8. Kapitel

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Mit einem nun freundlich aufgesetzten Blick, reicht mir Ethans Vater seine Hand.

"Schön dich kennen zu lernen.."

"Rachel", ergänze ich ihm zuckersüß und nehme seine Hand freundlich an.

"Wissen Sie, momentan geht es mir wirklich nicht gut", fange ich an.
"Oh ja natürlich. Meine Tochter Charlotte hat es uns erzählt. Mein Beileid, Rachel. Wenn du etwas brauchst, melde dich bei uns. Meine Frau ist auch gerne für dich da", lächelt er.

Er ist unsympathisch.

Er empfindet nicht wirklich Mitgefühl.

"Das ist nett von Ihnen, danke. Ihr Sohn hört mir wirklich gut zu. Es ist Wochenende, ich wusste nicht, dass er nach Hause muss", beginne ich und hoffe, dass er vor mir nachgibt.

"Ja, natürlich. Kein Problem, jetzt weiß ich ja, wo mein lieber Junge ist", knirscht er und muss sich zusammen reißen.

"Also kann er bleiben?", frage ich lieb nach. "Natürlich."

"Oh, Sie sind wirklich zu freundlich. Dann wünsche ich Ihnen noch eine gute Nacht", verabschiede ich mich.

Ich greife nach Ethans Hand und ziehe ihn zügig hinter mir her, damit wir schnell von dem Mann wegkommen, bevor er es sich nochmal anders überlegt.

Ethan lässt sich verwirrt mitziehen und ist in Gedanken. Ich gehe mit ihm ins Haus zurück und verschließe die Tür, damit er sich eventuell wieder wohler fühlt.

"Wieso hast du das gemacht?", ist seine erste Frage.

Ich zucke mit den Schultern.

"Scheinbar hättest du ganz schön Ärger bekommen. Das wollte ich dir einfach ersparen. Hat ja gut funktioniert", erkläre ich ihm.

Plötzlich senkt Ethan seinen Blick und ich folge ihm. Wir stehen immer noch vor der Tür und halten unsere Hände ineinander.

Eilig entferne ich mich von ihm und ziehe meine Hand zurück. Ethan tut nichts. Er steht nur da.

"Danke", murmelt er nur.

"Schon gut", meine ich und laufe auf die Couch zu. Ich setze mich und schalte den Fernseher ein. Das mit meinem Schlaf kann ich heute eh vergessen und ich habe auch keine Lust mehr es erneut zu versuchen. Irgendwann werde ich schon so müde sein, dass ich umfalle und dann schlafe.

Ethan greift nach seinem Handy in seiner Hosentasche und sagt:"Es ist schon 04:45 Uhr. Willst du nicht mal schlafen gehen?"

"Ich kann im Moment nicht gut schlafen und du?"

"Ich auch nicht. Kann ich mitgucken?", fragt er und gähnt dabei.

Eine leichte Verwunderung spiegelt sich in meiner Miene wider, als ich eine Augenbraue hebend reagiere, jedoch letztlich zustimme. Ethan nimmt neben mir auf der Couch Platz, und gemeinsam stöbern wir durch das Angebot von Netflix. "Was möchtest du sehen? Horror, Komödie, Action?", frage ich ihn.

"Was Ruhiges wäre um diese Uhrzeit angenehm", antwortet er.

Demnach entscheide ich mich einfach für "Kindsköpfe". Zwar nicht absolut geräuschlos, aber frei von Explosionen und gruseligen Szenen. Während wir den Film verfolgen, fängt Ethan mehrmals an zu gähnen.

Warum bin ich eigentlich hier? Warum schaue ich um 5 Uhr morgens einen Film mit einem fremden Jungen?

Ein Seitenblick zu Ethan verrät mir, dass er eingeschlafen ist. Seufzend greife ich nach einer der zusammengerollten Decken auf der Couchlehne und decke ihn behutsam zu.

Auch ich würde jetzt gerne schlafen können.

Der Film läuft weiter im Hintergrund, während ich nur den schlafenden Jungen betrachte. Seine gleichmäßigen, sanften Atemzüge wirken auf mich irgendwie beruhigend. Eine Weile lang lasse ich meinen Blick auf ihm ruhen, bis auch ich mehrmals einnicke und schließlich ins Reich der Träume hinübergleite.

Doch so schön wie ich es gerne das "Traumland" nenne, sieht es gerade nicht in meinem Inneren aus. Immer wieder spielt sich der Unfall vor meinen Augen ab. Am traumatischsten waren ihre offenen Augen. Ich habe keine Vorstellung davon, wie lange mich diese Bilder noch heimsuchen werden.

Keuchend und mit winzigen Schweißperlen auf Stirn und Nacken erwache ich aus einem unruhigen Schlaf. Meine Hand tastet hilfesuchend nach der Armlehne der Couch, um Halt zu finden.

"Rachel!", ruft mein Vater schockiert.

Ein leichtes Zucken durchläuft meinen Körper, da ich nicht damit gerechnet habe, dass mich jemand in diesem Zustand sehen würde.

"Ist alles in Ordnung?", fragt er besorgt.

Während meine Aufmerksamkeit eigentlich meinem Vater gelten sollte, spüre ich eine wohlige Wärme neben mir auf der Couch. Plötzlich fällt mir wieder ein, dass Ethan neben mir liegt, und ich spüre seinen Blick auf mir ruhen. Unwillkürlich breitet sich eine Hitze in meinem Gesicht aus, und ich fürchte, es wird rot.

Kurz wage ich es, zu ihm hinüberzublicken, und unsere Blicke treffen sich. Die Hitze in meinem Gesicht verstärkt sich. Ich räuspere mich, um wenigstens irgendetwas zu sagen.

Eilig robbend bewege ich mich von der breiten Couch zum Coucheck, stehe auf und murmle, bevor ich den Raum verlasse: "Alles okay."

Nervös biege ich um die nächste Ecke, halte kurz inne, lehne mich gegen die Wand und atme tief ein und aus.

"Was habt ihr beiden überhaupt im Wohnzimmer gemacht?", fragt mein Vater dann ernst.

"Nichts, wirklich nichts, Adam. Wir konnten beide nicht schlafen und waren kurz draußen am Pool. Sie hat mir meinen Arsch vor Dad gerettet. Dann haben wir nur einen Film angemacht, um einzuschlafen", erklärt Ethan, während ich gespannt zuhöre.

"Ethan, wir haben vereinbart, dass du deinem Vater wenigstens Bescheid gibst, wenn du hier übernachtest. Das macht das Ganze nicht besser", seufzt mein Dad, und ich lausche weiter aufmerksam.

"Wozu? Damit er es mir dann verbietet? Ansonsten scheint es ihn ja auch nicht zu interessieren, wo ich bin", erwidert Ethan genervt.

Langsam schleicht sich ein Gefühl der Schuld in mir hoch, weil ich dieses Gespräch heimlich belauscht habe und nun mehr über diesen fremden Jungen erfahren habe, was mich eigentlich überhaupt nichts angeht.

Leise schleiche ich die Treppe hinauf, bis jemand sagt: "Was machst du da?"

◇◇◇◇◇◇

Ich würde mich sehr freuen, wenn mehr Kommentare kommen würden. Dann macht es einfach mehr Spaß zu schreiben:)

Eure
Melli♡

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