„Du musst früher ein sehr lieber Mensch gewesen sein..."

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„Bevor ich dir erzähle, wer ich bin, würde ich dich gerne fragen, wer du bist."
Seine Stimme wurde ruhiger.

„Wer ich bin?"
Fragte sie.

„Ja...Wer bist du? Du hast mir deinen Namen noch gar nicht gesagt."
Wiederholte er.

„Du hast ja auch nicht gefragt."
Antwortete sie selbstbewusst.

„Das stimmt. Doch nun, habe ich dich gefragt."
Sagte er.

...

„Ich bin Bella."
Schmunzelte sie vorsichtig.

„Bella..."
Wiederholte er.

...

„Diesen Namen habe ich ja schon ewig nicht mehr gehört. Wie die Zeit doch vergeht. Und wie alt bist du?"
Sah er sie an.

„Ich bin 20."
Nickte sie.

„Das ist aber wirklich noch blutjung."
Überlegte er.

„Wie alt bist du denn?"
Fragte sie ihn.

„Ich bin eigentlich, wenn man es genau nimmt, 180 Jahre alt. Als ich starb, bin ich frisch 30 geworden. Dieses Alter behielt ich aber bis heute bei, dass ist hier bei allen so. Man wird hier nicht älter, als man es zu seinem Todeszeitpunkt war."
Erklärte er ihr.

„Wow, dass hätte ich nicht gedacht. Doch, was ist damals passiert? Wieso bist du so geworden, und was ist mit deinen Eltern passiert?"
Fragte sie lieb.

...

„Interessiert dich das wirklich?"
Blinzelte er.

„Natürlich."
Nickte sie energisch.

„Also, vor vielen Jahren, im Jahr 1876, entschlossen sich meine Eltern, gemeinsam mit mir, auf weite Reise zu gehen. Ein Schiff sollte es werden, mein Vater war ganz begeistert davon. Doch von unserem Land aus, gab es solche Fahrten nicht. Ursprünglich kamen wir nämlich aus Frankreich, daher auch mein Name. Meine Eltern und ich waren adlig, wollten wann immer es ging die Welt bereisen.
Jeden Tag am besten. Da ich Einzelkind war, nahmen sie mich überall hin mit. Unser Verhältnis war innig, vertraut und liebevoll. Ihre Anwesenheit war einfach beruhigend, und ich konnte mit ihnen über alles sprechen."
Fing er an.

„Du kommst aus Frankreich?"
Fragte sie.

„Ja."
Nickte er.

„Kannst du dann auch französisch sprechen?"
Sah sie ihn an.

Er sah ihr in die Augen.

„Ja, dass ist meine Muttersprache."

„Eine wunderschöne Sprache, ich mag sie sehr. Damals sowie heute, sie wird immer elegant bleiben."
Lächelte Bella.

„Das stimmt. Allerdings spreche ich sie selten bis fast gar nicht mehr, verlernt habe ich sie allerdings nicht."
Schlug er ein Bein übers andere.

„Und wie geht es weiter? Du warst noch nicht zu Ende mit erzählen."
Interessierte sich Bella.

...

„Nun, wie gesagt liebten meine Eltern das reisen. Ich kam immer mit, weil ich nicht ohne sie konnte oder gar sein wollte. Also führte mein letzter Weg, gemeinsam mit ihnen, auf dieses Schiff hier. Es war groß, adlig, und stark...Einfach wunderschön, äußerlich sowie innerlich. Wir freuten uns alle auf die Reise. Unser Ziel war Südamerika, doch da...Kamen wir nie an. Es geschah alles in einer dunklen, finsteren Nacht. Es war extrem kalt, vom Meerwasser gar nicht zu sprechen. Ein Leck bildete sich, doch niemand wusste, woher das kam, auch ich nicht. Es war einfach da, die Wasserfluten drangen überall ein, während meine Eltern und ich grade gemeinsam an einem Tisch saßen."

...

„Ich erinnere mich noch genau, an das, was damals passiert ist. Die Menschenmenge wurde größer, rannte durch die Säle, auch meine Eltern und ich standen auf. Sie wurden mitgerissen, ich griff noch nach Mama's Hand, doch es war unmöglich, sie zu erreichen. Sofort ging auch ich in die Menschenmasse, um sie zu suchen. Doch sie waren fort. Ich war gezwungen, alleine an Deck zu gehen, zwar mit den anderen, doch...Ohne meine Eltern. Das war schwer für mich.
Ich stand oben, und es sank immer weiter. Verzweifelt rief ich ihre Namen, doch erhielt nie eine Antwort."

...

„Das Ende der Geschichte ist...Ich bin ertrunken. Wie alle anderen auch, im kalten Wasser. Alles ging sehr schnell, meine Eltern sah ich nie wieder. Sie sind nicht hier auf dem Schiff, ihre Leichen sind quasi nicht mit ihm untergegangen. Die Strömung riss sie mit sich, ich würde alles tun sie noch einmal zu sehen. Und nun bin ich hier, spiele Klavier und...Aus mir wurde ein anderes Wesen, ich veränderte mich."
Seufzte er.

Bella hörte ihm still und interessiert zu.
Seine Geschichte zu hören beeindruckte sie sehr.

Sie war traurig, als sie ihm zuhörte. Étienne's tragische Geschichte nun zu wissen, machte sie mehr fertig als sie eigentlich zulassen wollte. Traurig sah sie Étienne an, wie er hypnotisiert auf seine Tasten sah.

„Das tut mir so unglaublich leid Étienne."
Sagte sie von Herzen.

„Es muss dir nicht leid tun. Unglücke passieren, nur leider...Hat man sie mir viel zu früh genommen."
Antwortete er.

...

„Du musst früher ein sehr lieber Mensch gewesen sein."
Sagte Bella plötzlich.

„Woher willst du das wissen?"
Sah er sie skeptisch an.

„Deine Art, wie du geredet hast, hat es mir verraten. Du hast so lieb über deine Eltern gesprochen, auch sie müssen sehr herzliche Menschen gewesen sein. Daran glaube ich fest. Wahrscheinlich haben sie dich auch mit viel Liebe, sowie Freundlichkeit aufgezogen."
Sprach sie mitleidig.

„Das haben sie wirklich. An Liebe hat es mir ihrerseits nie gefehlt. Auch sonst fehlte es mir an...Fast nichts. Früher sah ich auch ganz anders aus, ich hatte dunkelbraunes Haar, und sah eben wie ein Mensch aus. Heute sehe ich böse und garstig aus, wie ein Wesen aus der Unterwelt eben."
Zuckte er mit den Schultern.

„Aber wenn deine Eltern doch so lieb zu dir waren...Warum bist du dann heute so böse?"
Fragte Bella.

„Wie gesagt, veränderte ich mich. Zum Negativen. Meine Träume und meine Wünsche, einfach über Bord geworfen. Es wird nie mehr so, wie es mal war."
Sagte er.

...

„Was wünschst du dir denn?"
Flüsterte sie.

„Damals habe ich mir eine Freundin gewünscht. Heute wünsche ich mir nichts mehr."
Antwortete er.

„Hattest du noch nie eine Freundin?"

„Nein. Frauen ja, aber eine feste Freundin nicht. Keine von ihnen hat zu mir gepasst, also blieb ich allein."
Zuckte er mit den Schultern.

...

„Meine Mutter sagte immer, eines Tages werde ich eine Freundin haben. Sie sagte, sie wird ein genauso gutes Herz wie ich haben. Doch...Ich habe kein gutes Herz. Nicht mehr."
Strich er sich plötzlich durch's Haar.

„Dann ändere etwas daran."
Sagte sie ernst.

...

ÉTIENNEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt