Prolog

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Zornig starrte Ria in die kleinen, stechend schwarzen Augen. Sehr finstere, virile Züge, erhellt durch ein makabres, sadistisches Lächeln. Mehr konnte sie nicht erkennen. Sie hasste diesen Mann mit jeder Faser ihres Wesens. Seine bloße Anwesenheit rief dieses Gefühl in ihr hervor. Dabei kannte sie diesen Unbekannten nicht einmal. Das einzige, was sie über ihn wusste war, dass er kalt war, beinahe ohne Emotionen. Selbst der abgebrühteste Serienkiller war emotionaler als dieser Dreckskerl. Seine ganz und gar unpassenden weißen Zähne blitzten im spärlichen Licht auf. Jemand wie er hatte ein so intaktes Gebiss nicht verdient. Bei Gelegenheit würde sie sein Erscheinungsbild korrigieren.

„So, meine Hübsche. Du bist ein ganz besonderer Gast. Aber du willst doch nicht sehen, wo wir dich hinbringen, nicht wahr?" Der Kerl schien nach etwas zu suchen, hielt inne und fing an zu fluchen. „Genieß die kurze Zeit, die du noch sehen kannst." Unzufrieden vor sich hin murmelnd verschwand er in der Dunkelheit.

Verzweifelt zerrte Ria an den Ketten. Diese Hunde hatten sie damit an eine Wand gefesselt. Sie waren so verflucht dick und unnachgiebig. Nicht einmal einen Zentimeter Bewegungsfreiheit hatte man ihr gelassen. Es war zum Haareausreißen. Noch nie hatte sie in einer derartig verzwickten Situation gesteckt. Es machte sie rasend, dass sie einfach keinen Weg fand, zu entkommen - einmal ganz davon abgesehen, dass sie überhaupt keine Ahnung hatte, wo sie sich befand.

Mit den Augen tastete sie den dunklen Raum ab. Hier musste es doch wenigstens etwas - irgendetwas - geben, das ihr helfen konnte. Allmählich schälten sich Silhouetten aus dem Dunkel. Altertümlich anmutende Ohrensessel, kleine dunkle Holztischchen und ein massiver Eichenschrank, an den man sie mit dicken Eisenfesseln gekettet hatte. Wie einen Hund an seine Hundehütte. Leider fand sich unter all den Möbeln nichts, was ihr dabei helfen konnte, diese grässlichen Fesseln und das Halsband loszuwerden. Zudem konnte sie nicht einmal den kleinen Finger krümmen. Ihre Situation war durch und durch frustrierend.

Schritte vor der Tür kündigten die Rückkehr dieses Widerlings an. Ria holte tief Luft, denn sie wollte nicht noch einmal in den fragwürdigen Genuss seines Mundgeruchs zu kommen. Gleichzeitig versuchte sie sich zu beruhigen und begann stumm ein Gedicht aus Kindertagen zu zitieren, um etwaige unnütze Emotionen wie Angst aus ihrem Bewusstsein zu bannen. Es war das gleiche Gedicht, das sie unter dem Bett aufgesagt hatte. Dort hatte sie angsterfüllt gekauert und beobachten müssen, wie ein Unbekannter ihren Vater kaltblütig ermordete - es war also perfekt.

Die Tür schwang auf und kurz darauf trat der Fremde wieder in den Raum. Ein perverses Lächeln umspielte seine Lippen. „So. Ich weiß zwar nicht warum, aber du wirst verlangt. Also, gute Nacht, Dornröschen."

Das letzte, was sie sah, bevor ihre Welt in Dunkelheit gehüllt wurde, war sein widerliches Grinsen. Es fehlte eindeutig eine kieferorthopädische Behandlung ihrerseits.

Dunkel wie die Nacht [Schattenseelen 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt