9. Kapitel

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"Was machst du da?"

Ethan's Stimme durchdringt die Stille und lässt mich erstarren. Verdammt. Schuldbewusst drehe ich mich langsam um, mein Blick trifft seine tiefgrünen Augen. Ein unbehagliches Kratzen am Nacken verrät meine Verlegenheit, während ich seinem Blick ausweiche.

"JOO WAS GEHT?" Die laute Stimme dringt durch das Haus, begleitet von einem Türknall, der die Atmosphäre durchbricht. Eine sehr präsente Person tritt in den Flur, und ich bin unsicher, ob ich mich darüber freuen oder gestresst sein soll.

"Hey, Bro ma-", der Unbekannte stockt, als er mich erblickt. Er verbeugt sich verspielt, nimmt sanft meine Hand an der Treppe und küsst den Handrücken. Überrascht und überfordert ziehe ich langsam meine Hand zurück.

"Du musst bestimmt die berühmte Rachel sein. Adams Tochter. Du bist tatsächlich noch schöner als ich es mir vorgestellt habe", schmeichelt er mir. Mein "Ehm" ist alles, was ich herausbringe, und ich suche hilfesuchend Ethans Blick. Er seufzt und sagt: "Das ist Caleb. Mein nerviger Kumpel."

"Bester Kumpel", korrigiert Caleb mit einem Grinsen.

"Hast du dich hier schon etwas eingelebt?", erkundigt sich Caleb ruhiger und einfühlsam. Seine Stimme wechselt von energisch zu sanft, was mich beruhigt.

"Naja, geht schon", antworte ich ehrlich.

"Du wirst sehen, Rachel. Ich werde dir noch oft ein Lächeln auf die Lippen zaubern", sagt er frech.

"Komm schon, Mann. Lass ihr noch Luft zum atmen", schreitet Ethan ein und zieht Caleb augenrollend mit sich.

"I-", wollte ich anfangen, doch beide Jungs sehen gespannt zu mir, was mich verstummen lässt. Nervös gehe ich die restlichen Stufen zum Zimmer hinauf.

Auf meinem Bett sitzend kaue ich an meinen Nägeln. Was war das? Was ist mit mir los? Ich fühle mich nervös, fast aufgeregt. Plötzlich ist wenig Raum für Traurigkeit und Angst.

Einerseits erleichtert es mich, etwas anderes zu fühlen, andererseits fühle ich mich schlecht, nicht mehr so traurig zu sein. Natürlich überkommt mich die Traurigkeit sofort wieder, wenn ich an Mom denke. Aber es reicht, mich schlecht zu fühlen, wenn jemand mich ablenken kann.

Es klopft an der Tür, und ich schrecke hoch. Schnell werfe ich einen Blick auf meine Kleidung, bevor mein Vater hereinkommt. Mein Herz beruhigt sich, und ich lasse meine Schultern hängen.

"Darf ich rein?" Er setzt sich neben mich auf das Bett.

"Wie geht es dir?", beginnt er das Gespräch.

"Alles okay", antworte ich knapp und versuche, einiges zu verdrängen, um dieses "Alles okay" herauszubringen. Meine Kehle engt sich ein, während ich mehrmals schlucke, um das Gespräch zu erleichtern.

"Möchtest du nicht lieber darüber reden? Scheinbar schläfst du auch nicht gut. Du hast bis jetzt kein einziges Wort über deine Mutter verloren", murmelt er unsicher, wie weit er gehen darf.

Ich seufze und konzentriere mich wieder auf das Nägelkauen.

"Ich möchte nur, dass es dir gut geht. Dabei weiß ich nicht, ob es besser für dich ist, wenn du lediglich weißt, dass du immer zu mir kommen kannst oder ich besser auf dich zukomme."

"Mach dir nicht so viele Gedanken, Dad. Ich komme schon klar", nuschle ich zwischen meinen Fingern hervor.

"Darf ich dich umarmen?", fragt er vorsichtig nach.

"Bitte nicht", presse ich nervös und panisch hervor. Ich sehe ihm an, wie er sich bemüht, nicht traurig zu wirken. Allerdings bekommt er das nicht wirklich gut hin. Auch wenn ich nicht möchte, dass sich irgendjemand wegen mir schlecht fühlt, muss ich bei meiner Grenze bleiben. Ich kann nett sein, höflich sein, aber ich möchte keine Umarmung. Denn wo waren die Umarmungen, als ich noch klein war?

"Möchtest du eventuell mit runterkommen zu den beiden Jungs? Wenn die beiden hier sind, wird es nicht mehr lange dauern bis Charlotte da ist. Das würde dir bestimmt gut tun", schlägt er freundlich vor.

"Ich glaube, es ist besser, wenn ich hier bleibe."

"Versuch es, Rachel. Lass dich für 10 Minuten mal darauf ein, danach kannst du dich auch wieder in dein Bett legen. Aber vielleicht tut es dir auch sehr gut", motiviert mich mein Vater.

Seufzend gebe ich nach und stehe dann zustimmend von meinem Bett auf.

Mein Vater sieht nun wieder glücklicher aus und geht eilig auf die Zimmertür zu. Dabei schiebt er mich regelrecht aus dem Zimmer, damit ich es mir ja nicht noch einmal anders überlege.

Unmotiviert folge ich ihm nach unten in Richtung Terrassentür. Auf der Terrasse sitzen tatsächlich auch schon alle. Auch Charlotte. Sie schlürft an ihrer Caprisonne und fängt an zu strahlen, als sie mich sieht. Sie rutscht in ihrem Stuhl etwas aufrechter nach oben und drückt mir dann eine zweite Caprisonne in die Hand.

"Gegen Caprisonne kannst du nichts sagen", beginnt sie sofort aufgeregt.

Ich schaue etwas verloren in die Runde, und Ethan schmunzelt über das Verhalten seiner Schwester.

Überfordert nehme ich die Caprisonne an und bedanke mich ruhig und leise bei ihr.

"Kein Problem", antwortet sie mit energiegeladener Stimme. "Die hat eh Adam gekauft", kichert sie, und mein Vater verdreht belustigt die Augen.

"Hast du eigentlich einen Freund?", fragt sie neugierig und fühle mich von allen sehr beobachtet.

"Ehm...nein", nuschle ich und ziehe an meiner Caprisonne.

"Ah cool. Ich auch nicht!", sagt sie und wirkt begeistert, dass ich auch Single bin.

Mein Vater räuspert sich auffällig laut und rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Scheinbar ist nicht nur mir das Gespräch unangenehm.

"Ups, sorry Adam. Ich vergesse immer wieder, dass sie deine Tochter ist", lacht Charlotte aufgeregt.

Ein leichter Wind streicht über meine Haut in der Hitze. Doch trotzdem reicht es aus, dass ich Gänsehaut bekomme und meine Arme schützend um mich lege. Ich fühle mich zudem auch nicht wirklich wohl bei diesen Jugendlichen. Ich kenne sie ja kaum und fühle mich nicht wirklich bereit dazu, mich auf neue Freunde einzulassen.

Oder besser gesagt auf Glück im Leben.

◇◇◇◇

Meinungen?

Eure
Melli♡

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