Hendrik
Ich erinnere mich. Das letzte Mal, als ich einer Frau mein Herz zu Füßen gelegt und ihr vertraut habe, hat sie es an sich genommen und zuerst geliebt, verehrt und mit ihrer Fürsorge überschüttet, ehe sie es auf grausame Weise verletzt und gebrochen hat. Noch immer spüre ich die Scherben der Bruchstücke, die sich gemächlich dadurch hindurchbohren.
Dabei hat genau dieses Organ noch nie zuvor dermaßen heftig in meiner Brust vibriert. Und nicht zu vergessen diese dämlichen Schmetterlinge in meinem Bauch...
Tabea zu halten und nur das alleine, macht mich...Ich kann es einfach nicht beschreiben. Es lässt mich schweben, obwohl meine Beine auf dem Boden stehen und sich ständig in Wackelpudding verwandeln.
Es scheint fast, dass sie die nagende Leere in mir, aufzufüllen scheint. Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Herzrasen, zittrige Knie, Schweißausbrüche...
Ich bin drauf und dran, mich in Tabea zu verlieben!
Nein, ich habe es längst getan. Mein Körper scheint längst Bescheid zu wissen und drängt mich immer wieder in ihre Arme.
Wieso will und kann ich genau das nicht zulassen? Wo es mich doch glücklich macht und es an sich so einfach wäre?
„Tabea...", murmele ich schniefend. „Ich sollte gehen, ich denke es ist am besten so. Vielleicht... Ich denke nicht, dass wir uns wieder sehen sollten. Es passt einfach... Am besten lassen wir es in Zukunft sein."
„Ist das dein Ernst, Hendrik?", fragt sie mit zittriger Stimme. Egal, was das hier ist. Es ist mehr und ich kann es nicht mehr ignorieren. Und Tabea scheint es ähnlich zu gehen.
Warum sagst du dann sowas, Hendrik?
Ihre ozeanblauen Iriden glitzern und es wird nicht mehr lange dauern, bis der See überläuft. Für einen Moment verliere ich mich in ihnen. Aber es ist doch nur eine Illusion. In Caros Augen spiegelte sich immer die Liebe mir gegenüber. Das Smaragdgrün strahlte funkelnd, wenn sie mich angesehen hat. Bis ich verstand, dass es nur eine Lüge ist. Gespielt oder gefakt, um meine Liebe zu ihr am Leben zu erhalten. Alles, was sie immer wollte, war Papas Geld und die teuren Geschenke, die ich ihr davon gekauft habe. Klamotten, Schuhe, Make-Up und noch so vieles mehr.
Wie kann es da sein, dass es bei Tabea anders ist? Ob sie auch nur mit mir spielt?
„Ja", sage ich mit fester Stimme, obwohl alles in mir nach einer anderen Lösung schreit. „Ich will dich nicht mehr sehen, Tabea. Vergiss alles, das wir miteinander hatten. Ich weiß, dass wir uns vor noch nicht langer Zeit geschworen haben, dass es nichts Ernstes mit uns werden wird. Nie hätte ich gedacht, dass wir...ich, daran scheitere. Bitte lass mich gehen."„Wovor hast du Angst, Hendrik?"
Beinahe schon panisch huschen meine Augen durch die Gästetoilette. Das kleine Fenster über dem Klo ist zu eng und obwohl ich schmal bin, würde ich auf dem Weg nach draußen stecken bleiben, also bleibt nur die Tür als Flucht.
„Lass mich gehen, Tabea", versuche ich es erneut. Wild und unbarmherzig trommelt mein Herz weiter in meiner Brust. Mit jeder Sekunde die verstreicht, wird die Anziehungskraft stärker. Wie gerne würde ich die Frau vor mir halten, in ihren Augen ertrinken und nie wieder auftauchen. Der Drang mich fallen zu lassen und mich von meinen Gefühlen leiten zu lassen, verursacht mir schmerzhafte Qualen, weil ich mich krampfhaft dagegen wehre.
„Ich weiß, dass ich dir versprochen habe, dass wir es unverbindlich halten, aber..." Tabea stoppt nur, um mir erneut in die Augen zu schauen. Ich kann nicht verstehen, warum sie das immer wieder tut. Es macht mich gefühlsduselig und ich weiß, dass ich gleich schwach werde. Marianna meinte immer, dass die Augen die Spiegel zur Seele eines Menschen seien. Ich habe als Kind nicht direkt verstanden, was sie damit gemeint hat. Aber seit Caroline tue ich es!
Caroline!
„Das passiert mir kein zweites Mal." Meine Stimme wird lauter, dabei will ich gar nicht schreien. „Bitte halte mich nicht auf, Tabea. Es ist höchste Zeit, dass ich gehe."
Mit zittrigen Beine bewege ich mich auf die Toilettentür zu. Es kommt mir fast wie ein endloser Marsch vor, dabei sind es nur wenige Schritte, ja beinahe nur Tapser.
Obwohl ich damit gerechnet hatte, hält Tabea mich nicht auf. Ich weiß, dass ich diese Tatsache ausnutzen sollte und habe die Hand schon an der kalten Türklinke, als ich mich noch einmal zu ihr umdrehe.
„Ich werde Vater", bricht es unvermittelt aus mir heraus. Noch nie habe ich so etwas einem anderen Menschen anvertraut, außer David. „Hast du mich verstanden, Tabea?" Längst bin ich wieder auf sie zugegangen und halte ihre beiden Arme fest, während sie unsicher und schwer atmend zu mir aufschaut. Noch nie habe ich sie weinen sehen, nie wollte ich es sehen, aber jetzt bin ich quasi dazu gezwungen.
Ein Streicheln ihrer Wange ist die Folge, dann ein kurzes Streifen meines Fingers über ihre Lippen, ehe meine eigenen darauf liegen. Ich nehme das Salz ihrer Tränen in meinem Mund auf, als sie den Kuss erwidert. Atemlos schiebe ich meine Zunge zwischen ihre Zähne, weil ich mehr fühlen will. Der Schmerz in mir prallt irgendwo ab und ist sofort vergessen. Jetzt gibt es nur noch Tabea und mich. Meine Hand in ihren blonden Haaren, die andere auf ihrem Rücken.
„Du wirst Vater?", haucht sie atemlos, als wir uns lösen, um nach Luft zu schnappen.
„Deshalb bin ich her gekommen", gestehe ich. „Tabea, ich...Du und ich...Es ist besser, wenn ich jetzt gehe."
„Wirst du mich anrufen?", kommt es unsicher von ihr. Noch immer hebt und senkt sich ihre Brust rasant, fast genauso wie meine. Eigentlich will ich doch nur dort weitermachen, wo wir soeben aufgehört haben.
„Würdest du es tun?"
„Noch vor einem Monat hätte ich jeden ausgelacht, der es gewagt hätte, mir zu sagen, dass auch ich mich eines Tages...naja." Sie scheint zu zögern und irgendwie kann ich es ihr nicht verübeln. Immerhin verhalte ich mich nicht so, wie mein Herz es eigentlich will. Am liebsten würde ich ihr gestehen, wie sehr sie mich durcheinanderbringt. Und das ausnahmsweise mal im guten Sinne. „Ich würde dich anrufen, ja."
Ihre Lippen sind schon wieder nur Millimeter von meinen entfernt und es scheint, dass unsere Körper wieder das Zepter in die Hand nehmen wollen.
Wenn ich jetzt nicht gehe, dann schaffe ich es heute nicht mehr. Dabei will ich...
Automatisch stolpere ich einen kleinen Schritt nach hinten und greife mit der Hand nach der Türklinke. In einem Satz wirbele ich herum und flüchte ohne ein weiteres Wort aus der Situation.
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In Your Eyes (Band 3)
RomansaHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...