Kurz vor Schulende lief ich die großen Treppen in die Eingangshalle hinunter, um zur Limousine zu kommen. Den Großteil des Schultags hatte ich dazu genutzt, das weitläufige Schulgelände zu erkunden. Reiji würde wahrscheinlich erfahren, dass ich den Unterricht geschwänzt hatte, da er offenbar den Haushalt regelte, aber auf die Nase binden musste ich es ihm nicht. Ich hatte sowieso vor regelmäßig dort zu erscheinen, da brauchte ich mir keine Leier von ihm anzuhören, wenn ich es einmal nicht tat. Die Schule war immerhin ein guter Ort, um auf dem Laufenden zu bleiben, was in der Welt passierte. Statt zu gehen, standen die meisten Schüler nach dem Klingeln noch in Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Kaum setzte ich einen Fuß auf den hellen, glattpolierten Marmorboden, trat ein Junge vor mich und lächelte herzlich. Ein wenig zu herzlich, um glaubwürdig zu sein. Er sah aus, als wäre er in meinem Alter.
"Hey Süße. Hab dich hier noch nie gesehen." Unbeeindruckt flackerte mein Blick kurz über ihn. 'Hübsch, aber langweilig.'
"Bin neu." Der Junge blieb stehen, stütze die Hand gegen die Wand und versperrte mir damit den Weg. 'Und unangenehm.'
"Sei nicht so abweisend. Lächel doch mal." Ich seufzte und wollte mich abwenden, dann zögerte ich. Wieso nicht gleich die Chance nutzen, um klarzustellen, dass ich meine Ruhe wollte? Sie starben so leicht. Ich wollte nicht meine Zeit mit Porzellantassenbalancieren verbringen und er war perfekt als Abschreckung für die anderen. Der Junge sah mein Zögern als Einladung.
"Na also. Wie wär's, wenn ich dir die Schule zeige? Oder die Umgebung?" Er streckte die Hand aus und wollte mir eine Strähne aus dem Gesicht streichen. Ich entschied mich dagegen die ganze Situation abzukürzen, ihm das Handgelenk zu brechen und anschließend von der Schule zu fliegen und schob sie mir selbst aus dem Gesicht, bevor er die Chance dazu hatte. Er ließ die Hand fallen und ich lehnte mich gegen die Wand. Über seine Schulter bemerkte ich zwei weitere Jungs. Sie standen ein Stück weiter und scheiterten an dem Versuch, uns unauffällig zu beobachten. 'Schmierig.' "Du wirst sehen, mit uns kann man Spaß haben."
"Vielleicht hast du recht." Wäre da nicht das hungrige Funkeln in seinen Augen gewesen, hätte das freundliche Lächeln, das er mir zuwarf, beinahe echt aussehen können. Er konnte es wohl kaum erwarten, mich zusammen mit seinen beiden Freunden in eine dunkle Gasse zu zerren. Glück für ihn, dass ich so viel Zeit nicht hatte. "Ich weiß nur nicht, ob wir dasselbe unter Spaß verstehen." Bei dem Wort Spaß loderte das hungrige Funkeln wieder in seinen Augen auf und er machte sich größer. Ein paar Muskeln hatte er, das musste ich zugeben.
"Mach dir keine Sorgen. Ich und meine Freunde sind die besten in dem Gebiet. Ich sag dir was: Du kommst mit zu uns und zeigst uns deinen Spaß. Wir lernen immer gern dazu." So widerlich er war, schaffte er es nicht mehr als schwache Gereiztheit in mir auszulösen. Er taugte nicht einmal als Zeitvertreib. Ich hatte das Interesse verloren und offensichtlich war ein Teil seiner Wahrnehmung noch intakt, denn seine überhebliche Haltung kam ins Wanken. Allerdings nicht genug, um zu verschwinden. Ich stieß mich von der Wand ab.
"Du meinst, ich soll euch die Kehle aufschneiden und zuschauen, wie ihr euch vor Schmerzen windet und am eigenen Blut erstickt?" Das Grinsen fiel aus seinem Gesicht und der Junge zuckte zurück. Er hatte die Kälte in meinen Augen gesehen. Ich folgte ihm. Meine Bewegungen gelassen, die Augen fest auf ihn gerichtet. "Oder ich schneide ein bisschen. Bis ihr mich anfleht, endlich Erbarmen zu haben." Meine Stimme war so leise, dass keiner der anderen Schüler mich hören konnte, aber sie machten Platz, als er stolperte und zu Boden fiel. "Hm, was denkst du? Ich wollte schon immer mal ausprobieren, ob man Menschen die Haut in Streifen abziehen und flechten kann." Rückwärts rutschte er von mir weg. Die Augen weit aufgerissen. Wurde er leicht grünlich im Gesicht oder bildete ich es mir nur ein? Seine Hände und Füße glitten hektisch über die Steinblöcke, in dem Versuch von mir wegzukommen. Seine Panik ließ mein Herz flattern. Leider blieb es bei einem kleinen Flattern.
"Klingt das nach Spaß?" Ich beugte mich zu ihm herunter, die Arme locker hinter dem Rücken verschränkt. Im Gang herrschte absolute Stille. "Was hältst du davon, wenn du deinen dreckigen Finger ab dem heutigen Tag bei dir behältst und ich darauf verzichte eigenhändig dafür zu sorgen, dass du ab sofort keinen Spaß mehr haben kannst." Kurz flackerte mein Blick nach unten und dem Jungen wich das restliche Blut aus dem Gesicht. "Nie wieder." Er wimmerte.
"Ich verspreche es."
"Oh, da bin ich jetzt beinahe enttäuscht." Mit einem Lächeln richtete ich mich auf. Als ich über ihn stieg, tätschelte ich ihm die Schulter. "Vergiss es nicht." Wenn ich ihm dabei auf die Hand trat, geschah es aus reiner Unachtsamkeit und niemand musste davon wissen. Auch wenn ich nichts gegen ein paar gebrochene Knochen gehabt hätte, machte es heutzutage zu viel Mühe, sie zu erklären. Die Schülermenge teilte sich vor mir.
Als ich die Tür zum Hof aufstieß, bemerkte ich Laito aus dem Augenwinkel. Er lehnte hinter den noch immer schweigenden Schülern an der Wand und beobachtete mich aus dem Schatten seines Hutes, aber weder er noch Reiji, noch einer der anderen ließ sich später im Auto etwas anmerken, wie viel sie mitbekommen hatten. Und ich hatte nicht vor etwas daran zu ändern.
********************
Sooo, die ersten 4 sind da, fehlen noch 24 ;) Im nächsten Kapitel trifft sie endlich mit den Brüdern zusammen, also bleibt gespannt und bis nächste Woche ✌ Enjoy your week
DU LIEST GERADE
Old Blood
FanfictionAllein und verfolgt sucht Sayoko Zuflucht im Anwesen der Sakamaki-Brüder. Wird sie dort endlich die Atempause bekommen, die sie so unbedingt braucht und vielleicht sogar ihre Macht zurückerlangen, oder wird der Tod ihr auch dorthin folgen? Die Recht...