7/Falsches Bild

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Hendrik

Schon wieder habe ich zu tief ins Glas geschaut. Nach dem Quickie auf dem Klo, wollte ich nur vergessen, was mir für eine kurze Zeit auch ziemlich gut gelang... Jetzt ist es Marianna, die vor dem Haus auf mich wartet, als ich schwankend aus dem Taxi aussteige. Von meinen Eltern scheint noch immer niemand zuhause und das obwohl es schon fast zwei Uhr in der Nacht ist.

„Wieso bist du wach, Marianna?", lalle ich, als ich in meiner Jeanstasche nach meiner Kreditkarte suche und sie dann Anton entgegenstrecke. Er hat tatsächlich auf meinen Anruf gewartet und obwohl ich nicht mehr ganz klar im Kopf bin, hatten wir ein ziemlich gutes Gespräch, in welchem er mir das Du anbot.

„Weil ich mir einfach Sorgen um dich gemacht habe und daher nicht einschlafen konnte."

„Das hättest du nicht tun müssen", sage ich schnell. „Mir geht es gut. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen."

Anton bedankt sich bei mir, steckt mir seine Karte zu und düst dann in die tiefschwarze Nacht davon.

„Du kannst mich nicht belügen, Hendrik. Es ist offensichtlich, dass es dir alles andere als gut geht", lässt sich Marianna einfach nicht abwimmeln. „Du bist keine Woche hier und es ist schon das zweite Mal, dass du betrunken nach Hause kommst."

Marianna ist schon sehr lange ein Teil dieser Familie. Ihr Job ist es eigentlich nur, den Haushalt zu schmeißen, aber sie hat sich in meiner Kindheit auch sehr oft um mich gekümmert, wenn meine Eltern wie heute lange unterwegs waren und ich schreckliche Angst vor der Dunkelheit und den Monstern unter meinem Bett hatte.

Irgendwie schafft sie es, mich in mein Reich zu bringen und als ich auf dem Bett liege, fließen die ersten Tränen über meine Wangen.

„Ich vermisse sie so sehr", wispere ich. „Warum hat Caroline mich so hintergangen? Marianna, ich bin beinahe dreißig Jahre alt und trotzdem krieg ich mein eigenes Leben nicht auf die Reihe. Ich habe nicht einmal eine Ausbildung. Es ist kein Wunder, dass Papa mich so sehr hasst. Ich bin doch wirklich zu nichts zu gebrauchen. Welcher Erwachsener lebt in diesem Alter noch bei seinen Eltern? Nur Versager..."

„Das stimmt nicht", widerspricht sie mir sofort. „Du hast schon immer ein Talent für das Zeichnen gehabt. Die schönsten Bilder hast du gezaubert und du warst so stolz darauf. Warum hast du es aufgegeben?"

„Es hat doch keinen interessiert. Mama hat die Bilder immer aufgehängt, aber am nächsten Tag waren sie wieder weg. Papa hasst alles, was ich mache. Dabei verstehe ich nicht einmal warum. Was habe ich ihm getan, Marianna?"

Sie schaut mich voller Verzweiflung an, was mich dazu bringt, schnell den Blick von ihr abzuwenden. Ihr Mitleid kann ich nicht auch noch gebrauchen.

„Mein Mann, Hermann, hat eine Schreinerei", wechselt sie das Thema. „Er kann dich zwar nicht bezahlen, weil die Geschäfte nicht mehr so gut laufen, wie sie es früher getan haben. Aber wenn das für dich in Ordnung ist, dann kannst du dort ein bisschen aushelfen. Er ist sicher froh, wenn er ein wenig Gesellschaft bekommt."

„Warum machst du das für mich, Marianna?"

„Weil ich dich fast dein ganzes Leben lang kenne und du ein komplett falsches Bild von dir selbst hast. Ich will nur, dass du irgendwann begreifst, dass du ein wundervoller und herzensguter Mensch bist und gebraucht wirst. Das ist alles."

„Das ist... Ich weiß nicht.." Noch immer sickern die Tränen über meine Wangen, sie purzeln in meinen geöffneten Mund und ich huste gequält, als ich mich an ihrem salzigen Geschmack verschlucke.

„Du musst nichts sagen", meint Marianna. Zaghaft berührt sie mich an der Schulter. Viel zu hektisch richte ich mich auf, was meine Übelkeit nur noch verstärkt. Mit Mühe schlucke ich sie hinunter und lasse mich dann in Mariannas Arme sinken. Ihr typischer Geruch nach Zitronenreiniger, gemischt mit einem Hauch Lavendel, steigt mir in die Nase und lässt mich wie der kleine Junge fühlen, der sich damals nächtelang an sie geklammert hatte. Für den Moment fühle ich mich unendlich geborgen und wünsche mir, dass es für immer so bleiben kann.

„Schlaf jetzt ein wenig", sagt sie schließlich und drückt mich in die Kissen. „Morgen sieht die Welt hoffentlich schon wieder ein wenig besser aus. Auch ich sollte mich endlich hinlegen, schließlich erwarten deine Eltern morgen früh ein Frühstück von mir."

„Danke, Marianna", murmele ich.

„Dafür nicht, mein Junge", erwidert sie und schenkt mir ein zaghaftes Lächeln. „Schlaf jetzt."

Erschöpft schließe ich meine Augen und falle ziemlich schnell in einen traumlosen Schlaf.

In Your Eyes (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt