27. Kapitel

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Ich kratze etwas getrocknetes Blut von meinem Bein und erhob mich vom Sofa.
"Na also."
"Was hast du vor?" Ich beachtete die Frage nicht. Bevor ich einen Schritt in Richtung Tür machen konnte, stand Shu vor mir. Zu nah, als dass ich einfach an ihm vorbeitreten konnte.
"Es ist gefährlich." Er sprach leise, sodass ihn niemand außer mir verstehen konnte. Offensichtlich stand sein Entschluss fest, mich nicht hinauszulassen. Ich hob das Kinn und begegnete seinem Blick herausfordernd.
"Du hast recht. Vielleicht solltest du lieber hier bleiben." Es dauerte eine Sekunde, bis Shu den Kopf neigte, aber er tat es mit einem Schmunzeln.
"He! Was habt ihr vor?" Shu griff nach meiner Schulter und wir standen auf dem kleinen Hügel vor dem Anwesen. Die beiden Gründer direkt vor uns.
Der blutrote Mond hing über unseren Köpfen. Die Färbung war eine Auswirkung der Mondfinsternis, die simultan in der Dämonenwelt stattfand. Ihre goldenen Augen glühten noch schwach von der Erschaffung der Projektionen.
"Shu, darf ich vorstellen? Zwei meiner Geschwister." Sie musterten ihn kalt. Würde der schwarze Schal nicht die Hälfte von Carlas Gesichts bedecken, hätte man gesehen, wie er abfällig den Mund verzog.
"Schwester." Ich kannte ihn gut genug, um es auch mit Schal zu erkennen. Das Verständnis, warum Shin seine Augenklappe wie immer über seiner Brille trug, blieb mir allerdings weiterhin verborgen.
"Du hast es noch." Ich schnalzte mit der Zunge. Er sprach von meinem Armband.
"Du hast den Verschluss so schlecht gemacht, dass es nicht abgeht." Shins Tritt, wich ich mühelos und mit einem Lachen aus. Auch er trug seine Kette um den Hals. "Natürlich hab ich es noch." Ich steckte die Hände in die Taschen. "Was wollt ihr?" Durch ihre Projektionen hatten sie bereits gewusst, dass ich hier war.
Carla hörte auf Shu niederzustarren, als sei er ein lästiger Fleck auf seinen weißen Handschuhen, den man schon viel zu lange nicht hatte rauswaschen können. Shin platzte dazwischen, bevor er ein Wort sagen konnte.
"Nach so langer Zeit, ist es endlich soweit: der Auftakt unserer Rache!" Er vibrierte beinahe vor Aufregung und seine Augen leuchteten vor Begeisterung. Ich hatte viel verpasst.
"Wir sind gekommen, um das Blut des Mädchens zu holen", erklärte Carla ruhiger. Er sah aus, als wäre es nicht das erste Mal in dieser Nacht, dass er Shin bremsen musste. Er war schon immer der Besonnenste von uns dreien gewesen. Was sicher auch der Grund war, warum niemand hinterfragte, dass ich an der Seite eines Vampirs stand.
"Für die Zukunft der Gründer!" Und ich hatte einiges aufzuholen, wie es schien.
"Sie kümmert mich nicht." Mit vager Handbewegung wedelte ich zu Shu und der Villa hinter uns. "Verhandle mit ihnen, wenn du sie willst." Synchron rümpften sie die Nase. Verhandeln mit Vampiren, bestand üblicherweise nicht aus vielen Worten. Gleichzeitig stand ich gerade gemeinsam mit Shu für die Vampire und meine Brüder würden sich nicht gegen mich wenden. Genauso wenig, wie ich mich gegen sie wenden würde.
"Sie sollte dir nicht egal sein. Sie trägt das Erste Blut in sich, sie ist Eva. Sie ist sein Weg, die Dämonenwelt zu zerstören."
"Oh zum Teufel. Yui." Ich hatte gewusst, dass der Vampirkönig versuchte die Dämonenwelt zu reinigen. Und statt sich selbst zu beseitigen, hatte er Experimente gestartet. Verdammt war ich froh, dass Carla wieder da war. "Ist es dieses... dieses Eden Ding? Ich hab davon gehört, aber ich wusste nicht, dass es so etwas großes ist." Carla zuckte die Schultern. Er sah wirklich erschöpft aus, wenn man genauer hinschaute.
"Mach dir keine Gedanken. Projekt Eva ist ein geschmackloser Name." Ich war die ganze Zeit so beschäftigt damit gewesen, was meine Rolle in den Plänen des Vampirkönigs war, dass ich Yui als einfache Blutquelle abgetan hatte, ohne genauer nachzusehen, ob nicht mehr dahinter steckte. Ein verständlicher, aber möglicherweise fataler Fehler. Die Schnipsel an Informationen rauschten durch meinen Verstand. Sie wallten auf, drehten sich und schlugen über mir zusammen, zerrten an mir und verschwanden, bevor sie woanders wieder auftauchten. Es ging so schnell, dass ich Probleme hatte, ein sinnvolles Muster zu erkennen. Shu verlagerte sein Gewicht und streifte meine Schulter und der Schwindel verpuffte. Der Strudel verlor an Kraft und die Informationen flossen zusammen. Nicht der Vampirkönig hatte Yui, sondern wir.
Ayato beschützt mich. Vielleicht kann Shu das auch für dich werden. Das hier war sicher nicht, was Yui damit gemeint hatte, aber letztendlich hatte sie nicht so falsch gelegen. Ich schüttelte den Gedanken ab und wandte mich wieder der Gegenwart zu.
"Dann hat sie jetzt drei Familien, die sie vor ihm schützen. Durch Evas Blut, kann Adam die Kontrolle über die Welt erlangen und ihre Nachkommen werden sie verändern, richtig?" Der Vampirkönig wollte die Dämonenwelt auslöschen und neu aufbauen, aber das war sein Ziel gewesen. Shu verstand und wandte sich an Carla.
"Ayato ist nicht der Typ für einen Weltherrscher." Obwohl Shu die beiden nicht kennen konnte, unterstützte er mich darin, eine Verbindung zwischen ihnen und seiner Familie herzustellen. Ich grinste befriedigt. Er war also wirklich gut informiert.
"Ayato?" Shu nickte.
"Er hat es selbst noch nicht bemerkt, aber er ist bereits dabei Adam zu werden." Shins Laune fiel drastisch und Carlas Ausdruck wurde dunkel.
"Er wird die Macht und die Aufmerksamkeit lieben und dann schnell das Interesse verlieren." Shu blickte Carla fest in die Augen. Das Funkeln in seinem Blick sagte mir, dass er es genoss, ihre Abneigung zu ignorieren. "Ich bin der rechtmäßige Nachfolger. Mein Vater wollte euch zerstören?" Carla ließ sich nicht dazu herab zu nicken. Sein Ausdruck wurde noch kälter und verschlossener, Shus Grinsen hatte etwas wölfisches und ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht laut zu lachen. "Ich finde, das ist eine hervorragende Grundlage für ein Übereinkommen." Ich beobachtete Carla. Es war verlockend: Eine Gründerin und der neue Vampirkönig, in der Familie des zukünftigen Herrschers der Dämonenwelt durch Eva, der nicht lange Interesse daran hatte, aber den Weg ebnen würde. Es war nicht so gut, wie selbst Herrscher zu werden, etwas von dem ich wusste, dass er es wollte, aber die Kinder würden mächtig sein und auf der Seite der Gründer stehen und somit die Clans erhalten. Und er konnte im Hintergrund seine Fäden ziehen. Im Kopf zählte ich die Sekunden: Drei, zwei - Carlas Blick sprang von Shu zu mir und wieder zurück - eins.
"Was ist mit dem Vampirkönig? Wird dieser Ayato seinen Vater töten?" Kurz flackerte Abneigung über Shus Gesicht.
"Versuch ihn davon abzuhalten."
"Und wenn er sich anders entscheidet? Wenn er beschließt, dass er die Macht für sich haben will und sie nutzt, um die Clans auszulöschen?" Ich zuckte unbekümmert die Schultern.
"Dann sorge ich dafür, dass es sein letzter Gedanke war." Im Gegensatz zu ihm hatte ich kein Problem damit, mir die Hände in Blut zu waschen. "Weißt du doch. Als der langweilige Stratege von uns dreien." Ich zwinkerte Shin zu, der lachte. Carla starrte nachdenklich in die Leere und ich wusste, ich hatte ihn. Wahrscheinlich plante er bereits, wie er Yui Ayato abjagen konnte. Verdammt war ich froh diesen ganzen Intrigenmist endlich an Carla abgeben zu können.

"Du solltest Vorkehrung treffen", sagte ich. Shu blieb stehen und ich drehte mich um. Carla und Shin waren in den Wald verschwunden, um ihre zu treffen. Shu trat einen Schritt auf mich zu. Es hätte eine Drohung sein können, so wie er auf mich herabschaute, den blutroten Mond im Rücken. Aber es war keine. Es war mein blutroter Mond, der auf ihn herab schien.
"Planst du mich umzubringen?", fragte er in einem gelassenen Ton, der nicht zu seinen Worten passte. Würde ich ihn nicht besser kennen, hätte ich angenommen, es kümmerte ihn nicht. Mit schiefgelegtem Kopf und kleinem Lächeln, trat ich näher. Als wäre ich in eine Höhle im Berghang getreten, die den heulenden Wind aussperrte, lies er alles um uns herum verblassen. Die tiefe Ruhe seiner direkten Nähe legte sich um mich. Ich hob das Kinn und murmelte gegen seine Lippen: "Planst du mich zu hintergehen?" Meine Frage reichte viel tiefer, als die wenigen Worte. Shu vergrub die Finger in meinen Haaren und küsste mich. Blätter rauschten und der Wind fuhr durch meine Kleidung. Für einen Augenblick dachte ich, er würde nicht antworten. Dann löste er sich und sagte: "Nein." Ich lächelte.
"Dann hast du deine Antwort."
"Werden sie sich daran halten?"
"Carla und Shin? Sie werden nichts beschädigen was mir gehört, wenn du das meinst." Etwas Dunkles glomm in Shus Augen auf. Es war dasselbe Glimmen, das er bei der Auseinandersetzung mit den Wölfen getragen hatte.
"Wie verheilen deine Verletzungen?" Neugierig hob ich eine Augenbraue.
"Weg. Deine?" Die drei kleinen Kratzer waren verheilt seit wir bei den Mukamis aufgeschlagen waren. Shu nickte und sagte nichts weiter. Sein Blick wanderte über mein Gesicht, als er meinen Anblick in sich aufsaugte. "Wieso?" Seine Augen glühten in der Dunkelheit und fanden meine. "Du wirst deinen Körper intakt brauchen, für den Rest der Nacht." Ich lachte.
"Versprich nichts was du nicht halten kannst."
"Niemals." Er trat zurück und zusammen schlenderten wir zur Villa. Nach einem kurzen Moment des Schweigens sagte er: "Nicht, dass ich es nicht könnte."
"Was?"
"Dich hintergehen."
"Natürlich."
"Dann hab ich ihn für mich allein."
"Wen? Den Titel als Dämonenkönig? Oder Edgar? Auf den papp' ich dir sogar 'n Schleifchen."
"Unsinn, meinen Platz beim Dinner." Ich schnalzte mit der Zunge.
"Unmöglich. Den kriegst du nie wieder."

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