Unauffällig verschwunden

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Unerwarteterweise öffnete sich die Tür von innen. Eleasar hatte also nicht abgeschlossen. Rias blasses Gesicht erschien im Türspalt. Sie sah schrecklich aus. „Was willst du?", fragte sie scharf.

Entnervt hob er die Hände. So langsam hatte er die Nase gestrichen voll davon, immer zwischen die Fronten zu geraten. „Dir nichts Böses. Ich möchte mich nach deinem Zustand erkundigen."

Mit einem kraftlosen Schulterzucken ließ sie ihn ein. „Ich wusste gar nicht, dass meine Diät beendet ist."

Verwirrt starrte er auf das auf dem Beistelltisch stehende leere Geschirr. „Offensichtlich schon." Aufmerksam musterte er ihren erschreckend dürren Körper. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so schnell abbauen würde. Aber sie hatte auch schon lange keine Menschen mehr um sich gehabt.

Erschöpft ließ sie sich aufs Bett sinken. „Wie geht es Adele?"

Ein seliges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Es geht ihr besser. Morgen möchte sie das Schloss sehen. Sie hat nach dir gefragt."

Auf Rias Gesicht erschien ein erleichterter Ausdruck, der bei seinen letzten Worten einer schmerzhaften Fratze wich. „Ich will sie nicht sehen."

„Du musst unter Menschen."

Sie gab ein nicht wirklich überzeugtes Brummen. „Ich kann mich kaum auf den Beinen halten." Es war überdeutlich, dass es sie wurmte, sich selbst und ihm ihre Schwäche einzugestehen.

„Dann bringe ich Adele morgen zu dir. Ohne die zusätzliche Kraft aus den Emotionen baust du weiter ab. Hast du noch Hunger?" Er deutete auf die leeren Teller und erntete dafür ein schwaches Lächeln.

„Ich kann nicht genug essen. Ich habe ein paar Tage darauf verzichten müssen."

Aufmunternd bot er ihr seinen Arm an. „Komm, ich bring dich in die Küche."

Ihn misstrauisch beäugend nahm sie sein Angebot an. „Warum bist du so nett zu mir?"

Er zögerte, bevor er ihr langsam erklärte: „Ich habe nichts gegen dich. Ich konnte dir Adele nur nicht überlassen. Ich persönlich halte nichts davon, dass du hier festsitzt und leidest. Adele würde es mir nie verzeihen, wenn du hier vor die Hunde gehst. Marjan hat es übertrieben und wie es aussieht, hast du es Eleasar zu verdanken, dass er dich jetzt wieder aufpäppeln lässt."

„Eleasar?" Aus ihren hellbraunen Augen sah sie ihn fragend an. Der Nahrungsentzug hatte das natürliche Leuchten in ihnen abstumpfen lassen, wie er ein wenig traurig feststellen musste. Das alles hatte er nicht gewollt. Im Grunde genommen standen sie beide zwischen den Stühlen. Nur dass sie nicht wusste, dass sie es tat. Für Marjan war sie das ideale Mittel, um Eleasar hier zu behalten. Warum erkannte sein Onkel nicht den Fehler in seinem Plan? Weder Ria noch Eleasar mochten es, manipuliert zu werden.

„Einer von Marjans Söhnen. Du wohnst in seinem Zimmer."

Abrupt hielt sie inne. „Was? Ist der das, dem er mich schenken will?" Fassungslos starrte sie zu ihm auf.

Aram lachte hohl. „Glaub mir, Eleasar hat kein Interesse an dir."

„Warum?"

Bei ihrer Frage verstummte er schlagartig. Das war nicht seine Geschichte. „Das ist seine Geschichte."

„Ist er ... ist er noch hier?" Auf einmal klang sie fürchterlich unsicher und verängstigt.

Beruhigend tätschelte er ihre Hand. „Nein. Wie gesagt, er würde dich niemals anrühren." Nicht, solange er noch trauerte. Eleasar vergnügte sich zeitweilig mit promiskuitiven Frauen. Und dazu gehörte Ria nun wirklich nicht. Wortlos machten sie sich wieder auf den Weg. Kurz darauf deutete er auf eine Holztür. „Wir sind da. Ich kann dir leider nur kalte Küche anbieten. Das Personal schläft."

Dunkel wie die Nacht [Schattenseelen 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt