◇ Kapitel 3 ◇

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Wie konnte dieser Junge so unauffällig sein? Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, dass er den Arm ausgestreckt hatte.

Auf die Schnelle kam mir keine bessere Idee, als mich zur Seite wegzudrehen, doch mein Pfeil lag schon in seiner Hand. Innerlich bereitete ich mich auf den Schmerz vor, der kommen würde, wenn mich die Spitze traf. Aber es geschah nichts.

"Halt mal still!", fauchte der Junge und holte aus. Der Pfeil sauste wie ein Speer durch die Luft und traf eine Dracaena, die mit erhobener Waffe auf uns zustürmte. Die Monster, die uns verfolgten, hatte ich völlig vergessen.

"Wow", brachte ich sprachlos hervor. "Du hast echt Talent."

Hatte ich dem Typen gerade ernsthaft ein Kompliment gemacht?! Jedenfalls schien der Junge genauso verwirrt über meine Worte, wie ich selbst.

"Ich weiß", sagte er skeptisch. "Wobei es im Liegen deutlich schwerer ist, zu treffen." Seine Augen durchbohrten mich mit einem vorwurfsvollen Blick.

"Du bist selber Schuld.", hielt ich dagegen. "Wenn du mir einfach Kronos Sense geben würdest, wäre alles unkomplizierter."

"Lass uns später darüber reden, ja?" Mit der freien Hand versuchte der Junge, mich zur Seite zu schieben. "Außer, du willst wegen einem Stück Holz sterben."

"Dieses 'Stück Holz' könnte dafür sorgen, dass wir alle überleben.", zischte ich wütend zurück.

"Triff ne Entscheidung, Sonnenschein!", forderte der Junge, während er das letzte Wort abschätzig betonte. Mittlerweile wurden die Monster hinter uns zunehmend lauter.

Fluchend stand ich schließlich widerwillig auf. Die Chancen, den Stab später zu bekommen waren größer als das Risiko, jetzt zu sterben.

Auch der Junge erhob sich, pustete eine Haarsträhne aus seinem Gesicht und sah mich forschend an. Er zog sein Schwert und steckte währenddessen Kronos Sense in seine Manteltasche.

"Hey!", protestierte ich, doch der Junge unterbrach mich, indem er die Hand hob.

"Das größere Problem ist momentan vor dir. Ich hab gesagt, wir reden später." Er machte eine kurze Pause. "Du siehst nicht aus wie ein Kämpfer. Glaubst du, du kriegst das überhaupt hin?" Er deutete auf die näherkommenden Monster.

"Tu nicht so, als würde es dich interessieren, ob ich überlebe!", erwiderte ich säuerlich.

Der Junge zuckte mit den Schultern. "Wir werden sehen, Sonnenschein." Spöttisch blickte er mich an.

"Nenn mich nicht so!" Wütend zog ich einen Pfeil und umfasste meinen Bogen. Diese blöden Monster sollten ruhig kommen!

Auf dem ersten Blick erkannte ich fünf Empusen, drei Dracaena und zwei Höllenhunde. Letztere mochte ich am wenigsten.

"Du kannst dich gerne um die Dracaena und die Hunde kümmern!", rief ich und wandte mich den Empusen zu.

"Das ist keine faire Verteilung.", protestierte der Junge, lief aber auf die Monster zu, als ich nicht antwortete.

Mit meinen ersten beiden Pfeilen traf ich jeweils eine Empusa. Aus dem Augenwinkel sah ich immer wieder zu meinem unfreiwilligen Kampfpartner herüber, der sich extrem gut schlug. Seine Bewegungen waren schnell und genau abgestimmt. Er musste schon lange wissen, wie man kämpfte. Schnell waren aus drei Dracaena eine geworden. Die Höllenhunde mischten sich verwunderlicherweise nicht ins Kampfgeschehen ein.

"Pass auf, wo du hinguckst! Hinter dir!", schrie der Junge plötzlich und ich wirbelte herum.

Schützend riss ich die Arme vors Gesicht und der Schlag der Empusa traf meinen Unterarm. Schmerz ließ meine Sicht verschwimmen und durch die Erschütterung brach mein Bogen entzwei. Schnell versuchte ich, außer Reichweite des Monsters zu kommen, aber die Empusa baute sich siegessicher über mir auf.

"Für Erebos!", zischte sie.

"Träum weiter!" Ich zuckte zusammen, als ich die Stimme des Jungen direkt neben mir hörte. Sein Schwert zischte an meiner Schulter vorbei und sorgte dafür, dass die Empusa fauchend zu Staub zerfiel.

"Wie hast du..?" Mir fehlten die Worte. Er konnte unmöglich in so kurzer Zeit zu mir gelaufen sein.

"Ruhe!" Der Junge murmelte irgendwas auf Altgriechisch, ohne das ich ein Wort verstand.

Die beiden Höllenhunde hoben aufgeregt die Köpfe und rannten in unsere Richtung. Ich kniff in böser Vorahnung die Augen zu. Doch das Einzige, dass ich hörte, war das Kreischen der zwei verbliebenen Empusen, welches schließlich verstummte.

"Du kannst die Augen wieder aufmachen.", flüsterte der Junge belustigt und ein kalter Schauer jagte über meinen Rücken.

Langsam machte ich die Augen auf und drehte mich zu ihm. Der Typ wirkte nicht einmal erschöpft.

"Was sagt man, wenn jemand einem das Leben rettet?" Er sah mich neckend an.

"Danke", brachte ich leise hervor.

"Keine Ursache." Beiläufig steckte er sein Schwert wieder ein. Die Höllenhunde waren mittlerweile in Wald verschwunden.

Ich stand währenddessen ratlos da und fand keinen Sinn in dem Geschehenen.

"WILL? BIST DU HIER IRGENDWO?" Austins Stimme hallte durch den Wald.

"SOLACE! SAG WAS!" Auch Kayla schien dabei zu sein.

"Will Solace also?", hörte ich den Jungen murmeln. "Hätte schlimmer sein können. Wenn du mich jetzt entschuldigst, hab noch was anderes vor."

Ich nickte nur abwesend. "Wie heißt du? Ich sag es auch niemandem."

"Oh nein, das bleibt mein Geheimnis, Sonnenschein." Lächelnd verschwand der Junge zwischen den Bäumen.

Und seine braunen Augen ließen mich völlig vergessen, dass ich eigentlich Kronos Sense holen sollte.

Under Burning Stars [Solangelo]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt