Die andere Seite

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Ria folgte ihrem Blick am Lehrer-Memmen-Trio vorbei bis zur Eingangstür und fluchte.

„Was hast du denn?" Adele stand die Verwunderung ins Gesicht geschrieben.

Die junge Jägerin versteckte sich leicht hinter der größeren Blonden und beobachtete mit finsterer Miene, wie der Polizeikommissar Alwin Müller - genannt Al - auf den Lehrer zuging. Al war ein durchschnittlich wirkender Mann mit dunkelblonder Sturmfrisur, braunen Augen und buschigen Augenbrauen. Aleix folgte ihm auf den Fersen. Er sah wie immer gut aus. Dunkelbraune, etwas zu lang geratene Haare, graue Augen und virile Züge. Als wäre das noch nicht beeindruckend genug, trug er ein ungeheures Selbstbewusstsein zur Schau, ohne arrogant zu wirken. Für Ria war er das Beispiel eines würdigen Clanführers. Wenn sie sich mit ihm verglich, kam sie zu einem eher kläglichen Ergebnis. Gut, dass er ihr beistand und nicht gegen sie arbeitete.

Nicht wirklich begeistert fragte sie sich, was um alles auf der Welt die beiden hier zu tun hatten. Hier war eindeutig ihr Revier.

„Kommissar Müller und Hauptkommissar Dunn", stellte Al sich und seinen Vorgesetzten vor. „Wir müssen mit einer Ihrer Schülerinnen reden."

Ria machte sich noch ein bisschen kleiner. Allerdings war sie sich ziemlich sicher, dass Aleix sie bereits gefunden hatte. Immerhin war auch er ein Jäger und die verfügten nun mal über besonders gute Sinne.

„Sie kommen gerade unpassend", erklärte der Sportlehrer gehetzt.

„Ihrer Schülerin fehlt nichts", erwiderte Aleix leicht gereizt. „Ein blauer Fleck, nicht mehr und nicht weniger." Seine finstere Stimmung verwirrte Ria. Warum sollte er mit schlechter Laune hier auftauchen? Ob es einen Vorfall zwischen ihren Clans gegeben hatte? Schnell verwarf sie diesen Gedanken wieder. Wäre etwas Derartiges vorgefallen, hätte er bis zum Nachmittag gewartet und Al nicht mitgebracht.

Ohne dem Sportlehrer weiter Beachtung zu schenken, schlenderte Aleix zu seinem Schützling und deren neuer Freundin, die den Polizisten mit großen Augen anstarrte. „Der sieht ja unglaublich gut aus", flüsterte Adele Ria verschwörerisch zu.

Diese verdrehte die Augen und entgegnete trocken: „Das hat er gehört." Mit einem vorgetäuschten Lächeln gab sie ihr Versteck auf und fragte wenig freundlich: „Was willst du hier?"

Aleix zog tadelnd eine dezent geschwungene Augenbraue hoch. „Deine Freundlichkeit kennt heute anscheinend keine Grenzen." Mit einem angedeuteten Kopfnicken wies er in Richtung Unfallstelle. „Du bist wohl der Grund für dieses Theater?"

„Reece", zischte sie ungehalten. „Entweder du sagst mir jetzt, was ihr hier wollt oder ich reiß dir den Kopf ab." Reece Dunn war der Name, den Aleix Conran in der Menschenwelt angenommen hatte. Verschiedene Identitäten waren bei ihren Artgenossen ein Muss, da sie so gut wie gar nicht alterten.

Für ihre Drohung erntete sie ein müdes Lächeln. „Ich dachte wir hätten bereits geklärt, dass du das nicht kannst."

In diesem Moment trat Al zu ihnen. „Wirklich schön, dich wiederzusehen, Kleine."

Ria nickte ihm knapp zu, fixierte aber weiterhin ihren Mentor.

„Du solltest mitkommen."

Irritiert wanderte Adeles Blick zwischen dem Hauptkommissar und ihrer Freundin hin und her. Es war offensichtlich, dass keiner der beiden mehr dazu sagen würde.

Nach kurzem Zögern stimmte Ria zu. „Einverstanden. Ich habe ja noch nicht genug Fehlstunden." Sie gab sich nicht die Mühe, ihren Sarkasmus zu verbergen.

„Oh, die hier sind aber entschuldigt", zwinkerte Al. „Immerhin bist du Sachverständige bei der Kriminalpolizei."

Ria verdrehte genervt die Augen, folgte ihm aber wortlos.

Dunkel wie die Nacht [Schattenseelen 2]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt