Hendrik
Die nächsten zwei Tage sind einfach nur für die Katz. Es ist ausgerechnet Hannah, die David und mich dabei erwischt, wie wir darüber reden, dass mein Kumpel ihr leiblicher Vater ist. Natürlich muss das ausgerechnet am Samstagmorgen sein und Jannes und Elias, die das Wochenende eigentlich bei ihrem Papa verbringen wollten, werden schon am Mittag von Marina abgeholt. Ein ziemlich heftiger Tobsuchtanfall überkam Hannah und leider ging das auch an Davids Söhnen nicht spurlos vorbei.
Noch beschissener fühle ich mich, weil ich meinem bestem Kumpel eiskalt ins Gesicht gelogen habe. Irgendwie habe ich mich nicht getraut, mit der Wahrheit rauszurücken, vielleicht wollte ich es auch gar nicht, aber er geht jetzt davon aus, dass meine Eltern Caroline eingeladen haben, weil sie wollen, dass ich mich nochmal mit ihr zusammensetze und ausspreche.
Kein einziger Ton über das Baby in ihrem Bauch, kam über meine Lippen und wenn ich ehrlich bin, graust es mir seit Hannahs Tobsuchtanfall vor einem eigenen Kind. Ja, es ist immer eine andere Situation, wenn es das eigene ist, so sagen es zumindest die anderen. Und trotzdem... Ich fühle mich überhaupt nicht gewappnet für das, was in ungefähr sechs Monaten auf mich zukommen wird.
„Ich muss mich um das Abendessen kümmern", sagt David monoton und steht auf. Im Augenwinkel sehe ich, wie er sich eine Träne vom Gesicht wischt und am liebsten würde ich einfach mit ihm mitweinen. Vielleicht wünsche ich mir auch eine Umarmung, damit wir uns beide einfach mal fallen lassen können.
Oh Gott...Ich sollte mich meinem besten Freund anvertrauen. Warum spiele immer ich den tapferen und starken Ritter? Über die Adoptionssache konnte ich so offen mit ihm sprechen. Ich weiß gar nicht, warum ich nicht einfach mit der Sprache rausrücke. Es ist noch immer David, auch wenn wir mittlerweile erwachsen sind. Mein bester Freund, der mir öfters den Arsch gerettet hat, als ich an zwei Händen abzählen könnte...
„Ich habe eigentlich keinen Hunger", murmele ich eine Antwort, aber David hört sie schon gar nicht mehr.
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Am Esstisch hängen wir drei unseren eigenen Gedanken nach. Es ist still, so furchtbar still und irgendwie breitet sich das mulmige Gefühl immer mehr in meinem ganzen Körper aus. Caroline wird bald mein Kind zur Welt bringen. Tabea weiß das, aber seit- wie lange eigentlich genau-, Tagen, habe ich mich nicht mehr bei ihr gemeldet. Der Oktober ist längst vorbei, also muss es doch schon Wochen her sein. Das triste Novemberwetter vor der Haustür, passt sich heute unserer Stimmung an. Es regnet seit den frühen Morgenstunden und dazu ist es eisig kalt, gerade einmal ein oder zwei Grad plus.
Dazu habe ich es doch tatsächlich geschafft und kein einziges Mal an Marianna gedacht, zumindest nicht mit voller Absicht. Mit Sicherheit ist sie total verunsichert und macht sich die schlimmsten Vorwürfe. Aber mich auch noch mit ihr zu treffen und zu reden... Ich schaffe es gerade einfach nicht.
Ich will doch nur zu Tabea!
Oh Gott. Es ist alles, an was ich denke, auch wenn ich immerzu an die Probleme mit Caroline erinnert werde. Aber die Nähe zu Tabea... Mein Körper verzehrt sich nach ihr, aber das ist längst nicht alles. Mein Herz will zu ihr. Ich will es in ihre Hände legen und es nie wieder an mich nehmen. Für immer soll sie es behalten und es einfach nur...lieben.
Ich bemerke erst, dass ich alleine am Esstisch sitze, als Hannah panisch zu mir gelaufen kommt. Das Mädchen sieht mich aus ihren blauen Augen ängstlich an und zupft hektisch und aufgebracht, am Ärmel meines dünnen Pullovers.
„David ist weggelaufen", flüstert sie und eine dicke Träne läuft einsam über ihre Wange. „Er meinte, dass er nur mal kurz frische Luft holen will, nachdem Mami am Telefon... Sie hat ihn angeschrien und ich habe Angst bekommen, aber Mami wollte nicht aufhören, bis sie ganz plötzlich aufgelegt hat. Und dann ist David... Er ist davon gerannt und ich habe einfach nur schreckliche Angst, dass auch er nicht wieder zurückkommt."
Alarmiert springe ich auf und hechte mit Hannah im Schlepptau ins Wohnzimmer, dabei schreie ich Davids Namen. Eigentlich bescheuert, dass ich dort nachschaue, aber einen Versuch war es wert. Ich bin aufgewühlt, aber unter keinen Umständen darf ich es vor dem Mädchen zeigen. Es würde ihre Angst nur noch mehr anfeuern und ich will nicht, dass sie sich Sorgen machen muss. Immerhin hat sie schon sehr vieles durchgemacht und ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn man als Kind das Gefühl hat, dass da niemand ist, der einen trösten will, weil alle zu sehr mit sich beschäftigt sind, oder eben selbst Angst haben.
Außer Marianna vielleicht.
Jetzt muss ich versuchen, genau diese Person für Hannah sein.
„Was machst du jetzt?", fragt diese mich schniefend und wischt sich mit dem Ärmel ihres Pullovers über die Nase. Ich setze mich auf die Couch, obwohl ich mich am liebsten im Kreis drehen würde. Ich strecke Hannah einladend meine Hände entgegen und hoffe, dass sie meine Geste versteht. Glücklicherweise krabbelt sie keine Sekunde später auf meinen Schoß und klammert ihre Arme um meinen Rücken, während sie ihren Kopf an meine Brust legt. Hannahs kleiner Körper zittert wie verrückt und ich streichele ihr beruhigend darüber.
„Geben wir David ein paar Minuten", murmele ich, nachdem sie sich etwas entspannt hat. „Er ist zwar dein Papa, aber auch nur ein Mensch. Bestimmt braucht er nur einen kurzen Moment alleine, um sich wieder zu sammeln. Verstehst du das?"
Sie richtet sich etwas auf, um mich ansehen zu können, dann nickt sie, ehe sie den Kopf schüttelt.
„David ist wirklich mein Papa, oder?" Ihre Frage verhallt in der Stille um uns herum. „Mami hat mich angelogen und ich bin sehr böse auf sie... Ich will zu meinem Opa oder zu...Papa."
„Sie hat es bestimmt nicht böse gemeint", antworte ich. „Magst du, dass ich Mr. Bean aus deinem Zimmer hole?" Es ist eine Ablenkung, die einzige, die mir einfällt und ich bete, dass sie funktioniert. Ich bin nicht David und habe daher kaum Asse im Ärmel, schon gar nicht, wenn es darum geht ein Kind wieder auf den Boden zu bringen.
„Es ist nicht mein Zimmer. Das gehört Elias", erklärt sie mir. „Aber ich darf es benutzen, hat er gesagt."
„Magst du mit hoch kommen? Vielleicht können wir dann auch endlich Mr. Bean verarzten. Sein Ohr sieht wirklich nicht besonders gut aus..."
Sie nickt und springt von meinem Schoß.
„Ich gehe schon mal vor", ruft sie.
Hektisch tippe ich eine Nachricht an David, dann laufe ich Hannah hinterher.
Hoffentlich macht mein bester Freund keine Dummheiten!
Es wäre das letzte, das ich jetzt noch gebrauchen könnte.
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In Your Eyes (Band 3)
RomanceHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...