Hendrik
Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen?
Wie bescheuert bin ich eigentlich?
Ich hätte es wissen müssen, dass Tabea Gefühle für mich entwickelt. Der Sex war grandios, aber er fühlte sich intensiv an, viel mehr als das, fast schon zärtlich. In ihren Armen zu liegen und mit ihr zu schlafen...
Mein verzweifelter Versuch bei Tabea Trost zu finden, ist schief gelaufen. Mein Herz erträgt den vielen Schmerz nicht und eigentlich wollte ich doch nur vergessen. Mich in Arme fallen lassen, die mich auffangen, mir Spaß schenken, mich dann aber wieder gehen lassen. Ich kann mich auf keine Frau einlassen, die sich mehr von mir wünscht. Diese ganze Gefühlsduselei bringt nur Ärger und Kummer mit sich.
Und davon habe ich wahrlich schon genug.
Wieso sehne ich mich dann so sehr nach Tabeas Berührungen und ihrer Nähe?
Warum bin ich zu ihr geflohen, nachdem Papa und Caroline...?
Eigentlich war es immer David, den ich in solchen Situationen angerufen habe.
Vor etwa zwanzig Minuten bin ich aus Tabeas Zimmer geflüchtet. Die Gästetoilette im Haus ihres Bruders wurde zu meinem Zufluchtsort und obwohl ich eigentlich mit Tabea reden oder mich zumindest erklären sollte, schaffe ich es einfach nicht.
Wie ich mein Leben hasse!
Und jetzt soll ich doch tatsächlich bald Vater werden!
Das hatte ich mir immer gewünscht...
Aber jetzt... Es fühlt sich einfach nicht richtig an.
Nicht mit Caroline...Obwohl es eigentlich immer sie war, mit der ich das wollte.
Unschlüssig starre ich auf mein Handy. Seit Minuten überlege ich, ob ich David anrufen soll. Ich weiß, dass er mich verstehen würde...Aber irgendwas in mir blockiert.
Vielleicht sollte ich mich Tabea anvertrauen?
Mir wird heiß und im selben Moment kalt, als ich mir erlaube, an sie zu denken. An die tiefblauen Iriden zum Beispiel, die mich an einen Tag am Meer erinnern oder besser noch, an einen See, in dem sich die Berge um ihn herum, spiegeln und ihn dadurch magisch erscheinen lassen.
Gott! Vor nicht einmal einer halben Stunde lag ich noch in ihren Armen.
Wäre da nicht das stille Schluchzen gewesen, das aus ihr herausgebrochen ist...
Und das Trommeln in meiner Brust, das mit einem Dutzend Bruchstücken eigentlich überhaupt nicht möglich sein sollte...
„Hendrik?", dringt Tabeas zarte Stimme dumpf durch die verschlossene Tür. Darauf folgt ein leises Klopfen, das übernatürlich laut in meinen Ohren hallt. „Bist du da drin?"
Ich muss was sagen!
Oder?
Ich kann sie doch nicht einfach ewig anschweigen, geschweige denn diese Sache zwischen uns totschweigen, als hätte sie nie stattgefunden.
„Mir ist ni...nicht wohl", bringe ich hervor, was nicht einmal gelogen ist, zumindest nicht nur. „Wahrscheinlich habe ich was falsches gegessen oder so..."
„Kann ich dir irgendwie helfen?" Ihre Stimme klingt eindeutig besorgt, aber ich kann ihr Mitgefühl gerade nicht ertragen.
„N...Nein", stottere ich. „Ich möchte einfach nur alleine sein. Kannst du bitte weggehen?"
„Bist du dir sicher?", fragt sie zittrig. „Ich könnte... Vielleicht brauchst du... Ruf mich, wenn du was brauchst, Hendrik. Ich bin im Wohnzimmer."
Gefühlte Minuten halte ich die Luft an, bis sich ihre Schritte schwer entfernen. Als ich wieder ausatme, purzeln zeitgleich Tränen aus meinen Augen. Mit voller Wucht drängen sie aus meinem Körper und wollen gesehen werden. Verzweifelt klammere ich die Arme so gut es geht um mich selbst, aber es hilft nichts. Ich breche still zusammen und erlaube mir nicht einmal laut aufzuschluchzen.
Tabea soll meine Schwäche nicht sehen oder gar anhören müssen.
Am besten wäre es, wenn ich so schnell wie möglich aus diesem Haus fliehe und damit nicht nur den Sex mit ihr hinter mir lasse, sondern auch sie. Eigentlich ging es mir doch nur darum. Ficken und dann Adieu, keine Emotionen, einfach nur Spaß und für ein paar Minuten den Misthaufen vergessen, der sich mein Leben nennt.
Aber nein!
Ich stecke schon viel zu tief in der Scheiße. Obwohl alles in mir zerbrochen ist und ich nicht mehr weiß, wohin mit all meinen Gefühlen, will ich wissen, wie es dazu kam, dass Tabea bei ihrem Bruder lebt. Ich möchte erfahren, warum sie an diesem ersten Abend alleine in der Bar saß. Gott, ich würde am liebsten zurück in Tabeas Bett und die ganze Nacht mit ihr dort liegen, ohne einmal mit ihr zu schlafen. Ihre Nähe ist es, die ich spüren möchte, während sie mir etwas aus ihrem Leben erzählt.
Dabei schwirrt auch Caroline noch immer in meinem Kopf herum. Sie hat mir so oft wehgetan und den Dolch trotzdem immer wieder aufs Neue in meine Brust gestoßen. Eigentlich sollte die Wunde nicht mehr weh tun, weil sie noch immer blutet...
Es ist wie bei Papa! Er fügt mir immer wieder Schmerzen zu, schaut dabei zu, aber es ist ihm offensichtlich egal, ob die Wunde verheilt oder eben nicht. Seit Jahren hoffe ich auf eine Narbe, aber noch nie kam es dazu. Ich wünschte, dass er nicht so viel Kontrolle über mich hätte, am liebsten würde ich ihn aus meinem Leben bannen, aber es gelingt mir einfach nicht. Genauso wenig wie mit Caroline.
Ich hatte so sehr gehofft, dass sie irgendwann aus meinem Leben verschwindet. Aber sie ist wie eine Zecke, die sich immer wieder in meine Haut festbeißt und mir damit weh tut. Blöderweise bin ich jedes Mal wieder auf sie reingefallen.
Und jetzt...
Durch ein Baby werden wir immer miteinander verbunden sein.
Ich kann die Schluchzer nicht mehr an mich halten. Verzweifelt drängen sie an die Oberfläche und mein eigenes Heulen und Wimmern klingt furchtbar verzerrt in meinen Ohren.
„Hendrik?", kommt es erneut unsicher von der anderen Seite der Tür.
„Ja?", schaffe ich es schließlich zu sagen.
„Lässt du mich rein? Bitte!"
Zittrig komme ich auf die Beine und mit langsamen Schritten gehe ich auf die geschlossene Toilettentür zu. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, obwohl es nur zwei ziemlich kleine Tritte sind. Nachdem ich den Schlüssel im Loch umgedreht habe, sehe ich wie der Türgriff nach unten gedrückt wird. Ich sehe nur noch Tabeas blonde, halblange Haare, die vom Sex vorhin noch immer total verwuschelt sind, dann liegen wir uns auch schon in den Armen.
Wir halten uns gegenseitig und sie ist bei mir, als ich erneut zusammenbreche.
Ich erlaube es mir, die Luft einzuatmen, die sie zuvor ausgeatmet hat und kann dabei eine Tatsache nicht mehr ignorieren. Da sind unzählige Schmetterlinge in meinem Bauch und die Berührungen ihrer Flügel an meiner sensiblen Bauchdecke, fühlen sich federleicht an. Fast wie schweben oder einfach schwerelos gleiten.
Oh Gott...
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In Your Eyes (Band 3)
RomanceHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...