1. Kapitel

73 12 1
                                    

Mein Kopf schmerzt und als ich langsam wieder zu mir komme, stöhne ich schmerzerfüllt auf. Ich reibe mir mit meiner Handinnenfläche über mein Gesicht und zische, als ich die Wunde an meiner Schläfe sehr stark nun wahrnehme.

Langsam öffne ich meine Augen und muss ein paar Mal blinzeln, um scharf sehen zu können. Ich bin verwirrt. In der ersten Sekunde überfordert mich alles. Doch in der zweiten Sekunde erkenne ich deutlich, dass ich mich wohl in einem Krankenhaus befinde. Plötzlich schießen mir alle Erinnerungen in meinen Kopf. Wo ist Mom? Geht es ihr gut?
Ich setze mich auf und der Schmerz rückt in den Hintergrund, als ich panisch an Mom denke.

Ich stehe auf und stolpere zügig zur Zimmertür. Ich öffne sie und gehe aus dem Zimmer. Einen Moment brauche ich, um mich in dem fremden Krankenhaus zu orientieren. Als meine Orientierung nicht wirklich besser wird, laufe ich einfach blind in die linke Richtung los. Eine Frau in weinroter Arbeitskleidung kommt auf mich zu. Die Dame schätze ich auf Mitte 40. Sie ist etwas fester, wirkt aber sehr erfrischt und munter.

"Rachel, Süße. Was machst du denn? Leg dich wieder in dein Bett. Na komm."

Sie kennt meinen Namen.

"Wo ist meine Mom? Wir..Wir hatten einen Autounfall. Geht es ihr gut?"

Die Frau sagt erstmal nichts zu mir und schiebt mich behutsam zurück in das Zimmer, in dem ich aufgewacht bin. Erst jetzt sehe ich, dass neben meinem Bett ein Stuhl steht, auf dem eine Jacke hängt und ein Buch auf der Sitzfläche liegt.

"War meine Mom bei mir? Ist sie wieder gesund?"

Die Frau drückt mich vorsichtig in das Bett und legt die Decke über mich drüber.

"Langsam, Rachel. Ich weiß, du hast viele Fragen, aber warte bitte einen Moment, bis dein Vater wieder kommt. Er wollte sich gerade einen Kaffee holen. Du warst vier Tage bewusstlos. Lass dir selber kurz etwas Zeit."

Vier Tage.

Bewusstlos?

"Das kann nicht sein. Ich war eben noch bei Mom. Bitte sagen Sie mir wo sie ist. Geht es ihr gut?", schluchze ich.

Die Dame schaut mich mitleidig an und mein Puls steigt. Mein Bauchgefühl fühlt sich wie die Hölle an, weil ich ahne, welch eine Nachricht auf mich zu kommen wird. Doch wie es immer so schön gesagt wird: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Auch wenn mein schlechtes Bauchgefühl überwiegt, halte ich mich an den letzten Funken Hoffnung in meinem Kopf fest. Es muss ihr einfach gut gehen. Bitte lieber Gott, lass sie noch am Leben sein.
Ich bin in meinen Gedanken, als plötzlich die Tür aufgeht und jemand in das Zimmer kommt.

Es ist mein Vater.

Er hat sich leicht verändert, seit ich ihn das letzte Mal vor vier Jahren gesehen habe. Er hat einen dreitage Bart und obwohl er sehr müde aussieht, ist seine Statur sehr fit und sportlich. Er hat sehr schöne Kleidung an, wirkt gepflegt. Er war schon immer ein gut aussehender Mann. Nie dick, oder ungepflegt. Aber er hat sich verändert. Er hat mehr aus sich gemacht, dass sieht man ihm an.

"Wo ist Mom?", frage ich sofort.

Hastig kommt mein Vater auf mich zu und stellt den Kaffebecher an meinem Nachttisch ab. Er setzt sich zu mir auf das Bett und nimmt sanft meine Hände in seine.

"Rachel, ich bin so froh, dass es dir gut geht."

"Verdammt, ich will endlich wissen, wo Mom ist. Wo ist sie!?", sage ich laut. Mir reißt langsam mein Geduldsfaden. Ich weiß, dass keiner der Beiden es böse meint. Beide mich schonen wollen. Aber die Ungewissheit frisst mich auf und es ist mir egal in welchem gesundheitlichen Zustand ich mich befinde. Ich muss es wissen. Egal, wie die Antwort ausfällt. Davor komme ich nicht zur Ruhe.

Doch die Stille der Beiden nimmt mir langsam meinen Funken der Hoffnung weg und Tränen laufen mir über mein kaltes Gesicht.

"Dad, bitte."

"Es tut mir so leid, mein Schatz", krächzt er heraus. Er versucht sich für mich zu beherrschen, das sehe ich ihm an.

"Sie..."

"Ist sie am Leben?"

Tot. Das Wort konnte ich nicht aussprechen.

Mein Dad sieht mich für einen Moment intensiv mit glasigen Augen an.

"Nein, Rachel."

"Deine Mom..sie ist bereits am Unfallort gestorben", sagt er mit zitternder Stimme.

Jetzt laufen ihm auch still die Tränen über seine Wangen.

Ich verziehe mein Gesicht vor Schmerzen. Meine Brust zieht sich zusammen. Mein ganzer Oberkörper fühlt sich an, als würde er in einer Höhle feststecken und Platzangst kommt hoch.

Mein Dad nimmt mich vorsichtig in den Arm und streicht mir, während ich laut schluchze, durch meine zerzausten blonden Haare.
Ich kralle fest meine Finger in seine Schulter, um Halt zu finden. Etwas zu spüren. Ich fühle mich verloren und habe Angst. Ich habe Angst, ohne Mom auf dieser Welt zu sein.

"Nein", weine ich laut.

Ich spüre die traurigen Blicke der Krankenschwester auf mir und höre kurz darauf wie sie aus der Tür verschwindet, um mich und meinen Vater allein zu lassen.

"Wir schaffen das. Du schaffst das", sagt er liebevoll zu mir.
Doch egal, wie viele ermutigende Worte er noch zu mir sagen möchte. Nichts lässt den Schmerz verschwinden, der in mir ist.

"Ich bin bei dir, Rachel. Du bist nicht allein."

Ich weine noch mehr. Ich weiß, dass er versucht mir Sicherheit zu vermitteln. Doch es schmerzt nur mehr, der Gedanke, mein Vater ist jetzt da. Und Warum? Weil mein Mutter tot ist.

Sie war alles für mich. Ich will sie wieder haben.

"Wo ist Toby?", frage ich und hoffe auf eine vertrautere Gesellschaft.

"Tut mir leid, wer ist Toby?"

"Mein..Mein Freund", sage ich.

"Hat er mich denn nicht besucht?"
Mein Vater schüttelt bedrückt seinen Kopf. "Es war ein Mädchen aus deiner Klasse zu Besuch. Sie hat dir eine Karte mitgebracht, auf der alle Klassenkameraden unterschrieben haben", erzählt er mir.

Das heißt alle wissen Bescheid. Trotzdem ist mein Freund nicht bei mir.

"Er hat mich nie besucht?", stottere ich verletzt.

Ich will ihn hier haben. Ich bin oder war so sehr in ihn verliebt. Seine Nähe würde mir Halt geben. Das dachte ich vor ein paar Sekunden zumindest noch. Erst jetzt merke ich, wie ich ihm immer nachgelaufen bin. Ich war immer nur sein Accessoire. Mehr nicht. Und ich war es gerne. Weil ich verliebt war. Ich fühle mich immer noch verliebt, aber jetzt ist da auch ein tiefer Schmerz in meinem Herzen.

Ich lege mich auf die Seite, trenne mich von meinem Vater und ziehe meine Knie an mich. Ich schluchze laut, was meinen Schmerz erleichtert. Ich spüre Dads Hand auf meiner Schulter. Er streicht mir während ich weine behutsam über die Stelle.

Auch wenn er hier bei mir ist, habe ich mich noch nie in meinem Leben so allein gefühlt.

◇◇◇◇◇◇

Hallo, wie gefällt es euch?

Ich würde mich extrem über eure Kommentare freuen.

Seit ihr gespannt auf ihr weiteres Leben?

Eure
Melli♡

You don't pay no rent - to live in my headWo Geschichten leben. Entdecke jetzt