Tabea
In Hendriks braunen Augen, die mich immer so ausdruckslos anstarren, blitzt ein kleiner Hoffnungsschimmer auf. Was auch immer er für einen Müll hinter sich hat, er scheint genauso gebrandmarkt wie ich. Daher verstehe ich natürlich, dass er mich begehrt, mit mir schläft, aber alles nur unverbindlich halten möchte.
Verliebt war ich sowieso noch nie. Hört sich vielleicht hart an, aber es gab in meinem Leben noch keinen Mann oder aber auch eine Frau, bei der mein Herz schlug, als gäbe es kein Morgen mehr. Viele sind mit fünfundzwanzig schon verheiratet und bekommen zusammen Kinder, etwas, das ich mir für mein Leben absolut nicht vorstellen kann.
„Da bin ich dabei", holt mich Hendriks Stimme aus den Gedanken.
Gut sieht er aus, dass kann ich nicht leugnen. Hellbraunes Haar, das im Moment unordentlich auf seinem Kopf sitzt und einfach macht, was es will. Eine ähnliche Augenfarbe, die an ein unschuldiges Rehkitz erinnern und ein schlanker Körper, der mich um einen Kopf überragt. Gut ausgestattet ist er auch, darüber kann ich mich nicht beklagen...
Eigentlich wollte ich mich an diesem Abend in der Bar von keinem Mann abschleppen lassen, aber als Hendrik sich dann frech und ohne zu fragen zu mir saß, änderte sich meine Meinung schnell. Mein letztes Mal ist schon eine Weile her gewesen und daher war ich mehr als willig, als wir dort in der Toilettenkabine übereinander hergefallen sind.
„Mein Bruder und ich kommen aus dem Nachbarsort. Am besten nehmen wir uns ein Taxi?"
„Ich rufe am besten Anton an", antwortet Hendrik sofort. „Er ist Taxifahrer und irgendwie ein richtig cooler Typ."
Der besagte ist ein großer, etwas pummeliger Mann in den Mittvierzigern. Die schwarzen, kinnlangen Haare sitzen wie eine Perücke auf seinem Kopf und in den kleinen Knopfaugen spiegelt sich Freundlichkeit und Güte. Mit einer eleganten Handbewegung deutet er mir den Platz auf die Rückbank, während Hendrik auf der Beifahrerseite einsteigt.
Die ganze zwanzigminütige Fahrt, reden Anton und Hendrik miteinander, während ich nur da sitze und manchmal, wenn sie sich zu mir umdrehen, mit dem Kopf in ihre Richtung nicke oder die beiden Männer anlächele, um zu signalisieren, dass bei mir alles okay ist und ich ihrem Gespräch folge. In Wirklichkeit höre ich nur halbherzig zu. Viel zu oft wandern meine Gedanken in eine andere Richtung.
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„Bist du eigentlich Einzelkind?", frage ich Hendrik, nachdem wir vor dem Einfamilienhaus stehen, in dem mein Bruder und seine Verlobte wohnen. Auch ich schlafe momentan dort, genau genommen seit drei Jahren.
„Ja", antwortet er und ich meine eine leichte Verbitterung in seiner Stimmlage herauszuhören, könnte mich aber auch irren, weil er mich gleich danach angrinst und fragt: „Und du?"
Das es eine bescheuerte Frage ist, realisiert er gleich und schlägt sich dann leicht gegen die Stirn.
„Offensichtlich ja nicht", murmelt er dann.
„Torben ist mein älterer Bruder. Und dann gibt es da noch die Ältesten... Die Zwillingsmädchen. Aber von den beiden haben Torben und ich seit mehr als zehn Jahren nichts mehr gehört. Mit achtzehn sind sie von zuhause ausgezogen, da waren mein Bruder und ich noch minderjährig..."
Was erzähle ich da eigentlich?
Fehlt nur noch, dass ich Hendrik gleich heute Abend meine ganze Kindheitsgeschichte auftische. Vor allem die Details, die ziemlich unter die Haut gehen.
„Wir sollten reingehen", schlägt dieser vor und sein Blick liegt sehr lange auf meinem Gesicht, ehe er meine Körper hinunterwandert. In dem kleinen Schwarzen friere ich wie verrückt, lasse mir das aber nicht anmerken. „Sonst verkühlst du dich noch."
Wie ein Gentleman reicht er mir seinen Hoodie, den er sich über den Kopf gezogen hat und seine Haarpracht steht schon wieder zu allen Seiten ab. Ich bin versucht ihm durch diese hindurchzufahren, alleine beim Gedanken daran kribbelt es unangenehm in meinem Magen. Obwohl ich mich sofort ins Warme flüchten könnte, lasse ich es sein und ziehe mir stattdessen den Pullover über. Hendriks einzigartiger Geruch steigt mir in die Nase und die Gänsehaut, die sich jetzt auf meinem Körper ausbreitet, ist nicht mehr nur noch der Kälte zu verschulden...
Liebe ist was für Schwächlinge.
Sie ist nur ein Spiel, Tabea!
Und du wirst immer der Verlierer sein.
Ich schüttele mich kurz und setze dann wieder die Maske auf, die ich seit meiner frühsten Kindheit trage.
"Lass uns reingehen", sage ich schließlich und versuche mir das Zittern in der Stimme nicht anmerken zu lassen. "Wir sind ja schließlich aus einem bestimmten Grund hier."
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In Your Eyes (Band 3)
RomanceHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...