24. Kapitel

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"Schätze dich glücklich, dass du versagt hast", knurrte ich und schloss die Hand fester um Reijis Hals. Mit lautem, mehrmaligen Knacken, renkten sich die Wirbel wieder ein, als ich ihn von mir stieß. Leider wusste ich, dass ich auf den kleinen, winzigen, verschwindend geringen, praktisch nicht existenten Teil von mir hören sollte, der mir sagte, ich sollte ihn nicht töten.

Ein paar Stunden später stand ich neben meiner – der Matratze, auf der ich die letzten Wochen geschlafen hatte und schaute auf die waldgrüne Bettdecke. Abgesehen von den zwei Sachen, lag das Zimmer in Trümmern. Überall auf dem Boden lagen Splitter und abgebrochene Stücke verteilt. Was nicht zu zerbrechen war, war verbogen. Tiefe Kratzer zogen sich durch Boden, Wände und Tür. Die Fensterscheiben waren zersplittert, die Stoffbahnen, die ehemals um das Bett gehangen hatten, lagen zerschlissen daneben. Das massive Holzgestell, nur noch ein Stapel unterschiedlich langen Holzes und einige Kerzen lagen zerbrochen herum. Der Kerzenständer lag irgendwo draußen im Garten. Ich fühlte mich, als stünde ich nicht nur neben den Trümmern, sondern auch neben mir selbst. Die brodelnde Wut war abgekühlt und zurückblieb eine altbekannte, taube Erschöpfung. Jahrelang hatte ich mir Vorwürfe gemacht, vor etwas geflohen zu sein, was durch mich entstanden war, wo Edgar zurückgelaufen und gestorben war und ich sowohl seine Eltern als auch ihn zurückgelassen hatte. Und jetzt erfuhr ich, dass jemand anderes Schuld am Feuer und der Zerstörung des Dorfes war. Jemand, mit dem ich die letzten Wochen und Monate unter einem Dach gelebt hatte und der ihn gezielt hatte töten wollen, um seinem Bruder eins auszuwischen. Erfolgreich. Bis auf den Teil, wo sich herausgestellt hatte, dass Edgar nicht wirklich tot war. Dazu kam das Unverständnis über Karlheinz' Pläne. Müde rieb ich mir durchs Gesicht. Shu war Edgars verdammter Kindheitsfreund. Er war dort gewesen in der Nacht, im Wald in der Nähe des Dorfes. Mit Edgar, bevor er in die Flammen gerannt war, um seine Eltern zu retten, während ich in die andere Richtung geflohen war. Ich hatte damals Edgars Stimme gehört, kurz bevor ich den Wald dort erreicht hatte, wo Reiji gestanden hatte. Ich sollte ein Bad nehmen. Das half sicher.
Meine – die Zimmertür schloss nicht mehr richtig, ließ sich aber noch anlehnen. Auf dem Weg ins Badezimmer sah ich Reiji, wie er mit einem Buch in seinem Arbeitszimmer stand. Er schaute auf und ließ das Buch sinken. Hinter ihm auf dem Schreibtisch standen noch immer die Pflanzen von meinem ersten Besuch und diesmal erkannte ich eine der drei Pflanzen. Sie hatte keinen bemerkenswerten Geruch, kein besonderes Aussehen und wenig Geschmack, konnte aber eine ausgesprochen starke Wirkung bei jemandem wie mir haben. Wir mussten unsere Schwäche an etwas binden, um unsere Stärke auszugleichen. Die Pflanze war für mich – wenn zum richtigen Zeitpunkt, richtig geerntet, richtig getrocknet und richtig konzentriert – tödlich. Reiji schien meinen Blick bemerkt zu haben, denn er stülpte eine Glasglocke darüber.
"Ich werde sie entsorgen. Ich wusste es nicht – ich weiß immer noch nicht was passiert ist. In keinem der Bücher ist etwas darüber zu finden." Er sagte die Wahrheit. Es war ein gut gehütetes Geheimnis und jetzt, wo meine Wut und Angst abgeklungen waren und ich klarer darüber nachdenken konnte, war ein dummer Zufall wahrscheinlicher, als dass Reiji an das Wissen gelangt war. Vor allem, da er noch immer nicht wusste, wer und was ich war. Andererseits konnte er auch nur unwissend spielen. Und mir fielen nicht viele ein, die sich die Arbeit machen würden ein wenig geschmacksintensives und unbekanntes Gewürz so zu präparieren, wenn es nicht jemanden wie mich umbringen sollte. Allerdings gehörte Reiji zu den wenigen. Unbewegt schaute ich ihn an. Vielleicht sollte ich ihn doch noch töten. Gestern hatte ich mich geweigert etwas zu empfinden, denn dann hätte ich mir eingestehen müssen, dass mich der Verrat verletzt hatte. Jetzt fühlte ich auch den nicht mehr. Ich wollte mir nicht mehr darüber den Kopf zerbrechen. Gleichzeitig war da noch irgendwo die Angst und die Reue meine Vorsicht zu weit fallengelassen zu haben. War es ein Fehler gewesen sie so nah an mich heranzulassen? Sie so viel wissen zu lassen? Nichteinmal das konnte ich beantworten. Ich wollte nicht denken. Ohne ein Wort drehte ich mich um.
"Du hast etwas verändert. Ich weiß nicht, wie du es geschafft hast, aber sie machen weniger Ärger, wenn sie glücklicher sind." War es so unlogisch, dass er die, mit denen er unter einem Dach lebte, zufrieden sehen wollte? Ich antwortete nichts. Auch darüber wollte ich nicht nachdenken.

Diesmal tauchte Shu auf, bevor meine – die Wanne ganz gefüllt war. Meine Wanne, mein Zimmer, mein Bad. Seit wann dachte ich so? Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schaute mich an, wie ich mit der Hand am Hahn neben der Badewanne stand und auf hin herabschaute.
"Kannst du immer noch keinen Hahn bedienen? Das Wasser ist wieder kalt."
"Kannst du immer noch nicht deine eigene Wanne füllen? Du bist wieder in meiner." Er trug Schuhe. Noch waren sie nicht im Wasser. "Baden funktioniert besser, wenn man das Wasser nicht schon vorher dreckig macht." Shu legte den Kopf schief und grinste. Ich hatte gesagt, mein Zustand machte mich taub und kalt, allem gegenüber.
"Wir können was ganz anderes dreckig machen. Körperliche Nähe ist gut für Körper und Geist, hab ich gehört. Ich würde dir einen Gefallen tun." Er ließ sich tiefer sinken und beobachtete mich aus halbgeöffneten Augen. "Zieh sie mir aus." Und es stimmte. Doch ich hatte die Ausnahme gefunden und es machte mir nicht länger Angst, wie leicht Shu die Taubheit aushebelte.
"Aber natürlich, meine Hoheit." Ich legte die Hand um seinen Knöchel und zog. Sein Kopf tauchte unter und in der nächsten Sekunde fuhr er auf. Diesmal mit aufgerissenen Augen. "Ups." Augen glühten, Wasser spritzte und ich landete in meiner Wanne. Mit einem Lachen schüttelte ich mir Wasser aus dem Gesicht.
"Ah, da ist es." Finger legten sich um mein Kinn und erstaunt hielt ich inne. Blaue Augen hielten meinen Blick. Zwischen seinen nassen blonden Strähnen wirkten sie wie ein dunkler Strudel und zogen mich in seinen Sog. Wassertropfen rannen über mein Gesicht und fielen mit leisem Tropfen in die Wanne. Ein befriedigtes Grinsen legte sich über seine Lippen. "Du bist wirklich nicht totzukriegen, was?" Es war keine Frage, auf die er eine Antwort erwartete. Seine Finger glitten hinab, über meinen Hals und legten sich über meinen Puls. Er schlug kräftig und gleichmäßig unter meiner Haut und Shu lehnte sich näher. "Es ist ein Rhythmus, der es mir unmöglich macht zu widerstehen." Das Grinsen spiegelte sich auf meinem Gesicht.
"Dann tu es nicht." Shu lachte und schloss den letzten Abstand. Nach heute wusste er wozu ich fähig war. Zum Teil. Er hatte immerhin mit eigenen Augen gesehen, wie ich Reiji einhändig in die Fliesen gerammt hatte. Auch wenn er damals Laitos Loch in der Wand gesehen hatte, hatte er nicht mitbekommen, wie es passiert war. Oder? Shu löste sich gerade so weit, dass er sprechen konnte und ich spürte seine blutigen Lippen an meinem Hals, als er es tat: "Hör auf zu denken." Shu lehnte sich nach hinten und zog mich mit sich. "Überlass dich mir und ich erfülle deine dunkelsten Wünsche." Ich schmeckte Blut, als er mich küsste. Ich schloss die Augen und jegliche Gedanken zerrannen, als er mich fort von der dumpfen Kälte und hinein in die schwarzen Schatten der Dunkelheit zog. Ich schob die Hände unter seinen Pulli, als ich mich durch den feinen Schleier fallen ließ. Zuhause. Shu's Brummen spürte ich mehr durch seinen Brustkorb vibrieren, als dass ich es hörte. Die Anspannung fiel von mir ab.
"So ungeduldig mich nackt zu sehen, dass du mich schon ausziehst?"
"Morgen vielleicht." Seine Lippen streiften meinen Kiefer und sandten ein Kribbeln durch meine Wirbelsäule. Gleichzeitig zog die Müdigkeit an mir.
"Wieso nicht gleich?" Ich hatte nicht bemerkt, wie müde ich war. Die letzten Stunden waren ein Höhepunkt der Anstrengung der letzten Jahre gewesen und plötzlich hatte ich einen Ort, an dem ich pausieren konnte. Shu. Mein Kopf sackte zur Seite. Es machte mir nichts, dass sie mich jetzt überwältigte. Shus Gegenwart sog mich in einen See aus Ruhe und ließ das Rauschen verschwinden. Er fing mich ab, bevor mein Kopf unter Wasser gleiten konnte.
"He, nicht einschlafen." Ich murmelte etwas, schon halb im Traumland und Shu schnalzte mit der Zunge. "Da opfert man seine Zeit, um die Frau zu beglücken und sie schläft ein." Er klang zu zufrieden, um ihn ernstzunehmen.


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