Planung und - ein Kuss?

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Die beiden verbleibenden Tage bis zum Donnerstag verbrachte Ria hauptsächlich mit dem Planen neuer Clanstrukturen. Als Aleix am Mittwochabend vorbeikam, fand er sie inmitten unzähliger Karten, die allesamt Teile Europas abbildeten. Mit verschiedenen Stiften zeichnete sie unterschiedliche Regionen auf eine Kopie, nur um kurz darauf die Linien wieder zu korrigieren. Wie sie da so saß, tief in ihre Arbeit versunken und ihre Umwelt ausblendend, erinnerte sie ihn ein wenig an sich selbst. Damals, als er seinen Clan übernommen hatte, hatte er sich nicht minder überfordert gefühlt. Clanführung war nun einmal etwas, das man nicht einfach so konnte. Es zu erlernen war oftmals harte Arbeit. In seinen Augen schlug sie sich hervorragend, bedachte man ihr zartes Alter. Gerne hätte er die Last von ihren jungen Schultern genommen, doch das ging nicht. Es war nun mal ihr Erbe.

Neugierig darauf, was sie da so fabrizierte, beugte er sich zu ihr herunter. „Na, fleißig am Planen?"

Irritiert sah sie auf. Ihrem Blick nach zu urteilen hatte sie ihn nicht bemerkt. Fatal, wenn er anderer Gesinnung gewesen wäre. Wo war ihr Geist, der ihn hätte bemerken müssen? Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihren Zügen aus. Sämtliche nachdenklichen Falten waren aus ihrem Gesicht verschwunden. „Hallo, alter Mann", grüßte sie ihn neckend.

Missmutig schnitt er ihr eine Grimasse. Seit sie über sein wahres Alter informiert war, zog sie ihn gerne damit auf. „Ich bin nicht alt. Siehst du irgendwo Falten an mir?"

Ihn eingehend musternd legte sie ihre Arbeitsutensilien beiseite. „Du hast zu viel an. So kann ich das kaum beurteilen."

Mit müdem Lächeln schälte er sich aus seinem Mantel. „Zu mehr Striptease wirst du mich kaum animieren können."

Herausforderung blitzte kurz in ihren Augen auf. „Hätte ich nicht die Nase gestrichen voll von Männern, würde ich darauf eingehen. So aber darfst du dich gerne zu mir setzen und als mein Berater fungieren." Auffordernd schob sie die sie umgebenden Karten ein wenig beiseite und klopfte auf den freigeräumten Platz neben sich. „Mein linker, linker Platz ist frei."

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Nachdem er Schuhe und Mantel im Flur untergebracht hatte, setzte er sich zu ihr. Nicht sonderlich überraschend krabbelte sie auf seinen Schoß und schmiegte sich kurz an ihn. Vertrauensvoll wie ihre Katze, dachte er amüsiert und legte seinen Arm schützend um sie. Und ebenso klein und verletzlich.

„Hach, du bist so herrlich warm. Hier", sie hielt ihm die bearbeitete Kopie unter die Nase, dann begann sie, ihm ihren Plan zu schildern. „Ich habe mir gedacht, das Gebiet geographisch einzuteilen und für jede Region einen Vertreter einzusetzen. Nur weiß ich nicht, wie groß ich die Regionen machen soll. Ist es zu viel eine Person für zwanzig Leute einzusetzen oder sollten es doch eher fünfzig sein?"

Nachdenklich besah er sich die Karte. „Wie viele Leute zählt dein Clan?"

„Moment, irgendwo habe ich die genaue Zahl." Eine Unmenge an Unterlagen verteilte sich über die Karten, als sie sich suchend auf die herumliegenden Akten stürzte. Schließlich hielt sie triumphierend einen kleinen Zettel in der Hand. Ihr Ordnungssystem bedurfte dringend einer Generalüberholung. „Hier. Zweihundertsechsundfünfzig."

Abwägend besah er sich die Karte. „Die Punkte sind die Wohnorte deiner Leute?"

Ria nickte. „Ja. Es gibt gewisse Ballungsräume." Mit den Fingern deutete sie auf die betroffenen Zonen. „Ich habe mir gedacht, dass ich dort jeweils eine Ansprechperson platziere."

Nachdenklich begutachtete er die größtenteils dezentral verteilten Markierungen. „Wenn du zu viele einsetzt, wirst du schnell den Überblick verlieren."

Sie nickte ernst. „Ja. Ich habe angesichts der Zahl an fünf gedacht. Wenn denen ihr Aufgabenbereich zu groß ist, können sie sich ja selbst Helfer suchen. Wird wohl das Beste sein, ihnen dann freie Hand bei der Gestaltung zu lassen." Ratlos zuckte sie mit den Schultern. Sie wirkte gedanklich ein wenig weggetreten. Kurz darauf fing sie sich wieder, legte die Karte beiseite und griff nach einer kurzen Liste. „Was hältst du davon: ich habe mir überlegt, dass diese Vertreter von ihrem Bezirk gewählt werden. Alle dreißig Jahre oder so."

Dunkel wie die Nacht [Schattenseelen 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt