Hendrik
„Was müsst ihr mir sagen?", frage ich viel mutiger, als ich mich im Moment fühle. Ich ignoriere die Tatsache, dass mein Herz mir bis zum Hals schlägt und ich super nervös bin. Wie gerne wäre ich jetzt woanders und nicht hier. Zwar habe ich endlich die Chance mit Mama zu reden, ohne dass Papa uns dazwischen grätscht, aber dieses Gespräch hatte ich mir etwas anders vorgestellt.
„Es ist so...", beginnt Marianna, stoppt dann und schaut zu Mama, die ihr zunickt, wahrscheinlich um sie zu ermutigen weiter zu sprechen.
„Mein Mann Hermann. Weißt du, Hendrik er ist... Ich weiß nicht genau, ob es eine gute Idee ist, wenn ich dir das sage. Helga meinst du nicht auch, dass du mit deinem Sohn sprechen solltest?"
„Es betrifft uns alle, Marianna, aber wenn du dich besser fühlst, dann sage ich es dem Jungen."
„Was wollt ihr mir eigentlich sagen?", frage ich mit zittriger Stimme. Scheint, dass sie mich im Stich lässt, dabei habe ich noch nicht einmal eine Ahnung, ob die Neuigkeiten gut oder schlecht sind. Wo ich eher auf die zweite Möglichkeit tippe, weil keiner der beiden Frauen vor mir so wirklich mit der Sprache rausrücken möchte.
„Was Marianna sagen wollte ist, dass Hermann.. Weißt du, ich halte es für die richtige Entscheidung, dass du nicht bei ihm in der Schreinerei anfängst, weil er.. Naja Hermann, er ist der kleine Bruder deines Vaters. Ihre Geschichte ist nicht gerade..."
„Papa hat einen Bruder?", wiederhole ich, ehe sich der Nebel in meinem Kopf lichtet und ich ruckartig auf die Beine komme. „Bitte was?"
„Es ist eine ziemlich lange Geschichte", sagt jetzt Marianna. „Die Brüder sind seit Jahren verstritten und die Brauerei ist einer der Gründe, warum das so ist. Du kennst doch deinen Vater und wie stur er sein kann. Leider ist Hermann nicht anders. Dickköpfe sind sie... Alle beide."
„Wieso hast du mir dann überhaupt dieses Angebot gemacht, Marianna?", frage ich sie. Verzweiflung schwappt in meiner Stimme mit und ich kann nicht anders und lasse mich wieder in den Sessel fallen. „Du hast mir Hoffnungen gemacht und jetzt soll alles umsonst sein, weil es wieder Papa ist, der mir alles kaputt macht? Er ist es, der niemals dulden würde, dass ich bei seinem Bruder in der Schreinerei arbeite, habe ich recht?"
Mama und Marianna schauen sich an. So viel mehr liegt in ihren Blicken und mit Sicherheit ist das hier noch nicht die ganze Wahrheit. Heißt es für mich also, einfach drauf loszuraten. Scheint, dass heute der Tag der Geständnisse ist.
„Hermann... Ist er der Grund, warum Papa mich so abweist?", mutmaße ich. „Bin ich etwa gar nicht Papas leiblicher Sohn, sondern der von Hermann? Ihr habt euch getrennt, als ich noch nicht einmal neun Jahre alt war, Mama. Seither lebt ihr nur noch nebeneinander her. Früher habe ich es nicht verstanden, aber heute schon. Du kannst dich nicht von Papa lösen, weil du in seiner Schuld stehst. Hast du ihn etwa mit seinem Bruder betrogen?"
„Das stimmt so nicht", nuschelt Mama. „Ich habe deinen Papa nie betrogen und schon gar nicht mit Hermann. Du bist längst erwachsen, Hendrik, was aber nicht rechtfertigt, dass du solche Vermutungen überhaupt aufstellst. Das verletzt mich sehr. Dein Papa und ich haben uns immer geliebt und tun das bis heute. Es ist nur...kompliziert und nichts, dass ich mit meinem Sohn besprechen muss."
„Warum hast du dann all die Jahre nur dagestanden und zugeschaut, wenn Papa mich schikaniert hat. Es hat mir das Herz gebrochen, als er mich in der Brauerei abgewiesen hat. Nächtelang habe ich mir die Augen aus dem Kopf geweint, weil ich so enttäuscht war. Daraufhin wollte ich ein so viel besserer Sohn werden, habe mich in der Schule noch mehr angestrengt, aber nicht einmal gute Noten haben Papa interessiert. Alles was ich getan habe, war immer falsch. Du kannst nur in seiner Schuld stehen, sonst hättest du dich mehr um mich bemüht."
Längst laufen mir Tränen über die Wangen und auch meine Mutter ist in sich zusammengesunken und weint lautlos in Mariannas Armen.
„Ich wollte deinen Vater nicht verlieren", meint Mama schließlich mit zittriger Stimme. „ Du hast recht, ich stehe tatsächlich in seiner Schuld, aber nicht weil ich ihn mit einem anderen Mann betrogen habe. Vor genau neunundzwanzig Jahren und neun Monaten habe ich etwas getan, von dem dein Vater nichts wusste. Ich habe dich zu uns ins Haus geholt, ohne ihm zu sagen, dass du nicht das Kind des sechszehnjährigen Mädchen bist, das wir für eine Adoption ausgesucht hatten..." Mamas Stimme bricht und alles was ich jetzt noch wahrnehme, ist ihr hemmungsloses Schluchzen.
Eine Adoption? Ich bin also gar nicht das Kind von Mama und Papa.
„Du lügst", schreie ich Mama überfordert an.
Es ist mir egal, dass ich gerade wie ein Kleinkind trotze.
Alles ergibt keinen Sinn mehr.
Mein Leben ist ein einziger Scherbenhaufen.
Alle, die ich liebe betrügen und belügen mich.
Caroline, Mama, Papa, Marianna...
Und jetzt habe ich nicht einmal eine Ahnung, wer genau meine...wirklichen Eltern sind.
Und warum sie mich einfach weggeben haben.
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In Your Eyes (Band 3)
RomansaHendrik ist sich sicher, dass er mit Caroline die Frau fürs Leben gefunden hat. Doch selbst im Paradies lauern Gefahren und schnell ist er die rosarote Brille wieder los. Trost sucht er bei seinem besten Freund David, der aber selbst genug mit eigen...