Gefangen

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Anderswelt.

Blind und im wahrsten Sinne des Wortes an die Leine genommen stolperte Ria ihrem momentanen Hassobjekt Nummer Eins hinterher - ein Mann mit finsteren, gefühllosen Augen, der sich einen Spaß daraus gemacht hatte, sie noch weiter zu knebeln und ihr einen Teil ihrer Sinne zu rauben. Die von ihm ausgehende Kälte schrie geradezu nach Vampir. Verzweifelt versuchte sie mit Ragnas Hilfe herauszufinden, wo sie waren. Anscheinend brachte man sie in einen Keller. Es wunderte sie, dass man sie nicht von Anfang an dorthin gebracht hatte.

„Geht man so mit einem Gast um, Louis?" Eine schneidend kalte Stimme, die Ria das Blut in den Adern zu Eis gefrieren ließ durchbrach den eintönigen Trott ihrer Schritte. Hektisch versuche sie auszumachen, wo diese Person stand, fand aber nichts als eisige Kälte. Alles in ihr zog sich zusammen. Egal, was das für ein Wesen war, es war weder ein Jäger, noch ansatzweise menschlich.

„Eure Majestät. Sie wurde erwischt, als sie unerlaubt eines der Blutmädchen aus unserer Obhut entwenden wollte."

Blutmädchen? War es das, als was sie Adele wirklich sahen? Ein Pausensnack? Hatte Aram sie angelogen? „Geben Sie sie raus, sie gehört Ihnen nicht", knurrte Ria wütend. Das würde sie dem Vampir niemals verzeihen. Nachdem sie gesehen hatte, dass dieser Kerl, für den Adele alles tun würde, ähnlich empfand, hatte sie eingewilligt, sie nicht aus dem Haus zu entführen. Viel unerträglicher als ihr Zugeständnis an diesen zwielichtigen Vampir war jedoch die Einsicht gewesen, dass Adele dort gar nicht weg wollte. Und jetzt sollte das alles nur eine Farce gewesen sein?

Eine eisige Hand glitt über Rias Wange. Unwillkürlich wich sie zurück. Ihr Herz hämmerte zwischen ihren Rippen, von denen die eine jetzt noch stärker schmerzte als zuvor. Sie hatte ihn gar nicht kommen spüren. „Wie selten. Du trägst keinen Tropfen menschliches Blut in dir, Ria."

Mit Genugtuung nahm ihr Gegenüber wahr, dass das junge Mädchen am ganzen Körper gefror. Gut. Sie war nicht dumm, denn sie fürchtete ihn. Nur ein Narr nahm ihn nicht ernst. „Wie es aussieht, bist du meiner Einladung anders gefolgt, als ich erwartet habe. Aber das soll nicht stören - jetzt bist du ja hier."

„Dann können Sie Adele ja gehen lassen", versuchte sie zu feilschen. Sie hatte nicht die geringste Absicht, länger als unbedingt nötig hier zu bleiben.

Ein hohes, tonloses Lachen erklang. „Oh, dieses Blutmädchen? Bedaure, aber einen Menschen, der sich uns einmal verschrieben hat, kann ich nicht gehen lassen." Erneut ließ er seine Hand über Rias Wange gleiten. „Louis, mach sie los. Sie kennt den Weg, auch ohne ihn gesehen zu haben. Und lass sie herrichten. Sie soll sehen, warum ihre kleine Freundin uns nicht verlassen wird."

Kalte Finger lösten die Binde, die Ria die Sicht versperrte. Kaum konnte sie wieder sehen, suchte sie den Blick des unheimlich Kalten. Das Grau der frostigen, emotionslosen Augen vor ihr war so hell, dass die Augen auf Distanz geradezu weiß wirken mussten. Ein dünnes Lächeln breitete sich auf den blassen Lippen aus. „Siehst du, schon viel besser, nicht? Du wirst ein hübsches Geschenk für meinen Sohn abgeben."

„Fahr zur Hölle", fauchte Ria ungehalten zurück, entsann sich dann jedoch wenigstens ein paar ihrer Manieren. „Gehen Sie immer so freundlich mit Ihren Gästen um? Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind?"

Ein leicht erfreutes Lächeln trat nun auf das hübsche und zugleich abschreckend perfekte Gesicht des Fremden vor ihr. „Marjan. Und wie alle meine Untergebenen, so bist auch du meinem Ruf gefolgt, kleine Ria. Und nun sei brav, dann kann nachher auch auf dein Halsband verzichtet werden, meine Bluthündin."

Ein kalter Lufthauch brachte Rias Haare zum Wehen. Als er sich legte war Marjan spurlos verschwunden. Louis baute sich nun vor ihr auf. „Du hast seine Majestät gehört. Ich mache dich los und du folgst mir. Problemlos."

Dunkel wie die Nacht [Schattenseelen 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt