16. Das wusste ich nicht

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Olivia P.O.V.

Aiden zuckt mit den Schultern. „Bringen wirs hinter uns."

Er geht an mir vorbei ins Haus.

„Bleiben wir im Wohnzimmer!", sage ich etwas zu hektisch als er gerade die Treppen hoch zu meinem Zimmer gehen will.

Ich bin mir ziemlich sicher das mein blutiges Handtuch noch mitten im Raum liegt, sowie die Rasierklinge.

„Okay meinetwegen..", antwortet er desinteressiert und geht ins Wohnzimmer.

Schweigend folge ich ihm ins Wohnzimmer. Ich nehme mir einen Schreibblock aus der Küche und ein paar Stifte und setzte mich neben Aiden auf die Couch. Sein Blick ist auf dem Buch fixiert. Er sagt kein Wort. Und auch wenn wir sonst auch nicht wirklich miteinander reden, ist die Stille heute extrem unangenehm.

Mir rasen tausende Gedanken durch den Kopf. Sollte ich was sagen? Sollte ich mich nochmal bedanken?

„Ist was?", fragt er aber wendet seinen Blick keine Sekunde von dem Buch weg.

Oh Gott er hat bemerkt dass ich ihn angestarrt habe.

„Ähm...nein...ich...ich wollte mich nur nochmal bedanken. Wegen gestern Nacht."

Schon wieder werde ich mir der Stille zwischen uns bewusst. Wieso ist es mir so unangenehm? Vermutlich weil er der Freund meines Exfreundes ist. Es ist total komisch, dass er mich in dem Zustand gestern gesehen hat. Und die Tatsache, dass ich gerade seinen Pulli anhabe macht es nicht wirklich leichter.

„Kein Ding..", sagte er kurz und knapp, ohne mich dabei anzusehen.

Er fragt nicht weiter nach.

„Na gut...ähm...dann widmen wir uns mal den Aufgaben..", sage ich und schnappe mir schon mal den Taschenrechner vom Couchtisch.

Er deutet mit dem Finger auf ein Beispiel und ich beginne einige Zahlen in den Taschenrechner einzutippen. Meine Hände zittern immer noch und ich muss nicht hinsehen um zu wissen, dass Aiden mich gerade beobachtet.

„Du beobachtest mich..."

„Und du zitterst..."

„Ich mich noch etwas neben der Spur von letzter Nacht."

Ich sehe ihn nicht an, aber ich spüre dass er etwas sagen möchte. Dass ihm tausend Gedanken durch den Kopf gehen. Aber er sagt nichts.

„37." sage ich und halte ihm meinen Taschenrechner mit dem Ergebnis vors Gesicht.

Sein Blick wandert von dem Taschenrechner zu meiner Hand. Schlagartig ändert sich sein Gesichtsausdruck.

Er greift zu meiner Hand, sodass mir der Taschenrechner aus der Hand fällt und zieht den Ärmel meines Pullis nach oben.

„Hey was soll das?!", frage ich verwirrt.

„Was ist das?!", fragt er ernst.

Mein Blick folgt seinem, als ich mein rot unterlaufenes Handgelenk sehe.

Abrupt entreisse ich mich aus seinem Griff.

„Ich hab doch gestern gesagt, ich bin gestürzt.", sage ich und kann nicht glauben dass ich für einen Hauch einer Sekunde mit dem Gedanken gespielt habe, ihm zu sagen dass es Tyler war.

Aber abgesehen davon dass er es mir ohnehin nicht glauben würde, wäre Tyler dann noch wütender auf mich. Und ich würde diesem kranken Arschloch auch zutrauen, dass er nächstes Mal wirklich von der Brücke fahren würde.

„Das sieht echt übel aus..", stellt Aiden fest.

Ich ziehe mir den Ärmel des Pullovers wieder über.

„Ich weiß. Aber das wird schon."

Zwischen uns bildet sich schon wieder diese verdammt unangenehme Stille.

„Machen wir einfach weiter..", sage ich und schnappe mir das Buch.

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„Gut das sollte reichen...machen wir morgen nach der Schule weiter.", sagt Aiden und beginnt seine Sachen zusammenzupacken.

„Okay..wieder bei mir?"

„Mir wärs lieber bei mir. Ich kann dich nach der Schule meinetwegen mitnehmen."

Mit dem Auto? Niemals.

Alleine der Gedanke daran lässt meine Angst wieder auflodern.

„Ich komme mit dem Zug nach.", sage ich und man hört den Stress sogar in meiner Stimme.

„Du magst Autofahren nicht besonders hm?"

Seine Frage trifft mich unerwartet.

Ich zögere für ein paar Sekunden beschließe dann jedoch ihm zu antworten.

„Wenn die eigenen Eltern in einem Auto sterben, dann wird man nie das Gefühl los, dass etwas schreckliches passieren kann, sobald man in einem Auto sitzt..", sage ich und bin selbst von meiner Direktheit überrascht. Aiden gehts scheinbar nicht anders.

Für ein paar Sekunden sieht er mich einfach nur an.

„Fuck..tut mir leid...ich wusste nie was genau passiert ist...Tyler hat nur einmal nebenbei erwähnt dass deine Eltern an irgendetwas gesundheitlichem starben.."

Wütend schüttel ich mit dem Kopf. Ich weiß nicht, was ich dazu noch sagen soll. Dieses Arschloch weiß ganz genau was passiert ist. Zumindest habe ich es ihm erzählt. Aber vermutlich hat er mir einfach nie wirklich zugehört. Er hat nie nachgefragt.

„Darf ich fragen was passiert ist?", fragt er aber ich merke dass er sich in der selben Sekunde über seine Direktheit ärgert.

„Tut mir leid...es geht mich nichts an.", sagt er und beginnt weiter seine Sachen zusammenzupacken.

„Wir saßen im Auto...auf dem Weg nachhause...es war dunkel...mein Vater saß hinter dem Steuer und plötzlich ist er kollabiert...man vermutet eine Hirnblutung. Meine Mutter konnte das Auto nicht unter Kontrolle halten. Wir stürzten die Brücke hinunter..."

Ich sammel mich für ein paar Sekunden und versuche den unterträglichen Drang an meinen Oberschenkel zu kratzen, zu unterdrücken.

„Das Auto stürzte in den Fluss...es ging so schnell...nach nur ein paar Sekunden, füllte sich das Auto mit Wasser..ich hab es geschafft mich zu befreien...aber...meine Eltern nicht."

Aidens Blick durchbohrt mich förmlich.

„Also ja...ich mag Autos nicht besonders...und Wasser ebenso wenig..."

Ich kanns nicht glauben dass ich wieder darüber geredet habe. Seit dem Tod meiner Eltern habe ich nur mit der Polizei und einer Psychologin darüber geredet. Danach mit niemanden mehr. Sogar Sophie hat es über die Polizei erfahren.

„Tut mir leid, dass du das erleben musstest..." sagt Aiden ruhig.

Kommentarlos zucke ich mit den Schultern. Seine einfühlsame Art ist mir etwas unheimlich.

„Man lernt damit zu leben. Mit der Angst. Aber jeder hat doch etwas von dem er Angst hat...es scheint als gings dir genau so...", sage ich und deute auf die Party an. Auf seinen Zustand als wir in dem Raum eingesperrt waren.

Sofort ändert sich seine Mimik und wird härter und abweisend.

„Am besten wärs du hältst dich aus meinem privaten Leben raus...", sagt er kalt und steht auf.

Autsch. Woher kam das denn?

OliviaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt