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Meine Umgebung wurde so dunkel wie die Nacht. Ich bewegte mich, ohne wirklich zu wissen, wohin ich ging. Muzans Aura zog mich an. Es war wie ein innerer Kompass, der mich in seine Richtung trieb. Ich würde nicht zögern - ich durfte nicht.

Mit einem Mal stand ich genau vor der geöffneten Tür seines Arbeitszimmers. Etliche geordnete aber überfüllte Schreibtische standen darin. Lampions warfen gedämpftes, flackerndes Licht. Ob das an seiner Präsenz lag? War nicht unwahrscheinlich.

Muzan stand mit dem Rücken zu mir, in der Hand ein Reagenzglas. Völlig unbekümmert über das, was gerade in seinem Infinity Castle passierte. Ich machte einen Schritt. Meine Knie waren weich, doch ich zwang sie, unnachgiebig zu sein.

"Hallo Nezaky.", begrüßte er mich, ohne sich mir zuzuwenden. Als wäre dies nur ein einfacher Besuch, um Informationen auszutauschen. "Muzan.", nickte ich.
Er war der Dämonenkönig. Das würde ich niemals vergessen.

Um ihn herum brodelte Hass, Wut und Abscheu zugleich, dennoch wirkte er gelassen. Er unterschätze mich.

Ich schloss zu ihm auf. Muzan hatte noch nicht die Absicht anzugreifen. Mal sehen, wie lange das noch so blieb. Er mochte es nicht, sich selbst die Hände schmutzig machen zu müssen.

Seine blutroten Augen sahen mich im Augenwinkel abschätzig an. Er zeigte keine weitere Reaktion. "Du hast sie dir also tatsächlich einverleibt. Ich bin beeindruckt." Er ließ sein Reagenzglas nicht aus den Augen, während er sprach.

Seine Miene war steinhart und undurchdringlich. "Diese Worte einmal von dir zu hören. Das wiederum beeindruckt mich." Muzan lachte. Es klang grauenhaft.

"Ich habe nichts anderes von dir erwartet." "Warum hast du mich dann geschickt?" "Weil ich deine Dummheit unterschätzt habe."
Ich verdrehte die Augen. "Dummheit.", wiederholte ich.

"Dummheit.", bestätigte er, "Schließlich hast du jetzt nur noch ein paar Stunden übrig, bevor dein Körper dieses Gift in deinem Organismus abstößt und dich auseinanderreißt. Du spürst es schon, nicht wahr?" Muzan stellte das Reagenzglas ab.

"Ich brauche keine Stunden mehr.", ich grinste leicht, bei dem Gedanken, wie ich ihn zuerst auseinanderreißen würde.
"Wie willst du es anstellen? Mich verbrennen lassen oder zerstückeln? Mich absorbieren? Oder doch lieber vergiften?" Er sprach so einfach über seinen Tod, als wären all diese Taten für ihn nicht tödlich.

Er lebte schon viel zu lange.
"Es ist wirklich gruselig, wie ähnlich wir uns in manchen Punkten sind.", murmelte ich.

Und da war er. Der Moment, wo seine gelassene Maske fiel. Die Gläser auf seinem Schreibtisch fingen an zu tanzen. "Wir sind uns in keinem Punkt ähnlich. Du bist eine widerliche, befleckte Fehlkreation, die denkt, sie habe gewonnen, bevor sie sich überhaupt der Tragweite ihrer Taten bewusst geworden ist."
Befleckt.

Ich holte Luft, doch er zog mir mit einem starren Blick die gesamte Kraft aus den Lungen. "Sag mir, hast du deinem Liebhaber erzählt, dass du ihn töten willst? Douma ist ein dummer Hund, keinen Deut besser als du. Doch zumindest war er wesentlich nützlicher, als du es jemals warst!"

Dann sah er mich an. Muzan hob einen Finger und sofort baute sich über mir so ein heftiger Druck auf, dass ich auf die Knie gedrängt wurde. Seine Blicke brannten auf mir. "Wie hässlich du bist. Wie schwach du bist. Wie naiv du bist. So viel Potential und doch nur ein Haufen minderwertiges Fleisch. Ich werde mir Zeit mit dir lassen. Ich habe dir bereits gezeigt, was ich mit dir tun werde, solltest du mich verraten. Wie dumm du doch bist, Nezaky."

Ich spürte, wie sämtliche Blutgefäße in meinem ganzen Körper aufrissen und explodierten. Dicke Flüssigkeit sammelte sich in meinen Augen und lief über meine Wangen. Es waren rote Tränen.
Und dennoch lachte ich, es kam von ganz tief in mir.

"All das habe ich von dir." Und mit diesen Worten sah ich zu ihm auf, spuckte ihm mein Blut ins Gesicht und schlug mit der geballten Faust so stark auf den Boden, dass dieser unter uns zersplitterte und wir fielen.
Wir fielen tief.

Ich kam recht schnell wieder zur Besinnung. Mit einem Satz befreite ich mich aus den Trümmern und stand schon wieder kampfbereit auf beiden Beinen. Instinktiv fasste ich erneut zwischen meine Brüste und umfasste die doch so zerbrechlichen Phiolen meines Anhängers. Alles noch da, alles noch ganz.

Meine Beine vibrierten. Aber nicht vor Schmerz oder Angst. Muzan hatte Recht gehabt. Wahrscheinlich hatte ich nur noch wenige Stunden. Ob die pure Einnahme der blauen Spinnenlilie ihn auch nach einiger Zeit von Innen heraus zerrissen hätte? Eine Frage, auf die ich nun keine Antwort mehr bekomme würde. Doch auch ich hatte Recht gehabt. Ich brauchte keine Stunden mehr. Es endete hier - und jetzt.

Er drang so schnell in meinen Kopf ein, dass ich mich nicht schützen konnte.
Schlagartig erschienen Bilder und ich sah zu, wie er Bilder veränderte. Diese immense Druck hinter meinen Augen ließ mich krampfen.

Wieder landete ich auf meinen Knien und kratzte mit meinen Krallen lange Furchen ins Holz. Durch meine zusammengekniffenen Augen konnte ich sehen, wie er auf mich zukam. Dann sah ich wieder Douma und mich. Ich warf meinen Kopf wild hin und her und schrie, ohne einen Ton herauszubekommen.

Muzan hatte sich bereits zu seiner Endform manifestiert. Scheinbar war ich doch eine Bedrohung für ihn. Ein triumphierendes, dunkles Lachen drang aus meiner Kehle, als mein Verstand von einer weiteren Erinnerung fortgerissen wurde. Ich flog zur Seite, spürte den starren Schmerz vom Aufprall.

Als ich die Augen langsam öffnete, stand ich im Dunkeln. Mit einem Satz erstrahlte helles Licht. Es dauerte kurz, doch dann erkannte ich Doumas Anwesen wieder. Wir standen in der großen Halle, in der wir gekämpft hatten.
In der wir ... nicht voneinander genug bekommen hatten.

Muzan war nirgendwo zu sehen. Ich realisierte schnell, dass das hier eine Illusion war. Dennoch hatte ich einen Kloß im Hals.

"Nezaky."
Ruckartig fuhr ich herum. Hinter mir baute sich der schönste Dämon der Welt auf. Douma legte seine Hand an meine Wange und führte seine Stirn an meine.

Das tat er immer, wenn er nicht wusste, was er sagen sollte. Wenn er überfragt war, mit dem, was er fühlte. Wieso fiel mir das erst jetzt auf? Warum hatte ich das nicht schon vorher bemerkt?
"Nezaky, du musst mir helfen."

Wir lösten uns voneinander und ich verlor mich in seinen Augen. Doch sie wirkten.. ausgezehrt. "Was ist passiert?"
„Wir verlieren."

Als ich über Doumas Schulter sah, waren wir auf einmal nicht mehr in seinem Anwesen sondern zurück im Infinity Castle. Hinter ihm lagen etliche, zu Asche zerfallende Dämonen. Und Akaza kämpfte unerbittlich gegen Kokushibo. Mir stockte der Atem. "Ohne dich verlieren wir."

Douma fasste wieder an meine Wange und richtete meinen Blick auf sein Gesicht. Alle Kämpfe verschwanden.
Doch als ich diesmal in Doumas Augen sah, war das nicht er.

Mit dem Daumen strich er grob über meine Lippen und seine Augen färbten sich blutrot. "Gib mir dein Blut, Nezaky!", flehte und befahl er gleichzeitig. Muzan packte mich an den Schultern und zog mich an sich. Er war es die ganze Zeit gewesen. "Hol's dir doch, Mistkerl!"

Er konnte gar nicht so schnell reagieren, da bohrte ich meine Finger in seinen Oberkörper und teleportierte uns mit meinen Schatten davon.

Wehen aus schwarzen Rauch rauschten um unsere Körper, während Zeit und Raum um uns herum nicht mehr existierten. "Du wirst mehr als zwei Hände brauchen, um mir alle sieben Herzen herauszureißen!", knurrte Muzan, während ich in meiner Hand eines davon fest umklammert hielt, um ihn auf Abstand zu halten.

Ich würde nicht zulassen, dass er an mein Blut kam, bevor ich kalt war.
"Du wirst dir noch wünschen, ich hätte es so getan.", fauchte ich zurück. So nah wie jetzt war ich ihm noch nie gewesen.

Er widerte mich an. Mit jeder Faser. Aber ich durfte ihn nicht loslassen, und er mich auch nicht, sonst kam er irgendwo raus, wo keiner mehr etwas kontrollieren konnte. Und so flog ich mit ihm durch die Endlosigkeit der Dunkelheit und verdrängte krampfhaft die Gedanken, die er in mir gepflanzt hatte, als er mich in diese Illusion gezogen hatte.
Douma und Akaza durften nicht verlieren!

Blended Blood || Demon Slayer DoumaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt