Hendrik
„Fuck, Hendrik...", spiele ich die WhatsApp von David ab, die vor ein paar Sekunden eingegangen ist. Den halben Vormittag habe ich verpennt und bin trotzdem noch nicht wirklich fit. Am liebsten würde ich den Tag im Bett verbringen. „Ich habe gerade in Papas Haus etwas angefangen die Sachen auszusortieren. Mama will jetzt doch verkaufen, weil ich schon ein eigenes Haus habe und die Zwillinge noch zu jung sind... Ach ist aber auch gerade total egal. Du weißt nicht, was ich in seinem Schreibtisch gefunden habe.. Du weißt doch den in seinem Arbeitszimmer, in das wir nie reindurften, obwohl es uns immer so in den Fingern gejuckt hat.. Verdammt, ich glaube, Papa hat Vanessa geschwängert und die beiden haben doch tatsächlich eine Tochter... Da gibt es dieses Bild von den dreien... Fuck, ich pack das nicht länger, Hendrik... Ich muss hier raus..."
Abrupt endet die WhatsApp. Besorgt rappele ich mich auf und schlüpfe in die Jeans und das T-Shirt, das ich schon gestern anhatte und welches doch ziemlich nach Schweiß und Rauch stinkt. Aber was solls? Bei David scheint es gerade auch mehr oder weniger drunter und drüber zu gehen. Vielleicht wäre es besser, wenn ich zu ihm fahre, aber auf der anderen Seite will ich dringend mit Marianna über ihr Angebot von heute Nacht, sprechen. Seit einer sehr langen Zeit fühle ich so etwas wie Zuversicht und das will ich einfach mit allen Sinnen auskosten.
Ist es egoistisch von mir, wenn ich David jetzt hängen lasse?
„Das sind ja krasse Neuigkeiten, Alter. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann melde dich sofort bei mir. Ich habe heute ein paar Dinge zu erledigen, aber du weißt, dass ich sofort alles stehen und liegen lassen würde, wenn du mich darum bittest", spreche ich eine Antwort in mein Handy hinein und schicke die Nachricht ab.
Zur Sicherheit mache ich das Teil auf volle Lautstärke und schiebe es mir in die Hosentasche meiner Jeans, so dass ich jederzeit reagieren könnte, wenn mein bester Freund meinen Beistand braucht...
Mama und Marianna sind beide im Wohnzimmer, als ich dieses betrete. Es ist irgendwie seltsam, dass die beiden zusammen sitzen. Normalerweise widmet sich Marianna um die Uhrzeit sämtlichen Aufgaben im Haushalt, aber heute hält sie eine Tasse Tee in der Hand und unterhaltet sich ziemlich angeregt mit Mama. Es scheint fast, als würden die beiden sich über etwas streiten oder zumindest nicht einer Meinung sein. Als sie mich bemerken, verstummen sie sofort, was mich natürlich gleich stutzig macht. Ich hasse es, dass ich anscheinend schon wieder das Gesprächsthema Nummer eins bin. Und das macht sogar nicht einmal mehr vor unserer Haushälterin Halt.
„Hast du gut geschlafen, mein Junge? Ich habe von Marianna gehört, dass du ziemlich betrunken warst, als du heute Nacht nach Hause gekommen bist. Es tut mir leid, dass Papa und ich schon wieder so lange unterwegs waren", sagt Mama, was unsere Haushälterin nur mit einem bitterem Seufzer quittiert.
„Danke, Mama", murmele ich. „Ich habe eigentlich ziemlich gut geschlafen. Mach dir keinen Kopf. Ich bin es ja schon gewohnt, dass solche Termine ziemlich lange gehen können. Wo ist Papa jetzt?"
„Dein Vater ist gleich heute Morgen geschäftlich für eine Woche nach Frankfurt gefahren", antwortet Marianna, woraufhin Mama ihr einen nicht gerade freundlichen Blick zuwirft.
Was ist hier los?
„Ihr beide seit seltsam drauf. Ist irgendwas passiert?" Etwas überfordert lasse ich mich auf den Sessel sinken, von dem ich direkt auf das Sofa blicken kann, auf dem die beiden sitzen.
„Wir müssen reden...", beginnt Mama. „Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, wenn du zu Hermann in die Schreinerei gehst, um dort ein wenig auszuhelfen."
Mamas Worte versetzen mir einen Stich ins Herz. Ich versuche die Enttäuschung hinunterzuschlucken, die jetzt wie ein dicker Kloß in meinem Hals feststeckt.
Warum will sie das nicht? Ist sie etwa schon wie Papa und will mir nichts mehr gönnen?
„Du kannst es dem Jungen nicht verbieten", mischt sich Marianna empört ein.
„Niemand kann mir etwas verbieten", mache ich der Verzweiflung Luft, die gerade in mir aufkocht. „Ich werde in drei Monaten dreißig Jahre alt und kann rein theoretisch schon lange machen, was ich will."
„Ich...", versucht Mama es ein weiteres Mal, aber Marianna unterbricht sie erneut. Jetzt liegen die beiden Frauen sich fast weinend in den Armen, was mich nur noch mehr durcheinander bringt. Eben waren sie doch nicht wirklich gut aufeinander zu sprechen.
„Wir müssen es Hendrik endlich sagen, Helga."
„Du hast ja recht, Marianna. Wir haben viel zu lange gewartet."
Zwei Augenpaare liegen jetzt auf mir. Ich klammere mich an die Lehne des Sessels, weil ich mich beinahe schon beobachtet fühle und hilfloser als der kleine Junge, der sich vor den Monstern unter seinem Bett fürchtete.
Das hier ist nicht gut.
Alles andere als das!
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In Your Eyes (Band 3)
RomanceHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...