Hendrik
„Du lebst einen Traum, Hendrik", höre ich Papas Stimme in meinen Gedanken. „Was würden andere dafür geben auf Mallorca zu wohnen und nicht nur dort Urlaub zu machen. Der endlose Strand, das Meer und ganz wichtig in deinem Alter die Partys, die zu jeder Tages und Nachtzeit stattfinden. Das ist ein Traum, mein Junge. Also lerne es zu schätzen, mehr verlange ich gar nicht von dir, wo ich dir sowieso schon immer viel zu viel in deinen verwöhnten Hintern schiebe."
Wütend stopfe ich drei T-Shirts auf einmal in meinen Koffer, was nicht so recht klappen mag, woraufhin ich meine Faust auf den Klamottenhaufen, den ich schon in das Gepäck geschmissen habe, donnern lasse. Es ist nicht mal annähernd so befriedigend, wie es sich noch bis vor wenigen Sekunden in meinem Kopf abgespielt hat.
Immer wieder tauchen die Bilder von Caroline und ihrem Fitnesslehrer vor meinem inneren Auge auf. Der wunderschöne nackte Körper meiner Freundin thronte auf dem eines widerlichen Schmarotzers mit öligen Haaren, der sicher nur auf diesen Fick gewartet hat. Er war bestimmt nie wegen der Kurse hier, die Caroline gebucht hat. Es ist so lächerlich. Fast genauso albern wie die Tränen, die sich schon wieder in meine Augen schleichen und lautlos meine Wangen hinablaufen, ehe sich ihre Spur an meinem Hals verliert und nur Nässe zurücklässt.
Was meine Freundin, ich sollte wohl eher Verflossene sagen, sich aber auch dabei gedacht hat diesen alten Sack zu vögeln. Er ist bestimmt schon Ende fünfzig und mit Sicherheit sein Leben lang ein Single. Wahrscheinlich jagt er deswegen Frauen hinterher, die als seine Töchter durchgehen könnten. Es ist einfach nur widerlich.
Genauso widerlich wie Papas Reaktion, als ich ihn heute Morgen heulend angerufen habe, um ihm mitzuteilen, dass ich Caroline und somit auch Mallorca für eine Weile den Rücken kehren möchte. Den Teil, dass ich mich schon von ihr getrennt habe, habe ich ihm bewusst verschwiegen, sonst könnte ich gleich mein eigenes Grab schaufeln. Mit allen Mitteln hat er mich versucht davon abzuhalten, diese „Pause" zu nehmen. Drohte mit Kürzung des „Taschengeldes" und sogar mit Hausverbot, falls ich es wirklich wage und morgen vor seiner Haustüre stehe. Seine Kohle ist ihm sowieso egal, darum geht es ihm auch nicht wirklich, auch wenn er sie immer als Druckmittel einsetzt. Meine Eltern sind einfach nur froh, wenn ich nicht in ihrer Nähe bin. Seit Jahren leben sie in ihrem großen Haus nebeneinander her und mich haben sie schon eine lange Zeit nicht mehr wirklich „gesehen".
Ich habe in Deutschland alle Zelte abgebrochen, als ich mich für Mallorca entschieden habe und außer meinem besten Freund David und meinen Eltern habe ich niemanden mehr dort.
Zu meinem Entsetzen hat David mir geschrieben, dass sein Papa bei einem Autounfall gestorben ist. Da fällt die Option, dass ich erst mal bei ihm und Marina unterkomme, auf jeden Fall weg. Ich habe mich sowieso schon viel zu lange rar bei ihm gemacht. Da kann ich nicht verlangen, dass er mich gleich auffängt, nur weil ich wegen einer Tussi rumheule. Er hat im Moment genug eigene Sorgen.
„Lass uns noch einmal reden, Baby", wimmert Caroline hinter mir, als ich den fertig gepackten Koffer die Treppe unserer Finka hinuntertrage und dann durch den Garten trage, ehe ich am Eingangstor angelangt bin, vor dem ein Taxi wartet, das mich an den Flughafen bringen wird.
„Es gibt nichts mehr zu reden", sage ich und drehe mich zu ihr um. Ihr rotes Haar leuchtet schöner als jeder Sonnenuntergang und die Sommersprossen in ihrem hellen Gesicht stechen im Licht des Sonnenscheins deutlich aus diesem hervor und tanzen bei jeder ihrer Bewegungen. Mein Herz trommelt wild in meiner Brust. Ich muss mich räuspern, weil ihr Anblick alles in mir durcheinanderbringt und es immer wieder schafft mich zu...verzaubern. „Du bist mir nicht nur dieses eine Mal fremdgegangen, Caroline. Erinnerst du dich? Du hattest mir versprochen, dass du es nie wieder tust. Aber gestern..."
„Gestern war ein Fehler", drängt sie. Ihre smaragdgrünen Iriden bohren sich in meine und für einen kurzen Moment hadere ich tatsächlich mit meiner Entscheidung. Caroline ist die Liebe meines Lebens. Die Frau meiner Träume. Wenn ich jetzt gehe, dann...
Nein!
Wie lange soll ich mich noch selbst belügen. Mein Herz ist längst gebrochen und so einfach lassen sich die Bruchstücke nicht mehr zusammenpflastern.
Nicht noch mehr Versprechen, die dann wieder ins Leere verlaufen, als hätte sie es nie gegeben. Nein! Ich muss jetzt stark bleiben und das tun, was ich schon längst hätte tun sollen. Caroline verlassen und damit auch Mallorca und unser gemeinsames Zuhause.
Zumindest dachte ich, dass es das ist. Ich hatte erhofft mit Caroline ein Leben aufzubauen, einen Ort, an dem wir glücklich sein können und eines Tages unsere Kinder großziehen werden. Ich sehe es deutlich vor meinen Augen, wie wir mit ihnen im Pool planschen und lange Spaziergänge am Strand machen, ehe wir dann abends im Garten sitzen und grillen.
Aber die Zeit hat gezeigt, dass ich keine Zukunft an der Seite dieser Frau haben werde. Zu lange habe ich die rosarote Brille getragen und dabei ignoriert, dass Caroline nicht dasselbe für mich fühlt, wie ich für sie. Es gibt einen anderen Grund, warum sie solange an meiner Seite geblieben ist und jetzt verzweifelt versucht dort bleiben zu können.
Und den muss ich nicht herausfinden.
Denn es ist mehr als offensichtlich!
Nur mein Herz will das noch immer nicht kapieren.
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In Your Eyes (Band 3)
RomanceHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...