10. Kapitel

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Mehrere Stunden später saß ich noch immer auf dem Dach und schaute den Fledermäusen zu, wie sie durch die Dunkelheit flatterten, als Kanato hinter mir auftauchte. Der Platzregen hatte aufgehört, aber die Ziegel waren noch immer feucht und glitschig und der Mond von Schleierwolken verdeckt. Es hatte geholfen, meine Gedanken und meinen Körper wieder zu beruhigen. Die Emotionen waren wieder verschwunden. "Was denkst du wie viele wir fangen können?", fragte ich, bevor er etwas sagen konnte. Sie waren da gewesen, zwar nicht das was ich wollte, aber sie waren ein verdammter Anfang und vielleicht schaffte ich es sie wiederzuholen.
"Eine dämliche Frage. Es ist ein Spiel für kleine Kinder." Ich brummte zustimmend, dann drehte ich den Kopf zu ihm. Meine nassen Haare klebten mir im Nacken. Teddy an die Brust gedrückt, starrte er mit gerunzelter Stirn in die Dunkelheit. Einen Fuß rieb er über einen der nassen Moosflecken auf dem Dach.
"Und?" Einigermaßen interessiert, legte ich den Kopf schief. Was machte er jetzt? Taugte er als Beschäftigung oder hatte er alle interessanten Seiten über die Zeit verloren? Offensichtlich war ihm der ab-einem-gewissen-Alter-spielt-man-nicht-mehr Glaubenssatz, trotz seiner Art in Fleisch und Blut übergegangen. 'Recht ironisch, wenn er so mit Hosenträgern und Teddybär mitten in der Nacht auf einem Villadach steht und ein Stück Moos hin und her schiebt', dachte ich amüsiert. Es dauerte einige Zeit, bis er etwas sagte. "Was will eine Sterbliche wie du schon fangen? So langsam und ungeschickt wie ihr seid, vertreibst du sie nur." Es klang mehr nach ausweichender Zurückhaltung als einer Beleidigung.
"Finden wir's raus. Nicht gefangen oder vertrieben, wo ist der Unterschied?" Schweigen, dann drehte Kanato auf dem Absatz um.
"Ich hol die Netze."

Lachend stolperten wir durch die große Eingangstür und sofort verteilten sich Matsch und Regenwasser auf dem langen roten Teppich. Die eigenartige Situation von vorher war in einen Winkel meines Bewusstseins geschoben. Ich wollte das Jetzt nicht verderben. Der Regenschauer war ohne Vorwarnung gekommen und plötzlich hatten wir tropfnass mitten im Garten gestanden und in den fledermausleeren Himmel gestarrt. Die Tür fiel mit einem Knallen ins Schloss und Kanato führte mich eilig an den Säulen vorbei, zu einer kleineren Tür an der Seite der Halle.
"Kennst du schon das Untergeschoss? Total verwinkelt und schwer sich zurechtzufinden, wenn man sich nicht auskennt." Kanato grinste. Seine spitzen Eckzähne blitzten auf. "Und Reiji hasst es, weil es nie ganz sauber ist." Ich dachte an die Schlammspur, die wir hinterlassen hatten. Die, die sich bestimmt fantastisch in dem edlen roten Teppich festtrat, wenn man sie lange genug unbeachtet ließ.
"Nein. Spitzenidee", grinste ich zurück und zusammen eilten wir eine Treppe nach unten. Kichernd.
Das Untergeschoss war der Teil der Villa, den ich noch nicht erkundet hatte. Es war von einem unauffälligen Rauschen erfüllt. Ein Flusslauf, der bei Gewitter gefährlich anschwellen konnte, wie Kanato erklärte und abdrehte, bevor wir in die Nähe kamen. Stattdessen stieß er die Tür zur Waffenkammer auf. Fackelschein glomm wie eine Warnung auf den unzähligen scharfen Schneiden gebogener Axtklingen, Speerspitzen, robuster Bolzen, Widerhaken von Pfeilspitzen und anderen antiken und alten Waffen verschiedener Zeitalter.

"Au!"
"Ups." Mein Bein baumelte lässig über dem Abgrund. Mit leisem Klick rastete die Sehne der Armbrust wieder im Abzugsmechanismus ein und ich schaute von meinem Platz auf dem Geländer auf. Ayato stand unten neben der großen Treppe und starrte zu mir herauf. Dunkelrotes Blut quoll aus seiner Schulter und fiel in großen Tropfen zu Boden.  Auch sein Hemdkragen und die wie immer aufgeknöpfte Knopfleiste nahmen schnell eine dunklere Färbung an. Der Schock unübersehbar auf seinem Gesicht. Dank meiner Augen hatte ich kein Problem in der spärlich beleuchteten Halle alles zu sehen. Was auch immer vorher meine Sinnesprobleme ausgelöst hatte, war verschwunden.
"Was soll das?" Unbekümmert inspizierte ich die gespannte Waffe auf meinem Schoß. Welche Farbe meine Augen gerade wohl hatten? Keine menschliche, das war sicher.
"Stell dich nicht so an, es war kein Silber. Das verheilt wieder." Ayato riss den Armbrustbolzen aus seiner Schulter und beinahe augenblicklich schloss sich die Wunde. Er musste gerade erst von dem Menschenmädchen getrunken haben. Ich hob die leere Waffe und blickte über den Lauf zu ihm hinab.
"Meine Zielgenauigkeit ist etwas eingerostet..."
"Tch. Wo sollte der hin?" Ich grinste verschlagen – ohne spitze Eckzähne – und tippte mir locker an den Hals. In der Sekunde, in der er an sich herabschaute, schwang ich mich lautlos vom Geländer und verschwand vollständig im Schatten hinter mir. 'Ein Hoch auf die Fledermäuse und Reijis Pingelei für Sauberkeit.'

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10 Kapitel hochgeladen, 18 folgen ;) Wir sehen uns nächste Woche zum 11. Kapitel wieder ✌ Ich freue mich auf euch :)
Genießt das Wochenende 🎉☀️

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