13/Selbstmitleid

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Hendrik

Für einen kurzen Moment dachte ich doch tatsächlich, dass Tabea sich in mich verliebt hat und deshalb noch mehr Zeit mit mir verbringen will. Es ist nicht gerade die feine Art, was ich mit ihr treibe und das im wörtlichen Sinne. Es macht es mir nur erträglich, weil sie es auch so möchte. Unter anderen Umständen hätte ich den Kontakt zu ihr sofort unterbunden, es kommt ja doch ziemlich oft vor, dass Menschen sich verlieben, wenn sie öfters als einmal Sex miteinander haben. Etwas, das ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen könnte. Ich mache den ganzen Spuk doch nur, weil ich Caroline für ein paar Sekunden aus meinen Hirn vögeln möchte. Ja, vögeln! Nicht Liebe machen, wie ich es immer mit ihr gemacht habe. Ich habe Caro meine Seele und mein Herz geschenkt, während sie... Ich frage mich, ob sie mich jemals geliebt hat. Zumindest für die ersten Monate? Ein Stich fährt mir durch das Herz und unwillkürlich verziehe ich das Gesicht, als könnte ich den Schmerz so von mir fernhalten.

Wie können ein Dutzend Bruchstücke solche Qualen in mir hervorrufen?

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Anton hat uns vor dem Haus, in dem Tabeas Bruder lebt, abgesetzt. Es ist nur ein paar Straßen vom Elternhaus von Marina entfernt. Ein paar Mal habe ich David hier abgeholt, als er die Einladungen zu seinen Schwiegereltern noch angenommen hat. Als er mit Marina zusammengezogen ist, wurde es immer weniger und wie es heute ist, weiß ich nicht. Die Beziehung ist auf jeden Fall schwierig.

Nachdem ich die bescheuerte Frage gestellt habe, ob Tabea auch ein Einzelkind ist, schlage ich mir sanft gegen die Stirn. Sie hat mich so unvermittelt mit meiner eigenen Kindheit konfrontiert, dass ich schnell ablenken musste. Ja, ich bin ein Einzelkind, weil Mama und Papa gar nicht meine leiblichen Eltern sind und mich wahrscheinlich nur adoptiert haben, weil sie keine eigenen Kinder bekommen konnten. Daher haben sie sich das sechszehnjährige Mädchen ausgesucht, dessen Baby ich aber auch nicht bin. Ich habe keine Ahnung, woher ich stamme, aber es muss jemand sein, der zur Familie gehört. Wieso sonst hat Papa mich von sich gestoßen, als er die Wahrheit herausgefunden hat? Oder geht es doch in eine komplett andere Richtung und Mama und Marianna haben gelogen. Wenn ich nicht so stolz und gekränkt, ja verletzt und verwundet wäre, würde ich sofort mit den beiden sprechen, aber ich kann nicht. Wahrscheinlich versinke ich auch nur in Selbstmitleid, aber ich habe einfach nicht die Kraft mich da rauszuziehen.

„Offensichtlich ja nicht", murmele ich.

Tabeas Blick liegt auf mir, ich kann es spüren. Ich dagegen starre auf den Boden, betrachte den Rasen, der in der Dunkelheit wie ein schwarzer Teppich daliegt. Ich spüre, die heißen Tränen, die in meinen Augen brennen, aber sie dürfen nicht kommen. Nicht, dass Tabea mich so schwach sieht, unter keinen Umständen möchte ich irgendwelche Gefühlsduseleien mit ihr austauschen. Alles, was ich wirklich will, ist all das zu vergessen. Und wenn es mir durch den Alkohol für ein paar Minuten oder doch Stunden gelingt, dann werde ich es mit Sicherheit tun.

Jetzt erzählt Tabea mir etwas über ihre Geschwister. Scheinbar ist es nicht nur Torben, ihr älterer Bruder, nein es gibt auch noch ein Zwillingspaar. Alles Dinge, die mich nicht im Geringsten interessieren.

Wann bin ich nur so gefühlskalt geworden?

Dabei fühle ich doch so viel.

Zu viel...

Endlich richte ich meinen Blick auf sie und sehe, wie sie zittert. Kein Wunder, die Nacht ist ziemlich kühl und sie trägt nur diesen heißen Fummel. Selbst ich friere etwas, obwohl ich einen ziemlich warmen Hoodie anhabe.

„Wir sollten reingehen", schlage ich vor. Dieser Schmerz, der sich durch meinen gesamten Körper frisst, nimmt mich stark mit. Noch nicht lange ist es her, da fühlte ich mich in Mariannas Armen geborgen, aber selbst das wurde mir genommen.

Ich ziehe mir meinen Hoodie über den Kopf und reiche ihn Tabea. Sie würde niemals zugeben, dass sie friert und schon gar nicht fragen, ob sie meinen Pullover überziehen darf. Aber ich will nicht, dass sie sich verkühlt.

Für eine kurze Weile scheint sie in einer anderen Welt, ehe sie das Kommando übernimmt und zielstrebig auf die Haustür zugeht. In meinem roten Hoodie und dem Rest des Kleides, das darunter hervorschaut, sieht sie verdammt scharf aus. Ich stolpere ihr hinterher, den Blick auf ihren Arsch gerichtet, was mich beinahe zu Fall bringt, als ich den Anfang der ersten Stufe verpasse, die auf eine kleine Plattform mit Steinfliesen führt.

„Alles okay?" Sofort dreht sie sich zu mir um, was ich mit einem Seufzer quittiere. Tabea klammert sich mit der linken Hand an das Geländer. Ihr Atem geht stoßweise, was mich nur noch mehr anmacht.

„Alles bestens", sage ich grinsend. „Was hältst du davon, wenn wir zuerst eine zweite Runde starten und uns danach die Hausbar vornehmen?"


In Your Eyes (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt