Kapitel 31

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Die Stimme ihrer Mutter riss sie aus ihren Gedanken. „Annika? Wir wollten doch einen Ausflug machen!"

„Ich komme!" rief sie.
„Wer hat Fahrdienst?" fragte sie Julio.
„Jacques!" antwortete er und blinzelte ihr zu. Die Verehrung ihres neuesten Mitarbeiters für die schöne Chefin war der Running Gag unter den Mitgliedern des Wachdienstes.

Auch sie hatte natürlich die schwärmerischen Blicke des attraktiven jungen Mannes wahrgenommen.

Sie verdrehte die Augen. „O Gott! Der Ärmste! Hoffentlich hat er seine Herzpillen dabei!"
Julio lachte laut. Die Kleine war wieder echt gut drauf.

Jacques brachte sie ins Hinterland, sie liefen durch ein paar der hübschen alten Städtchen, tranken Kaffee in einem Bergdorf, freuten sich an ihrem Leben als Familie. Der Sicherheitsmann ließ sie nicht aus den Augen, beobachtete das Umfeld ausgesprochen konzentriert.

„Haben Sie Angst, dass wilde Gallier auftauchen und mich entführen?" zog sie den jungen Mann auf, der rot anlief, wie immer, wenn sie das Wort an ihn richtete.

„Ich mache nur meinen Job, Madame Vanderberg!" antwortete er.
Annika taten ihre flapsigen Worte leid. „Sorry!" sagte sie. „Das war dumm von mir!"
Ein kleines Lächeln belohnte sie für ihre Einsicht.

Dann überschlugen sich die Ereignisse. Die Türe einer Bar öffnete sich unmittelbar vor ihr, und eine Gruppe angetrunkener Männer mit noch angetrunkeneren Damen stürmte auf den Bürgersteig und rannte sie und ihre Mutter fast um. Sofort war Jacques an ihrer Seite, stellte sich schützend vor sie. Seine rechte Hand umklammerte die Waffe im Schulterhalfter.

Da erkannte sie Ben, Panik umklammerte ihr Herz.

Es ist Zufall, dass er hier ist! versuchte sich zu beruhigen.
In diesem Augenblick erkannte er auch sie. Er ließ das Mädchen los, das sich lallend beschwerte. „Halts Maul!" fuhr er sie an. Er versuchte am Wachmann vorbei nach Annika zu greifen. „Schau mal an! Die Hure meines Idioten von Bruder!" Seine Stimme war vollkommen klar und so scharf wie das Messer, das sie verletzt hatte.
Jacques drehte ihm den Arm auf den Rücken, versuchte ihn zu beruhigen. Einer seiner Kumpel baute sich vor Annika auf. 

„Ach! Du bist das Püppchen, das meinen Freund so verleumdet hat?" Er griff in ihre Mähne, dass sie vor Schmerz aufschrie, zog sie ganz nah an sich. Sie roch den Alkohol in seinem Atem, Tränen traten in ihre Augen.

„Lass sie los!" schrie Jacques. Der andere hatte plötzlich ein Messer in der Hand, hielt es ihr an die Kehle.
Nicht schon wieder! dachte Annika.

Jacques überlegt nur einen Sekundenbruchteil.
Er war ausgebildeter Nahkämpfer.

In einer einzigen fließenden Bewegung ließ er Ben los, stürzte sich seitlich auf den zweiten Mann, brachte seine Hand zwischen das Messer und Annika, damit sie nicht verletzt werden konnte, zog sich dabei einen tiefen Schnitt zu. Noch im Fallen fing sich der angetrunkene Typ einen Kinnhaken ein, der ihn ausknockte.

Die Frauen kreischten nach der Polizei, was ganz im Interesse der angegriffenen Gruppe war.

Doch Ben begriff, dass es für sie gar nicht gut wäre, hier aufgegriffen zu werden. Robert, der Idiot, wusste doch, dass er bekannt wie ein bunter Hund war. Er war ein Vanderberg! Sie mussten verschwinden! Er musste eine Weile untertauchen!
„Haut ab!" brüllte er die dummen kreischenden Weiber an und machte sich davon. Über seine Schulter schrie er zurück: „Ich krieg dich, du Nutte! Dich und meine verfickten Bruder!"
Die zwei anderen Männer nahmen alle Frauen bei der Hand und zogen sie mit sich.

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