Kapitel 57

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„Mit Felix ist alles gut abgelaufen?"

„Ja!" Mehr wollte sie aber nicht ausplaudern. Sie wusste nicht, wie viel Philip mitbekommen hatte von den Dramen, die sich zwischen dem heute so glücklichen Ehepaar abgespielt hatten.

„Du musst nicht darüber sprechen! Sie haben mir ziemlich viel erzählt, aber ich muss nur wissen, ob sie es schaffen!"

„Das werden sie auf alle Fälle! Zwischen ihnen ist alles klar! Sie sind auf dem besten Weg zu vergessen!"

Dann berichtete sie von den zwei Wochen. „Annika managt Saint-Tropez und Paris, telefonierte mit den Bürgermeistern, als wären sie Sandkastenfreunde, lässt den Professor, der Bernard schikaniert hat, absägen, und dem, der mich gefördert hat, einen Staatsorden verleihen! Sie ist echt gut drauf!" Sie musste lachen, als sie sich an die Storys erinnerte. „Jetzt saniert sie gerade die Banlieues und sagt den Gangs den Kampf an!"

Philip lachte mit ihr mit und hatte die Nacht mit Bella total vergessen. Aber er hatte eine Freundin, die eine fantastische Frau war, mit einem fantastischen Mann, der sein Freund war!

Fabienne sah sich suchend um. „Wo ist eigentlich mein Koffer?"
„Du hattest nichts dabei!" versicherte Philip.
„O Gott! Dann ist er noch im Auto! So viel zum Thema: Ich nehme die Pille zuverlässig!"
„Irgendjemand wird ihn schon vorbeibringen! Ich rufe mal bei meinen Eltern an!"

Seine Mutter versprach, dass sein Vater Fabiennes Gepäck vorbeibringen würde.
„Ich fahre mit!" hörte er Sara im Hintergrund.
„Ich auch!" schloss sich Laura an.
„Ich kann auch fahren, Dad!" mischte sich Rebekka ein.

Philip spürte, wie überfordert sein Vater von der geballten Frauenpower war.

„Lass gut sein, Mum! Wir holen den Koffer!" erklärte er gottergeben.
Lachend und Händchen haltend liefen sie die Stufen hinunter und fuhren zu seinen Eltern.
„Irgendwann einmal musst du ja eh durch die Hölle meiner Schwestern!" Er sah sie grinsend an. „Jetzt habe wir die Ohrstöpsel vergessen!"

Fabienne lachte. „Nur gut, dass ich bestens erholt bin!"
„Warst!" verbesserte er sie.

Laura öffnete die Türe, sah ihren Bruder mit einer Frau im Arm. „Sara! Rebekka!" kreischte sie mit einer unglaublichen Dezibel-Zahl los. „Sie ist da!"

Philip sah beleidigt drein. „Man beachte die Einzahl! Also, ich fahr dann mal wieder!"

Laura warf sich ihm um den Hals. „Ist ja nur, weil wir sie noch nicht kennen!"
Er verstrubbelte ihre Haare. „Ist schon gut, verrücktes Huhn!"

Fabienne hörte die Liebe in seiner Stimme. Die gleiche Liebe, wie sie immer in Bernards Stimme gehört hatte.

Laura zog die beiden ins Wohnzimmer, hatte ihren theatralischen Auftritt: „Voila, mesdames et messieurs, je présent: La magnifique mademoiselle Fabienne!"
Fabienne fühlte sich wie in einem Film. Seine Eltern hatte sie ja schon kennen gelernt, aber die Begutachtung durch seine Schwestern schien um einiges kritischer auszufallen!

„Aha!" merkte die Älteste an.

„Okay!" stellte die Jüngste fest. „Du bist also Fabienne!"
Philip konnte das Lachen nicht mehr zurückhalten. „Ihr seid ja schlimmer als die Inquisition in Form von Mama! Ich werde in Zukunft jeden eurer Jungs so begutachten!"
„Hm!" Laura schien zu überlegen. „Die Sache hat nur einen Haken: Sie ist nicht eines deiner Mädchen! Sie ist dein Mädchen! Sie ist die, von der du ohne Punkt und Komma beim Essen sprichst! Sie ist die, die du so vermisst hast, dass du dreimal in der Woche bei uns aufgeschlagen bist! Sie ist das Mädchen, wegen dem in den Clubs der Stadt Suchplakate mit deinem Konterfei aufgehängt worden sind! Sie ist die, wegen der in Regensburg Hochwasseralarm ausgelöst worden ist, weil die Damenwelt so viel Tränen vergossen hat! Sie ist Fabienne, die dich gezähmt hat! Und die müssen wir uns schon genau ansehen!"

Fabienne rührten die Worte des Mädchens beinahe zu Tränen. Sie waren ungefähr gleichaltrig, aber sie waren in vollkommen verschiedenen Welten aufgewachsen.
Doch beide vereinte eine Tatsache: Die Liebe zu ihren Brüdern!

„Gut!" sagte sie schließlich. „Also, hier bin ich. Ich bin 20 Jahre alt, beginne in zwei Wochen mein fünftes Semester in Medizin, ich habe einen Bruder, der ist 23, und ich liebe ihn nach Philip am meisten auf der Welt. Ich will Chirurgin werden, habe aber auch eine gewisse Begabung in Psychotherapie. Ich wohne in einem Studentenheim, werde da auch noch bleiben, weil ich hart für diese Unabhängigkeit, die das Stipendium mir ermöglicht hat, gearbeitet habe. Ich bin in einer glücklichen Familie aufgewachsen, in der das Geld knapp, aber die Liebe überreich vorhanden war!

Ich spreche deutsch und französisch und habe natürlich das große Latinum. Mein Abitur habe ich mit 1,1 gemacht, weil ich in Mathe etwas gepatzt habe. Meine Hobbys sind Menschen, ihre Geschichten, Philip und mein Studium. Ich esse gerne scharf, bin 1,62 m groß und wiege 49 Kilo! Noch Fragen?"

Die Mädels hatten ihr mit offenen Mündern zugehört. Sie hatte es tatsächlich geschafft, die drei sprachlos zu machen.
Sara fand als erste ihre Sprache wieder. „Magst du Tiere?" fragte sie, die alles was kreuchte und fleuchte, adoptierte.
„Nicht sonderlich, nein! Also, außer auf meinem Teller!" antwortete Fabienne wahrheitsgemäß.

Sara schnappte nach Luft, fing sich aber dann wieder. „Na ja! Einen Minuspunkt verkraften wir schon!" erklärte sie gnädig. Die Ehrlichkeit der jungen Frau imponierte ihr mehr, als wenn sie sich als große Tierfreundin bezeichnet hätte. Das war keine, die einem nach dem Mund redete!

Sie schlug sich mit Fabienne ab, Laura und Rebekka folgten ihrem Beispiel.
Dann begrüßten Annika und Felix den Freund.
„Wann hast du den Termin bei der UN?" zog Philip die Freundin auf.
„Und, alter Mann? Du siehst ja gar nicht so katastrophal aus, wie ich befürchtet hatte!" Prüfend griff er nach Felix' Armmuskeln.

„Na, wenigstens hast du noch deine freche Klappe!" stellte Felix zufrieden fest. „Die hat mir direkt gefehlt!" Die Männer umarmten sich. „Ihr habt mir auch gefehlt!" brummte Philip.

Der Rest der Familie stand gerührt daneben. Die drei verstanden sich wirklich außerordentlich gut!
Wenn man an die Vorgeschichte dachte, eher etwas seltsam!

Etwas später nahm Felix Philip zur Seite. „Ich möchte mich gerne bei Fabienne erkenntlich zeigen! Hast du eine Idee, wie ich das machen könnte, ohne ins Fettnäpfchen zu treten?"

Philip sah ihn ernst an. „Du hast viel für ihre Familie getan! Das genügt! Sag einfach: Danke!"
„In Ordnung! Ich habe ihr einen Brief geschrieben, Annika auch, wie dir! Wir finden das nachhaltiger als eine Mail oder ein paar Worte."
Er gab Philip einen Umschlag.

„Das war die beste Idee, ja! Ich lese eure Zeilen immer wieder!" Philip hatte feuchte Augen, schon wieder einmal!

„Jetzt muss ich dich aber meinen Eltern vorstellen!" bestimmte Fabienne schließlich.

„Na, die sind schon gespannt auf die hässliche Kröte! Wir haben sie schon ein wenig vorgewarnt!" zog Felix ihn auf, was ihm noch einen Knuff von Fabienne einbrachte.
Er hielt sich theatralisch seine Rippen. „Du! Die hat vielleicht einen Schlag! Sei bloß vorsichtig!"

Lachend ging er mit den beiden nach draußen, lud ihren Koffer in Philips Wagen, winkte den beiden nach.


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