab auf mich zufliegen. Doch in meiner Hand landete er nicht.

Stattdessen tauchte aus dem Getümmel des Kampfes ein Junge mit schwarzem Mantel und Kapuze auf, stellte sich genau in die Flugbahn und fing den Stab geschickt aus der Luft.

Im ersten Moment dachte ich, es wäre ein Halbgott von unserer Seite, doch meine Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Der Junge drehte sich um, ohne Austin und mich eines Blickes zu würdigen, und rannte Richtung Wald.

"Verdammt!", hörte ich Austin fluchen. "Mach was, Will!"

Meine Reaktion kam deutlich verspätet, aber schließlich lief ich dem Jungen hinterher. Im Sprinten war ich eigentlich nicht schlecht, aber dieser Typ - wer auch immer er war - war echt schnell.

Schließlich erreichten wir den Waldrand und zu allem Überfluss hörte ich in einiger Entfernung bereits feindliche Monster, die uns verfolgten.

"Hey, bleib stehen!", rief ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Natürlich blieb der Junge nicht stehen.

Ich überlegte kurz, einen Pfeil zu ziehen und zu schießen. Rein theoretisch könnte ich den Typen heilen. Aber mutwillige Verletzungen waren einfach nicht mein Ding. Es fühlte sich falsch an.

Also verwarf ich den Gedanken und konzentrierte mich wieder aufs Laufen. Doch relativ schnell musste ich abrupt anhalten.

Aus dem Nirgendwo schoss eine Empusa aus dem Dickicht. Sie baute sich vor dem Jungen auf, der abbremste und einen Schritt rückwärts machte.

Auch ich blieb stehen. Zur Vorsicht zog ich einen Pfeil aus meinem Köcher. Doch der Junge war, wie sich herausstellte, kein bisschen auf meine Hilfe angewiesen.
Unter dem schwarzen Mantel zog er ein dunkles Schwert hervor, dessen Klinge aussah, wie der Nachthimmel. Konnte das stygisches Eisen sein?

Die Empusa griff an, doch das Schwert des Jungen durchbohrte sie auf Hüfthöhe. Fauchend zerfiel das Monster zu Staub. Wahrscheinlich würde es in etwa einer Minute wieder auferstehen, aber ich hatte noch nie einen so schnellen Kampf gesehen.
Der Junge ließ das Schwert wieder in der Scheide verschwinden und sah sich forschend um. Schließlich sah er mich und wandte sich erneut zum Rennen.

Dieses Mal reagierte ich jedoch deutlich schneller, lief auf ihn zu und rammte ihn von der Seite.

Scheinbar war der Typ aber eindeutig leichter, als ich vermutet hatte, weshalb ich ebenfalls ins Stolpern kam und wir beide auf dem Waldboden landeten.

Während unserem Fall rutschte dem Jungen die Kapuze vom Kopf, sodass ich in zwei tiefbraune Augen sah, als ich einigermaßen die Orientierung wiedergefunden hatte. Um zu realisieren, dass der Unbekannte mit dem Rücken zum Waldboden unter mir lag, brauchte ich noch einen weiteren Moment. Ich wiederstand dem Drang aufzuspringen, denn sonst würde ich den Holzstab wahrscheinlich nie bekommen.

"Wer bist du?!", fragte ich, während ich versuchte, meine Atmung zu beruhigen.

Der Junge probierte ohne Erfolg, sich aufzurichten, aber ich war einfach schwerer. Also seufzte er schließlich genervt und erwiderte meinen Blick.

"Geht dich nichts an!", sagte der Typ.

Seine schwarzen Haare fielen ihm in die Augen, welche bei näherem Betrachten aussahen, wie zerbrochenes Glas. Irgendwie war der Anblick faszinierend und ich sagte einen Moment nichts. Auch der Fremde blieb still.

"Gib mir den Stab.", verlangte ich schließlich.

"Nein", lautete die schlichte Antwort, die ich bekam.

"Du hast kein Recht, ihn zu stehlen!", rief ich. "Wir brauchen Kronos Sense oder die Welt der Götter ist verloren!"

Ein unbeeindruckter Blick traf mich. Zunehmend etwas wütend griff ich nach der Hand des Jungen, die den Holzstab hielt, doch er war schneller und zog sie beiseite.

Ich schnaubte entnervt. "Das bringt nichts. Du kommst hier nicht weg." Zur Demonstration verlagerte ich mein Gewicht etwas mehr auf seinen Körper.

"Du bist ein Kind von Apollo, oder?", fragte der Junge plötzlich. Seine braunen Augen fixierten meine.

"Woher weißt du das?" Irritiert über den Themenwechsel hielt ich Inne.

"Komm schon, blonde Haare, braun von der Sonne und so weiter. Ist ziemlich offensichtlich."

"Ach, ist das so?" Misstrauisch zog ich die Augenbrauen hoch. Dieser plötzliche Smalltalk war mehr als verwirrend.

Durchaus etwas abgelenkt, bemerkte ich zu spät, dass der Junge mit der linken Hand unauffällig zu meinem Köcher griff und einen Pfeil heruszog.

Under Burning Stars [Solangelo]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt